Mittwoch, 21.9.16 und Donnerstag, 22.9.16 (Windhoek): Es ist wie immer: Wolfgang fliegt mit rund 30 kg Gepäck los, davon 29 kg Teile vom Auto und eine Zahnbürste. Es ist, auch das wie immer, ein bisschen traurig, sich von Leuten zu verabschieden, die man gerne mitgenommen hätte. Als der Condor-Mitarbeiter hinterm Check-In-Schalter (zufälligerweise ein richtiger Afrikaner) die Kinder fragte, ob sie mit wollten, kam heftiges Nicken. Als er dann fragte, ob sie denn auch gut Englisch sprächen, verschwanden die Köpfe wieder hinterm Tresen.
Aber vielleicht wird das ja noch was in ein paar Jahren.
Angenehmer Flug, Landung am Morgen in Windhoek, dann mit dem Taxi zum Bus, ein paar Stunden schrauben, damit der Bus wieder fahrbereit ist. Starten. Läuft.
Noch kurz bei Elsbeth vorbei zum Guten Tag sagen, das Nötigste zum Überleben einkaufen und ab nach Elisenheim, die OP-Station für die nächsten Wochen.
Der Patient hat allerlei Wehwehchen, die vor der Abreise noch behandelt werden müssen. Die Benzinventile zu den Tanks stinken, weil altersinkontinent. Die hintere Stoßstange ist onduliert, weil eine Palme plötzlich hinters Auto gesprungen ist. Die vordere ebenfalls, weil sich eine Sanddüne daneben benommen hat. Der Fahrerraum braucht neuen Lack und Teppichboden. Die alten Halogenscheinwerfer fliegen raus, weil die Wimmerlichtlein nicht gegen moderne LED anleuchten können. Das ganze Gemüse um die Armaturentafel muss lackiert und besser verkabelt werden. Und, last but not least, sämtliche Armaturen und Anzeigen brauchen eine Beleuchtung, die den Namen auch verdient, damit der alternde Fahrer wieder sieht, was die Zeiger ihm sagen wollen.
Genug Stoff für ein paar Wochen.
Freitag, 23.9. bis Mittwoch, 12.10.16 (Windhoek): Es geht vorwärts!
Es hat ein paar Tage gedauert, sich an die Temperaturen zu gewöhnen und ein wenig zum Afrikaner zu werden. Das Tempo, mit dem wir in Deutschland an die Sache rangehen, hält man hier nicht lange durch.
Die Armaturentafel schimmert in allerfeinstem satinschwarz. Wieder, weil nachts um 4 Uhr eine mächtige Windböe das frisch lackierte große Blechteil durch die Luft gewirbelt hat. Nach der Landung war der Lack ab und der Campingplatz wach. Doch inzwischen ist alles wieder abgeschliffen und noch einmal lackiert. Wie auch das ganze Arbeitszimmer frisch lackiert und teppichbodenmäßig verjüngt ist.
Die Instrumentenbeleuchtung ist jetzt ein Genuss. Obwohl wir Nachtfahrten grundsätzlich vermeiden, ist es doch schön zu wissen, dass der Fahrer im Falle eines Falles auch sehen kann, was er tut.
Früher musste, wenn einer unserer Tanks leer war, einer nach hinten klettern (meistens Anette), ein paar Teile aus der großen Bank heraus räumen, um an die darunter liegenden Ventile zu kommen und sie von Hand umzuschalten. Und heute? Ein kleiner Dreh an einem Schalter an der Armaturentafel und zwei elektrische Geister machen die Ventile ganz alleine auf und zu.
Ein paar Sachen sind noch zu erledigen, doch das wird schon.
Eine nette Geschichte gibt es noch. Zwei schweizer Familien campen auf einem Platz 100m weg von Wolfgang. Sie haben zusammen acht Kinder, alle im Alter von drei bis zehn Jahren.
An sich gelten Schweizer als nicht sehr lautes Völkchen, doch diese sind das Gegenteil. Man hört ständig mindestens drei Leute reden oder herumschreien. Um was es geht, ist schwer verständlich. Im Fernsehen wird Schwyzerdütsch untertitelt, hier nicht.
