Mittwoch, 19. und Donnerstag, 20.9.18 (Windhoek, Elisenheim): Abflug! Der direkte Weg von München nach Windhoek führt über Köln. So lernt Wolfgang auch mal diesen Flughafen kennen. Vor allem der Landeanflug war schön. Das Bergische Land ist eine wirklich hübsche Gegend mit Hügeln und Tälern, mit viel Grün und wenigen Menschen. Für Namibier dürfte diese Aussicht geradezu paradiesisch sein.
Problemloser Flug (mit extrem gutem Personal, das ist Wolfgang so noch nie aufgefallen). Problemlose Einwanderungsbehörde. Problemloser Zoll (trotz des großen Kartons mit dem Lamellenfenster des Busses). Problemloser Start des Motors (aus eigener Kraft nach fast einem Jahr Standzeit!).
Gut, dass Wolfgang nicht raucht, denn der Bus hatte doch einen recht strengen Hautgout dank der vollen Benzintanks.
Elsbeth, Anettes Tante, geht es altersentsprechend gut. Und am Abend auf dem Camp in Elisenheim sind auch wieder einige Bekannte da. Also alles wie immer.
Jetzt muss sich Wolfgang nur noch schnell an die Temperaturen um die 35° gewöhnen. So schön der pickeblaue Himmel auch ist, Schatten ist was Feines.
Freitag, 21.9. bis Donnerstag, 4.10.18 (Windhoek, Elisenheim): Und trinken auch. Viel trinken! Jeden Tag gehen vier bis fünf Liter durch den Körper. Anfangs mehr oder weniger gezwungen, nach einigen Tagen ist das normal.
Wie schon erwähnt, ist letztes Jahr das Lamellenfenster aus der Schiebetür mit nach Deutschland gekommen und muss jetzt, quasi runderneuert, wieder eingebaut werden.
Kein Problem.
Lack und Unterbodenschutz brauchen auch ein bisschen Zuwendung. Die Kabel, mit denen wir uns an das 230V-Netz anschließen, sind jetzt viel besser und kompakter. Die Klappstühle und -hocker werden runderneuert. Der Kocher gewöhnt sich das Rauchen ab. Er hat manchmal erbärmlich gerußt und sich zäh geweigert, darauf zu verzichten. Der Kühlschrankventilator wirft einen seiner Flügel ab, was den Rest auch funktionsunfähig macht.
Kurzum, tausend Kleinigkeiten. Naja, wohl eher hundert.
Eine willkommene Abwechslung sind die 30 Mungos, die unregelmäßig zu Besuch kommen. Sie sind überhaupt nicht scheu und inspizieren den Bus von unten und, als Wolfgang mal nicht aufgepasst hat, auch von innen. Dort liegt noch die Tüte vom Bäcker und kurz darauf sieht man einen Krapfen mit einem Mungo dran davon laufen. Und alle anderen hinterher.
An sich sind Mungos Raubtiere und damit Fleischfresser, aber den Krapfen haben sie ja geraubt. Sie machen sich im Übrigen auch über die Haferflocken für die Webervögel her, die Wolfgang immer auf den Baumstumpf streut. Egal was, Hauptsache Raub.
Den größten Genuss, zumindest akustisch, haben sie aber, wenn sie einen Käfer aus dem Boden graben konnten und nun lautstark schmatzend vertilgen.
Freitag, 5.10.18 (Windhoek, Elisenheim): Heute ist kein besonderer Tag. Wolfgang lässt einen neuen Reifen aufziehen, holt die neu besohlte Kupplung ab und kauft ein. Also ein Tag, an den man sich später nicht erinnern wird.
Doch das gilt nur bis kurz vor Mitternacht. Wolfgang liegt im Bett, schläft aber noch nicht. Durch das offene Fenster kommt ein seltsames Wispern von draußen. Der erste Gedanke: “Die Pferde grasen wieder einmal den Boden ab”. Doch das ist Unsinn, die wiehern, aber wispern nicht. Er schiebt die Gardine zur Seite und sieht gegen das Licht eine Silhouette. Ein Arm holt aus und im selben Moment kracht die Seitenscheibe. Es klingt fast wie eine Explosion.
Die Situation ist offensichtlich, da muss man nicht lange nachdenken. Gleichzeitig beginnt ein zweiter Mann damit, Steine gegen die Frontscheibe zu werfen. Auch er ist als Silhouette gut zu erkennen.
Die Frontscheibe splittert ebenfalls, doch da sie im Gegensatz zur Seitenscheibe aus Verbundglas besteht, hat der Werfer keine Chance, durch sie hindurch zu kommen. An der Trefferstelle wird das Glas regelrecht zu Mehl zerkrümelt, doch die Scheibe bleibt stabil im Rahmen.
Wolfgang ist nach ein paar Sekunden aus dem Bett. Der Vorhang zum Fahrerhaus macht ihn für die Diebe unsichtbar. Er weiß, dass der eigentliche Dieb am rechten Seitenfenster zugange ist, aber der Dieb weiß nicht, wo Wolfgang ist. Leider ist nichts Adäquates zum Abwehren greifbar, also muss es ein Frühstücksbrett aus dem Abwasch tun. Mit voller Wucht wie ein Frisbee um die Ecke in die Seitenscheibe geschlagen, da, wo der Dieb zugange ist, entfaltet so ein Frühstücksbrett eine beeindruckende Wirkung. Es gibt einen dumpfen Aufprall und es klingt weder nach Blech noch nach Glas. Es dürften harte Bauteile des Diebes gewesen sein, vermutlich der Kopf, eventuell auch die Armknochen.
So gänzlich unerwartet ein Brett vor dem Kopf zu haben ist offensichtlich ein starkes Argument. Die beiden beenden ihren Arbeitseinsatz umgehend und nehmen die Beine in die Hand. Dummerweise haben sie noch eine Hand frei, in der jeder von ihnen ein Beutestück davon schleppt.
200 m weiter haben sie vorsorglich ein Loch unter dem Elektrozaun hindurch gebuddelt. Sie verschwinden in der Nacht.
Wolfgang macht keinen Versuch, hinterher zu rennen, denn ein direkter Kontakt mit den Dieben kann furchtbar enden, die Jungs haben ja nichts zu verlieren. Stattdessen zieht er sich schnell an und läuft vor ins Restaurant, vielleicht sind da noch Leute, die den Dieben den Weg abschneiden können. Doch da ist um diese Zeit niemand mehr.
Als er zurück zum Platz rennt, sieht er schon von Weitem neben seinem Auto eine Taschenlampe herumfuchteln. Sind die zurückgekommen? Wolfgang macht seine Taschenlampe ebenfalls an. Einige Sekunden stehen sich die beiden Taschenlampen auf 20 Meter gegenüber und beleuchten sich gegenseitig. Plötzlich ruft die andere Taschenlampe laut “Überfall”. Sprechen die Diebe jetzt schon deutsch? Wolfgang ruft zurück “Bodo?”. Die Lampe geht aus.
Bodo ist ebenfalls schon ein paar Tage hier auf dem Platz und sein Auto steht ein Stück weg von Wolfgangs. Er hatte das laute Spektakel gehört und war herübergelaufen, während Wolfgang im Restaurant war. Da Bodo niemanden mehr vorfand, hatte er schon unschöne Ahnungen.
Gemeinsam können sie die Spuren der Diebe bis zum Zaun verfolgen. Außerdem stellen sie anhand der Fußabdrücke fest, dass die Diebe auch um Bodos Lkw herumgeschlichen waren, doch der war ihnen wohl zu hoch oder es war nichts Lukratives zu sehen.
Der Greifer vom Seitenfenster hat in den 10 bis 15 Sekunden, die das Ganze gedauert hat, drei Dinge aus dem Beifahrerraum gefingert: einen halbvollen Benzinkanister, den er draußen gleich wieder weggeworfen hat, eine Kunststoffbox mit all’ den elektrischen Ersatzteilen, die man unterwegs dabei haben muss (Sicherungen, Kabel, Kabelschuhe, Lampen, Zündkerzen usw.) und eine schuhkartongroße Blechdose mit unseren 12V-Verlängerungskabeln. Verkaufswert für alles auf dem Schwarzmarkt: vielleicht 10 oder 20 Euro. Wer will schon Elektrozeug für ein 40 Jahre altes Auto kaufen?
Diese beiden Boxen waren die einzigen mit einem Griff. Das hatte für den Dieb den Vorteil, dass er nur eine Hand brauchte. Und schneller laufen konnte er auf diese Weise auch.
Hätte er mehr Zeit gehabt oder sich weiter ins Auto gebeugt, dann wären da noch ziemlich teure Elektrowerkzeuge in der Auslage gewesen, doch deren Box hatte keinen Griff. Zudem war das Frühstücksbrett ein Denkanstoß, auf die Schnelle nur das zu nehmen, was einfach zu greifen war.
Der Schaden? Erheblich! Eine neue Seitenscheibe, eine neue Windschutzscheibe und einige dicke Beulen im Frontblech. Vor allem der zweite Mann ist für den Schaden verantwortlich. Er hatte bei dem ganzen Spiel nur die Aufgabe, für Lärm und Verwirrung zu sorgen, um Wolfgang abzulenken. Das hätte auch sehr gut klappen können, wenn er sich nicht ausgerechnet die Frontscheibe ausgesucht hätte. Die konnte er nicht knacken und so konnte sich Wolfgang voll und ganz dem zweiten Mann widmen. Wenn der Steinewerfer die andere Seitenscheibe oder eines der hinteren Fenster attackiert hätte, wären die Erfolgschancen wesentlich größer gewesen. Gut, dass ihnen keiner erzählt hat, dass die Frontscheiben von Autos verdammt stabil sind.
Trotzdem ist es ein saudummes Gefühl, wenn jemand zwei Meter von dir entfernt mit Steinen auf dich wirft.
Für die Nacht muss die Seitenscheibe notdürftig dicht gemacht werden, auch, um den schnellen Griff in die Auslagen zu verhindert. Eine Orgie in Gafferband.
Wir haben uns zwar zum Grundsatz gemacht, keine wertvollen Sachen im Fahrerraum liegen zu lassen, weder tags noch nachts. Doch Wolfgang wusste einfach nicht mehr, wohin mit den ganzen Teilen und Werkzeugen. Das zweite Bett war schon komplett belegt und die Faulheit, das alles abends wieder ordentlich wegzupacken, einfach zu groß. Außerdem wäre es klug gewesen, die Gardinen des Fahrerraums zu schließen, um den Dieben keinen Blick auf das Angebot zu erlauben.
Doch hätte, wäre, wenn, das hilft jetzt alles nichts mehr, die Sachen sind weg und die Scheiben hinüber. Und die Nacht ist auch im Eimer.
Samstag 6. bis Sonntag, 7.10.18 (Windhoek, Elisenheim): In den nächsten zwei Tagen geht es vor allem darum, den Schaden und die Verluste sauber festzustellen und das Auto notdürftig fahrfertig zu machen. Anette kriegt einige Mails und SMSs nach Deutschland, um all’ das mitzubringen, was hier in Windhoek nur schwer aufzutreiben ist. Es ist gar nicht so einfach, präzise zu beschreiben, was man braucht. Und wo es zu finden ist.
Manchmal hat Faulheit auch etwas Gutes: das elektrische Messgerät hätte eigentlich in die geklaute Box gehört. Doch, wie sich jetzt herausstellt, war es da nicht drin, sondern taucht plötzlich an einer unmöglichen Stelle im Bett auf.
Außerdem darf Wolfgang die Gafferband-Orgie wieder herunterreißen, weil er durch das Gafferband als Seitenscheibenersatz ja nicht hindurchschauen kann. Doch das muss er, wenn er fahren will.
Ein halber Tag geht drauf, um mit Andreas, dem Chef des Camps, und Bodo die Spuren der Diebe zu verfolgen. Andreas ist ein exzellenter Spurenleser, ein Überbleibsel seiner Farmerzeit, als er in den Bergen die Spuren von entlaufenen Rindern erkennen musste. Er schafft es tatsächlich, die Diebe über fast fünf Kilometer durch den Busch zu verfolgen. Doch leider sind sie dann auf einen vielbegangenen Weg eingebogen. Wolfgang hatte die Hoffnung, dass sie auf ihrem Rückmarsch schon mal einen ersten Blick auf die Beute gewagt haben, um dann deren Wertlosigkeit festzustellen. Die erhoffte Reaktion: weg mit dem alten Zeug, um nicht mit der Beute erwischt zu werden. Doch das war leider nichts.
In der Nacht hatte Wolfgang ja nur zwei Leute erkannt, es finden sich aber vier verschiedene Schuhabdrücke am Boden. Also waren sie entweder zu viert oder die beiden haben zu unserer Verwirrung rechts und links unterschiedliche Schuhe getragen. Andreas entdeckt sogar anhand der Spuren, dass sie auf demselben Weg gekommen sind, vermutlich aus Katutura, einem ärmlicheren Vorort Windhoeks. Die Diebe sind also 20 oder 30 Kilometer bei Nacht durch den Busch marschiert, nur um ein paar Verlängerungskabel und ein bisschen elektrisches Kleinzeug zu klauen. Was für ein Geschäft!
Als sich die Seitenscheibe in Hunderttausend kleine Splitter zerlegt hat, sind die im gesamten Fahrerraum verteilt worden. Es gibt keine Ritze und keine Ecke, in der nicht Glas herumliegt. Dank eines großen Staubsaugers wird das Auto um etliche Kilo Glas leichter. Und sauber wie lange nicht mehr.
Montag, 8.10.18 (Windhoek, Elisenheim): An diesem Montag ist das Wichtigste, herauszufinden, ob es in Windhoek Ersatz für die kaputten Scheiben gibt. Und der Tag fängt verdammt gut an! Gleich das erste Geschäft für Autoglas macht ein faires Angebot. Eine neue Verbundglasscheibe für vorn für 2700 Namibia Dollar, rund 170 Euro. Lieferbar in ca. einer Woche aus Südafrika. Bingo!
Und es kommt noch besser. Das nächste Geschäft will für die gleiche Scheibe des gleichen Herstellers nur 100 Euro haben, inklusive Einbau. Und da sie zudem eine wirklich professionelle Beratung anbieten, werden wir uns schnell einig.
Damit wäre das Frontscheibenthema in trockenen Tüchern. Leider können sie nicht mit einer neuen Scheibendichtung dienen und sie haben auch wenig Hoffnung, dass so etwas in Windhoek zu finden ist. Aber die Fachleute begutachten die alte Dichtung und sind sehr überrascht, dass die nach 30 Dienstjahren noch so gut aussieht. Sie haben die Hoffnung, dass sie sie retten können. Bingo, Bingo!
Leider gilt das nicht für die Seitenscheibe. Die ist leicht gewölbt und neu nicht zu bekommen, auch nicht in Südafrika. Doch die Fachleute haben einen andere Idee: ein Nachbau aus Plexiglas. Der wird nicht so lange halten wie richtiges Glas, aber ist optisch und funktionell nicht zu unterscheiden. Doch halt, einen Unterschied gibt es doch! Wenn jemand einen Stein auf die Scheibe wirft, zerfällt sie nicht in Krümel, sondern federt elastisch und schleudert den Stein auf den Werfer zurück.
Ein schöner Gedanke.
Die Fachleute haben noch eine Empfehlung für ein paar Schrottplätze im Norden Windhoeks, vielleicht ist da eine Seitenscheibe aufzutreiben. Diese Plätze zu finden und abzufragen, ist die Aufgabe des Nachmittags.
Auf die Frage, ob sie Scheiben für alte VW-Busse hätten, kommt immer ein freudiges Kopfnicken. “Yes, yes, we have plenty of old VW-Busses. T4 and T5”. “Ääh, ich brauche etwas für den T2”. “Oh, wie sieht der denn aus?” Der T4 wurde um die Jahrtausendwende gebaut. Alles, was davor war, existiert nicht mehr. Auch beim größten VW-Autohaus sieht es nicht besser aus.
Kurzum, es ist keine Scheibe aufzutreiben. Doch die Alternative mit der Plexiglasscheibe ist nicht so schlecht.
Während Wolfgang Scheiben sucht, setzt sich Anette mit den “bestellten” Ersatzteilen und Werkzeugen ins Flugzeug...
Dienstag, 9.10.18 (Windhoek, Elisenheim): ... und landet am nächsten Morgen in Windhoek.
Unsere ursprüngliche Planung war, dass wir heute beide raus aufs Camp fahren und aus der Baustelle Bus ein Wohnmobil machen. Das können wir knicken, denn die Baustelle geht jetzt erst richtig los.
Wir disponieren um und Anette wird die nächsten zehn Tage bei Elsbeth wohnen. Die beiden haben sich ohnehin viel zu erzählen und Wolfgang wird sich um die Scheiben und alles, was wegen des Überfalls liegen geblieben ist, kümmern.
Mittwoch, 10. bis Samstag, 20.10.18 (Windhoek, Elisenheim): Die Beifahrertür muss wegen des Fensters praktisch komplett zerlegt werden. Dank des gewaltig ziehenden Staubsaugers ist die “Entglasung” auch kein großes Problem. Es dauert allerdings mehr als einen Tag, ehe aus der Plexiglasscheibe ein funktionierendes Seitenfenster wird.
Ironie des Schicksals: Wolfgang hatte dieses Jahr neue Dichtungen für die Seitenfenster aus Deutschland mitgebracht, weil die alten ziemlich rissig waren. Die ließen sich bei dieser Gelegenheit ohne Zusatzaufwand wechseln, was sonst sicher einen Tag gekostet hätte.
Per SMS kommt die Nachricht, dass die Frontscheibe eingetroffen sei und am nächsten Morgen ist es soweit. Mit den Füßen treten wir zu zweit die alte Scheibe aus der Dichtung. Die neue scheint die gleiche Abmessung und Form zu haben. Auch die Dichtung sieht nach dem Ausbau gut aus. Dann alles sauber machen und nach eineinhalb Stunden steht der Bus mit einer neuen Frontscheibe da. Sieht gut aus, hat sogar eine Tönung an der oberen Kante und scheint auch genau zu passen. Die Dichtung hat zwar ein paar kleinere Risse an unwichtigen Stellen abbekommen, sitzt aber ansonsten tiptop.
In den nächsten Tagen wird sie noch mit Dichtungsmasse abgespritzt, so dass sie trotz ihres hohen Alters keinerlei Inkontinenz zeigt. Die Anleitung für die Dichtungsmasse erläutert zwar lang und breit, wie man das Zeug verarbeiten muss und was man nicht tun darf, doch sie erwähnt mit keiner Silbe, dass die schwarze Pampe mit keinem Lösungsmittel wieder von der Haut heruntergeht. Nach zwei Stunden Abdichten sind Wolfgangs Hände komplett schwarz - und bleiben es für die nächste Woche. Weder chemische Keulen, noch Abschaben mit dem Messer, noch Schrubben mit der Wurzelbürste ändern etwas daran. Das Zeug muss langsam mit der oberen Hautschicht abgestoßen werden. Selbst das Allheilmittel gegen hartnäckigen Schmutz an den Händen ist wirkungslos: Wäsche waschen. Dafür sind die Gardinen jetzt blitzsauber.
Ein kleiner Hinweis auf Plastikhandschuhe wäre nett gewesen.
Die Hände sehen zwar furchtbar aus, tun aber, außer nach dem Schrubben, nicht weh.
Nach zehn Tagen steht der Bus wieder ordentlich da. Bei nächtlichen Fahrten spiegeln sich die Lichter des Gegenverkehrs nicht mehr hundertfach in den Kratzern der Frontscheibe. Die Beifahrertür ist jetzt in Top-Zustand, muss allerdings nochmals zerlegt werden, wenn wir eine Glasscheibe aus Deutschland mitgebracht haben. Nur Motor und Getriebe müssen, wenn wir in Pretoria sind, mal raus und intensiv angeschaut werden, doch das ist eine ganz andere Geschichte.
Sonntag, 21.10. bis Freitag, 2.11.18 (Windhoek, Elisenheim): Heute machen wir das, was wir vor zwei Wochen machen wollten. Wir fahren aufs Camp und räumen den Bus leer. In jeder Ecke liegt irgendetwas herum, vor allem Dreck. Es ist ein seltsames Gefühl, das stets mit allerlei Zeug belegte Bett wieder leer zu sehen. Und auch der Fußboden ändert seine Farbe von sandgelb auf anthrazitgrau.
Es dauert einige Tage, ehe alles sauber ist und am richtigen Platz.
Wir haben noch ein freudiges Ereignis. Unsere Zollpapiere laufen ja am 31.10. aus und wir müssen bis dahin außer Landes sein. 1500 km! Doch eine freundliche Beamtin verlängert uns die Papiere für ein Jahr, so dass wir nicht sofort losfahren müssen, viele Kilometer sparen und noch ein wenig in Namibia herumschauen können. Warum ausgerechnet wir die Verlängerung bekommen haben, wissen wir nicht. Denn die drei anderen vom Camp, die es versucht haben, waren erfolglos.
Vielleicht gibt es doch so etwas wie einen gerechten Ausgleich zwischen Pech und Glück.
Es gibt noch eine sehr nette Geschichte zu erzählen. Drei Damen, die Namen tun hier nichts zur Sache, stellen eines Tages fest, dass Klaus Geburtstag hat. Klaus ist ein alter Freund des Hauses und lebt in einem Altenheim in Windhoek. Also beschließen die drei, ihn zum Gratulieren zu besuchen. Klaus ist ein wenig verwirrt ob des Besuches. Wir wissen nicht, ob die Verwirrung altersbedingt ist oder dem resoluten Auftreten von 200 Lebensjahren geschuldet ist. Ein wenig zögerlich versteht er, dass er heute Geburtstag hat. Im Alter bringt man schon mal das eine oder andere durcheinander. Auch auf die Frage, ob ihn heute seine Schwester, die im selben Heim lebt, noch besuchen wird, weiß er keine Antwort. Trotzdem freut er sich über das Geburtstagsständchen zu seinem 78sten.
Nach ein wenig Plauderei verabschieden sich die drei Grazien mit den besten Wünschen für das neue Lebensjahr. Nicht ohne Klaus vorher noch den Rat zu geben, sich am Nachmittag, wenn seine Schwester zum Gratulieren kommt, doch einfach schick anzuziehen und sie in ein Cafe einzuladen. Die Idee findet er gut.
Wieder zu Hause wundern sich die drei über Klaus’ Verwirrtheit und stellen fest, dass er in letzter Zeit doch sehr abgebaut hätte. Dann wirft eine der drei einen eher zufälligen Blick auf den Kalender und entdeckt hinter dem Namen “Klaus” noch einen Buchstaben, der so garnicht zu seinem Nachnamen passen will. Schallendes Gelächter, als ihnen klar wird, dass es zwei Kläuse gibt. Der, dem sie gratuliert haben, hatte vor einem halben Jahr Geburtstag und ist im Übrigen schon 82!
Inzwischen hat besagter Klaus ebenfalls den Eindruck, dass er leicht verwirrt ist. Selbst das Heim ist nicht mehr sicher, wann Klaus tatsächlich Geburtstag hat. Sie werden ihm wohl zur Sicherheit zweimal gratulieren. Auch seine Schwester müssen sie in nächster Zukunft intensiver betreuen, denn sie hat ja sogar den Geburtstag ihres Bruders vergessen.
Das alles ist ganz schön verwirrend.
Samstag, 3.11.18 (Windhoek, Elisenheim): Die Tochter von Anettes Tante muss nach einem Kurzbesuch leider wieder zurück in die USA. Wir bringen sie zum Flughafen und verabschieden uns dann ebenfalls, denn wir wollen ja am nächsten Tag aufbrechen. Endlich, denn die letzten Wochen waren lang und arbeitsreich!
Sonntag, 4. bis Montag, 5.11.18 (Otjiwarongo): Wie immer kommen wir natürlich nicht gleich morgens in die Strümpfe, sondern es wird früher Nachmittag. Ist ja auch kein Problem, denn es sollen heute nicht mehr als 200 km werden. Wir hatten in den letzten Tagen mehrmals in einer edleren Lodge namens Erindi angerufen und wollten einen Platz auf deren Campsite reservieren. Doch sie haben immer nur endlos weiterverbunden und mehrfach versprochen, zurückzurufen, es aber nie getan.
Doch das Auto rollt, alles scheint zu funktionieren und es ist ein schönes Gefühl, entspannt zu fahren.
An der Zufahrt zu Erindi sehen wir, dass wir von der Hauptstraße aus noch 40 km bis zum Camp fahren müssen, ohne zu wissen, ob wir da überhaupt bleiben können oder alles ausgebucht ist. Da der versprochene Rückruf von heute Vormittag ebenfalls ausgeblieben ist, beschließen wir, es nicht nötig zu haben, um eine Antwort zu betteln. Erindi legt offensichtlich keinen Wert auf uns und so ist es ab jetzt auch umgekehrt.
Das nächstgelegene Camp Weavers Rock klingt ebenfalls viel versprechend. Als wir am Tor eintreffen, steht dort ein Schild “Fully booked”, ausgebucht. Die angegebene Handynummer erweist sich als tot.
Danke, noch ein Camp, das wir von unserer Liste streichen können!
Während der Fahrt hatten wir ein Schild zur “Otjiwa”-Lodge gesehen. Das sah alles nicht besonders attraktiv aus, hätte aber den Vorteil, dass wir dort noch vor Einbruch der Dunkelheit sein könnten. Also los.
Nach einer halben Stunde stehen wir an der Rezeption. Wir fragen nach, ob auf dem Camp noch Plätze frei wären und die Dame, die uns bedient, zuckt nur die Schultern und grinst “Fully booked”. Jetzt reicht’s aber.
Doch bevor wir reagieren können, grinst sie noch breiter und sagt “That was a joke”. 1:0 für sie! Natürlich ist noch was frei, denn wir sind die einzigen Gäste auf der Campsite. Alle anderen Gäste haben Zimmer.
Außerdem bieten sie ein Dinnerbuffet an. Wir schauen ins Restaurant und sagen spontan zu. Es sieht richtig edel aus, genau der richtige Beginn für eine Reise.
Das Camp macht ebenfalls einen sehr guten Eindruck. Sehr schön im Busch angelegt, mit ordentlichen Duschen und Toiletten und viel Platz.
Wenn wir das nächste Mal in dieser Gegend einen Übernachtungsplatz suchen, wissen wir, wo wir hingehen! Wie gut, dass sich Erindi und Weavers Rock als Luftnummern erwiesen haben.
Und weil es uns so gut gefällt, bleiben wir gleich noch einen Tag länger.
Am nächsten Abend kommt noch ein zweites Auto auf das Camp. Seltsamerweise fährt es auf unseren Platz. Als Anette jedoch andeuten will, dass dieser Platz schon belegt ist, kommen die Leute raus und grinsen uns an. Wolfgang kennt den Fahrer vom letzten Jahr aus Windhoek. Ein Österreicher mit seinem Sohn.
Wir verbringen einen angenehmen Abend miteinander. Der Sohn kocht exzellent und wir lernen eine völlig neue Art der Kartoffelzubereitung kennen. Very lecker! Und wir essen zu viel.
Dienstag, 6.11.18 (Etosha Safari Lodge): Noch 200 km bis zum Etosha Nationalpark. Da die Camps im Park überteuert und eher eine staubige Ödnis sind, nehmen wir lieber das sehr schön angelegte Camp außerhalb des Parks. Und billiger ist es auch noch.
Noch ein Vorteil: hier gibt es Internetempfang, allerdings nur, wenn man sich in der Nähe des Restaurants aufhält. Klingt gut und hat einen Haken. Heutzutage geht man offensichtlich nicht mehr ins Restaurant, um zu essen, sondern um sich mit dem Handy zu beschäftigen. Es gibt ganze Sechser-Tische, an denen jeder auf sein Bildschirmchen starrt. Die Quintessenz ist, dass das Netz bis an die Schmerzgrenze ausgelastet ist und letzten Endes fast gar nichts mehr läuft.
Wolfgang gibt auf, um es eine Stunde später noch einmal zu versuchen. Das Restaurant ist leer und das Netz ebenfalls. Ruck zuck fertig.
Vielleicht ist das zu Zukunft von Restaurants: Internetcafé mit Bedienung.
Mittwoch, 7.11.18 (Etosha Safari Lodge): Wir brechen morgens auf, um früh im Nationalpark zu sein.
Beim Bezahlen fragen wir, ob die Chance besteht, im Halali-Camp innerhalb des Nationalparks zu übernachten. Das Camp selbst ist zwar eher öde, doch das dazugehörige Wasserloch ist genial. Man sitzt in der Dämmerung leicht erhöht an einem Felshang und schaut den Nashörnern und Elefanten beim Saufen zu. Oder beim Streiten. Auf jeden Fall ist immer etwas los.
Die Dame an der Rezeption meint, dass auf dem Camp wohl etwas frei sein könne, aber um sicher zu gehen, sollten wir doch bitte hinfahren. Es sind ja nur 80 km auf mieser Piste. Und wenn nichts frei ist, das Ganze wieder zurück. Bei ihrer Kollegin einfach mal anrufen, darf, kann oder mag sie nicht.
Wir sind ob dieses Services überzeugt, dass wir besser außerhalb des Nationalparks übernachten wollen.
Hin und wieder meint man zu verstehen, warum der Nationalpark nicht genug Geld verdient, um den Wild- (und Wilderer-)Schutzzaun in Ordnung zu bringen.
Draußen beim Auto steht plötzlich Werner, unser Ersatzteildealer aus Windhoek, neben dem Auto. Wolfgang kennt ihn schon seit Jahrzehnten. Er hat ihm immer einige Monate vor unserem Urlaub eine Mail geschickt mit allen Ersatzteilnummern, die wir dieses Mal brauchen. Dann hat Werner die Teile irgendwo in Europa bestellt und per Schiffscontainer geliefert bekommen. Für uns hatte das den großen Vorteil, dass wir das schwere Zeug nicht im Flugzeug hierher schleppen mussten. Und die Preise sind auch mehr als fair.
Der Zufall will es, dass Werner und sein Gast aus Deutschland in derselben Lodge übernachten wie wir. Wir verabreden uns für heute Abend im Restaurant des Camps. Mal sehen ob man da auch ohne Handy bedient wird.
Zurzeit, kurz vor der Regenzeit, ist der Nationalpark mächtig ausgetrocknet und staubig. Dabei ist Wasser für die Tiere nicht das größte Problem, das wird punktuell aus dem Boden gepumpt, doch es mangelt massiv an Nahrung für die Pflanzenfresser. Zwar gibt es an den reichlich vorhandenen Mopanebäumen grüne Blätter, aber die mag wohl keiner. Lieber kauen die Elefanten die Rinde von trockenen Ästen ab.
Der graue Kalkstaub lässt die Elefanten wie Statuen aussehen. Oder wie die als Denkmal verkleideten Künstler in den Fußgängerzonen.
Insgesamt sehen wir deutlich weniger Tiere als sonst. Vielleicht hat es schon irgendwo geregnet, denn das führt sofort dazu, dass die Tiere dorthin wandern. Aber wo sind sie hin?
Trotzdem ist es immer wieder schön in Etosha.
Abends fahren wir wieder raus auf das Camp aus der letzten Nacht und es wird zusammen mit den beiden ein gemütlicher Abend im Restaurant an der Bar. Nicht ganz, aber fast ohne Handy.
Donnerstag, 8. bis Sonntag, 11.11.18 (Sachsenheim): 7 Uhr aufstehen! Heute haben wir einen langen Strich vor uns. Auf der einen Seite rein nach Etosha, auf der anderen wieder raus. Das sind locker 300 km, von denen etliche auf unangenehmen Pisten sein werden. Im Gegensatz zu einigen anderen Nationalparks hat man hier beschlossen, keinen Aufwand für die Pistenpflege zu betreiben. Also Wellblech ohne Ende. Das kann man einerseits verstehen, denn die Touristen sollen ja langsam fahren. Doch viele Strecken sind selbst mit Tempo 30 eine Tortur für Auto und Insassen. Leihwagenfahrer sind da weniger sensibel, aber wenn man mit dem eigenen Auto unterwegs ist, dann geht das mächtig auf die Nerven. Der Fahrer ist die ganze Zeit damit beschäftigt, nach wellblecharmen Abschnitten zu suchen und nicht nach Tieren.
Vielleicht sollte sich die Nationalparkverwaltung einmal die Lösung des Krugerparks anschauen: gute Pisten und Straßen und saftige Strafen für Geschwindigkeitssünder. So richtig mit Radar und sofortigem Kassieren. Doch das hiesige Nationalparkmanagement hat offensichtlich andere Schwerpunkte. Den letzten Chef hat ein Gericht gerade zu 3.000 Euro Strafe verurteilt, weil er sich für 20.000 Euro von einer Firma “kostenlos” einen privaten Swimmingpool hat bauen lassen. Immer noch ein sehr gutes Geschäft und Null Abschreckung, ganz im Gegenteil. Und zufällig und völlig ohne Zusammenhang hat diese Firma nach dem Poolbau reichlich Aufträge vom Nationalpark bekommen.
An einem Wasserloch ist praktisch nichts los, doch dann ruft uns der Fahrer eines Safariautos zu, dass da ein Leopard käme. Und richtig, im Gebüsch weit weg bewegt sich etwas. Im Feldstecher wächst es tatsächlich zu einem Leoparden heran. Tagsüber eine Seltenheit. Und noch seltener: er kommt in aller Ruhe aus dem Busch herunter ans Wasserloch. Anfangs sichert er immer wieder in allen Richtungen, um nicht von seinen Lieblingsfeinden, den Löwen, überrascht zu werden. Doch dann ist klar, hier ist er der König. Und nur er.
Unser gestriger Eindruck von Etosha, nämlich dass sich die Tiere versteckt halten, stimmt auch heute. In dieser Jahreszeit haben wir schon große Elefantenherden vor uns gehabt, viele Löwen, sogar Nashörner. Dieses Mal ist es eher bescheiden. Ein entfernter bewegungsfauler Löwe, einige Elefanten und natürlich Antilopen, die man immer sieht. Nicht mal einen Pavian entdecken wir. Ok, die haben wir oft genug als Gelegenheitsdiebe auf den Camps, aber die werden doch wohl nicht alle als Arbeitsmigranten aus Etosha abgewandert sein?
Gestern waren wir Zeuge, wie eine Touristin auf der Piste angehalten hat und ganz entspannt zum Fotografieren ausstieg. Nicht nur lebensgefährlich, sondern auch streng verboten. Zu Recht! In jedem Kanalrohr unter der Piste und hinter jedem Busch kann’s Hungrige geben. Konsequenterweise ist die Dame dann von einem großen Reisebus, der wohl einen Ranger an Bord hatte, gestoppt und vermutlich heftig zusammengefaltet worden.
Und heute sind wir dran. Nein, nicht mit Falten, sondern mit Aussteigen. Einer unserer Reifen hat keinen Bock mehr. Wir haben allerdings Zeit genug, einen sicheren Platz mitten auf einer Wegekreuzung anzusteuern. Freier Blick nach allen Seiten.
In den zehn Minuten des Radwechsels kommen vier Fahrzeuge vorbei. Nur ein Einziger hält an und fragt, ob wir Hilfe brauchen. Wir bedanken uns und wundern uns, dass die anderen annehmen, es wäre normal, wenn in einem Nationalpark zwei Leute ums Auto laufen. Das passt auch zur Nachrichtenlage in den Medien. Dort wird immer wieder davon berichtet, dass Besucher die Tiere der Nationalparks für Streicheltiere halten. Kleine Elefanten und Löwen sind ja sooo niedlich. Die Ursache ist vielleicht, dass heute ganze Heerscharen von Touristen unterwegs sind. Der Massenauftrieb lässt das Gefühl, richtig in der Wildnis zu sein, gar nicht erst aufkommen.
Zum Schluss machen wir noch eine 30 km-Runde um die Fisher-Salzpfanne. Wenn hier Wasser steht, ist das ein Paradies voller Tiere. Doch das einzige, was hier steht, ist die heiße Luft.
Plötzlich fliegt vor uns ein Raubvogel mit Beute in den Krallen und setzt sich dekorativ in einen Baum. Der Vogel ist ein alter Bekannter, ein Weißbürzelsinghabicht (bei irgendeinem Kinderspiel geht es um möglichst komplizierte Tiernamen, das wäre sicher ein Gewinnerkandidat). Die Beute ist eine ziemlich große Spitzmaus. Dann zeigt uns der Habicht, wie man eine Maus ohne Hände und Werkzeug fachgerecht enthaart. Es ist eine mühselige Arbeit, aber führt nach kurzer Zeit zum Erfolg und Bissen für Bissen verschwindet die Maus im Habicht. Doch bevor der Teller leergegessen ist, kommt unerwarteter Besuch. Ein Rotichneumon (noch so ein Name) will etwas von der Beute abhaben. Am besten alles. Ichneumon klingt exotisch, es ist jedoch ein Mungo, so eine Art fleischfressendes Eichhörnchen. Warum er so seltsam heißt, wissen wir nicht. Er ist jedenfalls ein schneller Kletterer, doch der Habicht ist ein noch schnellerer Starter und haut samt Beute ab.
Schade, wir hätten gern die Verhandlung der beiden um den Mausrest miterlebt.
Dieses Jahr kommt Etosha nicht mit großen Elefantenherden daher, sondern mit kleinen Weißbürzelsinghabicht-Spitzmaus-Rotichneumon-Ensembles. Auch nicht schlecht.
Am Abend landen wir in Sachsenheim. Gerd, der Besitzer, heißt Sachse, ist aber keiner, sondern seine Familie kommt aus Wuppertal. Es ist sicher eines der besten Camps in Namibia. Sehr gepflegt, gutes Restaurant, viel Rasen und Schatten. Und sehr sicher, weil keine größere Stadt in der Nähe ist.
Der Gästebetrieb ist nur das zweite Standbein, der Hauptbetrieb ist immer noch eine richtige Farm, also ein Dauerkonzert aus Muhen, Mähen und Krähen.
In den drei Tagen, die wir hier bleiben, lernen wir ein nettes Pärchen aus Rastatt kennen, Konrad und Lilli. Sie sind mit einem Leihwagen unterwegs und empfehlen uns ein gutes Camp am Waterberg. Wir haben in Sachsenheim unseren nördlichsten Punkt erreicht und wollen von hier nach Südosten in die Kalahari. Da wäre der Waterberg eine gute Zwischenstation, denn in einem Rutsch schaffen wir das ohnehin nicht. Die beiden fahren in die gleiche Richtung und wir verabreden uns auf dem Camp am Waterberg.
Montag, 12. bis Dienstag, 13.11.18 (Waterberg): Konrad und Lilli nehmen die Asphaltstraße zum Waterberg, wir müssen erst in die nächste Stadt, um den Reifen flicken zu lassen, einzukaufen und zu tanken. Außerdem wollen wir noch einen Blick auf den Hoba-Meteoriten werfen. Da waren wir vor Jahrzehnten einmal, doch damals lag der Meteorit einfach nur in der Landschaft herum, ohne Erklärung, ohne Hintergrundinformation. Das soll sich jetzt geändert haben. Damals war das noch Farmgelände, heute ist es ein Nationales Monument.
Und tatsächlich. Der Brocken liegt jetzt wie in einem Amphitheater und nahebei ist ein gutes Informationszentrum. Dort erfahren wir, dass es der größte und schwerste Meteorit der Erde ist. Er besteht mehrheitlich aus Eisen und ist von Natur aus durch Nickel rostfrei gemacht. Sonst hätte er die letzten 80.000 Jahre, seit er in Namibia zu Besuch ist, kaum überlebt. Die damalige Landung dürfte spektakulär gewesen sein.
Er wiegt zwischen 50 und 80 Tonnen (es hat ihn noch niemand hoch gehoben) und ist dabei gerade mal drei Meter groß. Vom Volumen her ist er kleiner als unser Bus, würde unserem Fahrgestell allerdings den Garaus machen.
Vor 50 Jahren wollte man ihn für ein paar Pfund an einen südafrikanischen Stahlkocher verkaufen, was glücklicherweise verhindert wurde. Leider gab es in der Folgezeit immer wieder Idioten, die sich Stückchen des Meteoriten abgesägt haben. Auch mit dem Schneidbrenner hat man es versucht. An den Sägeflächen sieht man, dass er auch über Jahre nicht verrostet.
Heute wird er geschützt und hoffentlich in Ruhe gelassen.
Nebenbei erfahren wir, dass Tag für Tag 6000 Tonnen Material auf die Erde stürzen. Uff! Das ist zwar normalerweise ein stetiger Krümelregen, dessen Leuchtspuren wir oft am Nachthimmel gesehen haben, doch manchmal verirrt sich auch ein größerer Brocken zu uns, wenngleich das Schild am Eingang “Beware of Meteorites” leicht übertrieben sein dürfte.
Vom Meteoriten führt eine kleine Piste direkt zum Waterberg, deutlich kürzer als die Asphaltstraße. Wir gehen davon aus, dass sie wenig befahren und deshalb in gutem Zustand ist.
Das ist sie. Wenig befahren ist untertrieben. Auf den 150 km kommt uns genau ein Auto entgegen und nach gut drei Stunden sind wir durch. Die meiste Arbeit hatte Anette, denn sie musste viele Mal aussteigen und die Tiergatter auf- und zumachen.
Auf dem Camp treffen wir nicht nur, wie verabredet, die beiden Rastatter, sondern noch ein weiteres Paar, Dietmar und Renate, die wir seit vielen Jahren aus Windhoek kennen. Seltsam: dieses Jahr haben wir auf jedem Camp Bekannte getroffen. Namibia ist zwar viel größer als Deutschland, aber wohl doch zu klein.
Das Camp liegt direkt am Hang des Waterbergs, ist weitgehend neu angelegt und in sehr gutem Zustand. Der Berg heißt nicht zufällig so, hier gibt es sogar Wasser für mehrere Swimmingpools.
Nahe des Camps hat man einen historischen Wanderpfad angelegt, auf dem ein Ereignis erläutert wird, das heute noch die internationalen Gerichte beschäftigt. Es geht um die Schlacht am Waterberg zwischen den deutschen Kolonialsoldaten und den Herero.
Vor gut 100 Jahren hatten die Herero hier einige Tausend Kämpfer mit Familien und Vieh zusammengezogen, denn es gab ausreichend Wasser. Seriöse Quellen vermuten, dass es rund 15.000 Menschen waren, niemand weiß es genau. Ihnen standen 2500, vom Marsch ziemlich erschöpfte, deutsche Soldaten gegenüber. Deutsch-Südwest-Afrika war damals alles andere als friedlich. Stammeskriege, Überfälle und Spannungen mit der Kolonialmacht waren an der Tagesordnung.
Die eigentliche Schlacht kam nicht zustande, weil es die Herero schafften, in die Omaheke-Wüste zu entkommen, ein Teil der Kalahari. Die technische Überlegenheit der Deutschen war nutzlos, weil die Herero die bessere Ortskenntnis hatten. Für den deutschen Kommandanten war das eine schwere Niederlage, denn er sollte ja die Herero besiegen. Stattdessen haben die Deutschen bei der Verfolgung alle Wasserstellen besetzt und damit die Herero auf den aussichtslosen Weg durch die Omaheke gezwungen. Je nach Informationsquelle und politischer Absicht sind 10. bis 50.000 Menschen verdurstet, die meisten keine Kämpfer, sondern Zivilisten.
Völkermord oder nicht? Nach heutiger Lesart eine relativ klare Sache, der sich die deutsche Regierung allmählich annähert. Damals war das Ermorden oder Unterdrücken ganzer Völker gelebte Weltkultur, nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch innerhalb Afrikas oder Europas. Aber unsere Moralvorstellungen haben sich in den letzten hundert Jahren weiter entwickelt. Nach heutigen Maßstäben wären die meisten Großereignisse, die wir aus der Geschichte kennen, ein Fall für das Haager Kriegsverbrechertribunal.
Rechtfertigen Kriegsverbrechen aus der fernen Vergangenheit heutige Reparationsforderungen? Schwierige Frage, aber die Welt wird kein besserer Ort, wenn wir uns gegenseitig die Vergangenheit aufrechnen. Ansonsten müsste Deutschland jetzt die diplomatischen Beziehungen zu Schweden abbrechen wegen der Gräuel im Dreißigjährigen Krieg? Und zur Mongolei, denn Dschingis Khans Reiter waren sicher keine Ehrenmänner? Kein Staat oder Volk kann da mit einer weißen Weste glänzen.
Wären denn Reparationszahlungen unmittelbar nach einem Krieg angemessen? Auch das eine schwierige Frage, denn zahlen muss üblicherweise die Zivilbevölkerung und nicht die, die den Krieg angezettelt haben.
Die Herero-Reparationsforderungen von 30 Milliarden Euro, die einige Gruppen vor einem New Yorker Gericht durchsetzen wollen, sind insofern politischer und sozialer Nonsens. Nicht nur grundsätzlich, sondern auch in der Größenordnung. Die gesamte Entwicklungshilfe, die Namibia von Deutschland erhalten hat, beläuft sich auf rund eine Milliarde, und zwar in 30 Jahren für ein ganzes Volk! Das ist die höchste Pro-Kopf-Quote aller Länder. Und jetzt noch 30 Mal so viel für ein 10%-Völkchen?
Letztlich geht es hier nicht um Wiedergutmachung, sondern um politische Ränkespiele zwischen einigen Herero-Gruppen, der namibischen und der deutschen Regierung. Fakten oder politische Klugheit sind da eher hinderlich. Mal sehen, wie die Sache vor dem New Yorker Gericht weiter geht. Absurde Nachrichten aus den USA sind wir ja seit ein paar Jahren gewohnt.
Im Camp werden geführte Wanderungen an den Rand des Plateaus angeboten. Auf dem Plateau umherwandern dürfen wir nicht, denn das ist schon Teil des Nationalparks, der nur über den offiziellen Eingang betreten werden darf.
Unser Führer ist ein junger und gut ausgebildeter Herero. Er hat seitens seiner Vorgesetzten die Order, nichts über die damaligen Vorgänge oder das heutige Leben der Herero zu erzählen. Das Management der Lodge ist offensichtlich der naiven Meinung, damit könnte man das Thema unter der Decke halten. Da die meisten Teilnehmer der Wanderung das völlig anders sehen und großes Interesse an den geschichtlichen Hintergründen haben, gibt uns unser Guide viele interessante Einblicke in das Gestern und Heute der Hereros. Er hat kluge Ansichten und die Diskussion mit ihm trägt viel zum gegenseitigen Verständnis bei.
Auf dem Gelände der Lodge hat nun einmal eines der markantesten Großereignisse der namibischen Geschichte stattgefunden, da sollte das Management diesen Umstand lieber aktiv nutzen. Doch man ist offensichtlich der Meinung, dass Touristen nur hierher kommen, um die Natur und Tiere zu genießen. Politik und Geschichte stören das Geschäft eher und werden ausgeblendet. Wenn sie sich da mal nicht irren ...
Jedenfalls waren für die meisten Teilnehmer der Wanderung die interessantesten Momente jene, in denen der Guide Einblicke in sein eigenes Leben und das heutige Leben der Herero gegeben hat.
Die Wanderung selbst geht vom Tal aus rund 200 Höhenmeter steil aufwärts, teilweise auf allen Vieren, bis hoch auf das Plateau. Nicht wenige Teilnehmer werden am nächsten Tag einen ordentlichen Muskelkater haben. Oben bietet sich ein fantastischer Rundblick in die endlose Weite der Omaheke-Wüste. Öde Trockenheit bis zum Horizont und man ahnt, warum das Wasser des Waterbergs so eine eminente Bedeutung hatte und hat.
Mittwoch, 14. bis Freitag, 16.11.18 (Harnas): Konrad und Lilli wollen als nächstes auf die Harnas-Farm in der Nähe von Gobabis und wir wollen da auch ein paar Tage verbringen. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung rüber nach Botswana. Harnas ist keine wirkliche Farm, sondern eine große Aufnahmestation für all’ die Wildtiere, die woanders nicht mehr gebraucht oder gewollt werden. Man hat mehrere Farmen zusammengelegt und riesige Gehege geschaffen. Hier finden alle ihren Platz, die sonst gestorben oder umgebracht worden wären. Aidskranke Löwen, Leoparden-Waisen, verletzte Tiere, für den Haushalt zu groß gewordene Raubtiere. Außerdem haben sie hier einige schöne Chalets, ein gutes Restaurant, nette Campingplätze und abends ein beeindruckendes Konzert der Löwen, die sich über mehrere Kilometer hinweg über den Tag austauschen.
Ein Platz zum Faulenzen und, wenn man will, mit viel Kontakt zu Tieren.
Nach einem kurzen Einkauf in Okakarara, dem Herero-Hauptort, geht es auf die 300 km lange Strecke nach Harnas. Ein Stück auf Asphalt, doch das meiste auf leicht sandiger Piste quer durch die Kalahari. Leider sind wir eine Woche zu früh dran, denn ein großer Teil der Piste soll “gegradet” werden, wie man hier sagt. Ein Pistenhobel rasiert und planiert die Oberfläche der Piste, so dass sie danach wieder flott befahren werden kann. Der Grader hat die ersten Kilometer schon fertig, doch danach wird es unschön und laut wegen des Wellblechs.
Unser Bus hat seit 1000 km eine ganz besondere Macke: immer, wenn die Piste schlecht wird, läuft der Scheibenwischer eine Runde. Für das Straßenbauministerium wäre das die perfekte Messmethode, um den Pistenzustand zu erfassen. Für uns ist es nur lästig und wir fahren wegen des Sandes auf den Scheiben meist mit abgeklappten Scheibenwischern. Das sieht ziemlich blöd aus, aber wenn wir schon eine nagelneue Windschutzscheibe haben, dann wollen wir die nicht gleich wieder verkratzen.
Die Piste nach Harnas gehört streckenweise zur Kategorie “Scheibenwischerdauerlauf”, doch nach sechs Stunden haben wir es hinter uns und zwei faule Tage vor uns.
Am nächsten Tag können wir zuschauen, wie zwei Tierärzte ein fettes und zahmes Warzenschwein in den OP kriegen wollen. Erst liegt es unter einem Tisch an der Bar und schläft friedlich, dann bekommt es mit einem Gewehr eine Spritze in den Hintern geschossen (dort hat es einen Abszess, der wegoperiert werden soll). Es legt sich wieder unter den Tisch und schläft, doch es ist ganz und gar nicht betäubt, nur ein bisschen müde. Die zweite Spritze erfolgt von Hand, was dem Warzenschwein nicht gefällt. Es haut über die große Wiese ab und die Ärzte hinterher. Es will partout nicht umfallen, doch sein Gang ist schon leicht onduliert. Nach einer dritten Spritze benimmt es sich wie ein Sturzbetrunkener. Mal knickt das linke Bein ein, dann wieder das rechte, dann liegt es auf dem Rücken und strampelt. Das Tier eiert über die Wiese, aber es gibt nicht auf. Irgendwann haben die Ärzte es niedergerungen, doch es kommt wieder hoch. Das alles ist ziemlich gefährlich, denn auch sturzbetrunkene Schweine haben prächtige Hauer und die können böse verletzen.
Die Ärzte erzählen uns, dass das Tier voll mit Adrenalin sei, weil es verzweifelt gegen das Umfallen ankämpft. Und dieses Adrenalin dämpft die Wirkung des Betäubungsmittels. Nach eineinhalb Stunden siegt schließlich die Chemie über den Willen und es träumt von rosa Elefanten, wie man hier sagt. Mit sechs Leuten wird es in den OP verfrachtet.
Auch auf Harnas gehören Mungos zu den unterhaltsamsten Tieren. Die Schar ist mindestens 50 Tiere groß und ständig auf der Suche nach Fressbarem.
Später haben wir noch eine Chance für unsere tägliche gute Tat. Drei Enten einer Sorte haben es auf eine einzelne Ente einer anderen Sorte abgesehen. Sie haben sie am Hals gepackt und drücken sie gemeinsam unter Wasser. Sie hätte wohl wenige Chancen, wenn wir ihr nicht zu Hilfe kommen würden. Unsere Ansprache über Rassismus und Respekt fruchtet zwar nichts, doch sie lenkt ab und die Ente kann sich ein wenig losreißen. Unser überzeugendstes Argument sind allerdings unsere Füße, mit der wir die drei Angreifer wegschubsen und an der Verfolgung hindern können.
Die bittere Erkenntnis: Aggression kann man nicht allein durch ermahnende Diskussionen beenden, sondern auch durch körperliche Überlegenheit. Oder den Gebrauch von Frühstücksbrettern.
Am Tag der Abreise kriegen wir unerfreuliche Nachrichten. Anettes Tante in Windhoek geht es gar nicht gut. Da alle ihre Kinder über 10.000 km entfernt leben, beschließen wir, nach Windhoek zurück zu fahren.
Am Abend sind wir da und das war auch die richtige Entscheidung. Mit fast 90 Jahren kann die Tante Hilfe gut gebrauchen. Ein paar Tage später müssen wir sie sogar in ein Krankenhaus bringen.
Dieses Jahr ist wirklich das Jahr des Umplanens. Andererseits, wir sind ja in einer Lebensphase, wo wir nicht mehr in ein enges Terminkorsett eingebunden sind. Und einen festen Plan hatten wir ja auch nicht, bestenfalls ein grobes Plänchen. Doch das ist jetzt zum wiederholten Male im Eimerchen.
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