Doch das ist nicht das Auffälligste an der Gruppe, sondern der Zwang der Kinder, immer zu rennen. Nie geht eines im normalen Gang an Wolfgang vorbei zu den Sanitäranlagen, sondern immer im Laufschritt. Und nie alleine, sondern immer zu mehreren.
Alles kein Problem, solange es nicht Nacht ist. Wolfgang sitzt noch am Tisch und arbeitet, da kommt ein Fünfer-Geleitzug angerannt. An jedem Kopf strahlt eine extrem helle Stirnlampe. Schweizer lieben ja High-Tech. Auf Höhe von Wolfgang: alle Augen rechts und er sieht Sterne. Es ist brutal, wie grell diese Lämpchen sind. Nach drei Sekunden: alle Augen geradeaus und Wolfgang versucht, sich wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen. Kaum ist das gelungen, kommt, tap tap tap, der Geleitzug zurück. Alle Augen links, Wolfgang flucht innerlich und schon sind sie vorbei.
Nach einer halben Stunde, tap tap tap, der nächste Durchlauf. Diesmal vier Stirnlampen mit Beinen. Wieder alle Augen rechts, doch diesmal kommt postwendend eine Antwort. Wir haben im Bus für Notfälle eine extrem helle Taschenlampe, die angeblich bis zu 500 m weit leuchtet. Und auf 5m ist das eine wahre Erleuchtung. Das finden auch die Kinder einleuchtend. Als der Geleitzug zurück kommt, tap tap tap, alle Augen brav nach unten. Vermutlich haben sie noch immer grüne Punkte gesehen, aber vielleicht was fürs Leben gelernt.
Stirnlampen sind eine Seuche!
Donnerstag, 13.10. bis Samstag, 5.11.16 (Windhoek): Anette kommt wie ein großer schwarzer Schatten über Wolfgang. Der ist nämlich echt früh aufgestanden, um rechtzeitig 8 Uhr am Windhoeker Flughafen zu stehen. Zwei Kilometer vor dem Flughafen wird es trotz strahlendem Sonnenschein plötzlich ganz dunkel auf der Straße. Anette schwebt im Tiefflug über Wolfgang hinweg. Erstaunlich leise und wirklich sehr tief. Wenige Sekunden danach setzt sie auf.
Der Ostwind hatte diese ungewöhnliche Anflugrichtung nötig gemacht.
In den nächsten Tagen und Wochen kümmert sich Anette ein wenig um Elsbeth, während Wolfgang die Stoßstangen bügelt und lackiert. Und auch die Lenkung kriegt ein paar neue Gelenke.
Ab jetzt sieht unser Dachgepäckträger nicht mehr aus wie ein Dachgepäckträger, sondern wie ein Dachzelt. Das ist ein bei Touristenfahrzeugen sehr beliebtes großes Ding auf dem Dach, was man wie einen Koffer aufklappt und aus dem heraus sich dabei ein Zweimann-Zelt entfaltet. Über eine Leiter klettert man nach oben und kann darin schlafen. Der Anschein eines Dachzeltes ist für uns insofern sehr praktisch, als ein Zöllner an der Grenze wenig Appetit hat, in den miefigen Betten eines Dachzeltes herum zu stöbern. Wüsste er hingegen, dass sich da oben drei Benzinkanister, ein Reserverad, zahlreiche Ersatzteile und ein Haufen sonstiges Zeug befinden, würde er wohl anders darüber denken. Wir haben zwar nichts Verbotenes auf dem Dach, doch ohne Kontrolle geht’s einfach schneller.
Zumindest bei anderen Reisenden hat die Verkleidung geklappt, denn die gingen alle davon aus, dass wir in dem Zelt auf dem Dach schlafen.
Sonntag, 6.11.16 (vor Etosha): Seit mehreren Tagen wollen wir aufbrechen, aber immer kam etwas dazwischen. Heute nicht! Kurz vor Mittag sind wir auf dem Weg in den Norden, Richtung Etosha Nationalpark.
Weit kommen wir nicht. Nach 200 km meckert einer der Reifen. Ausgerechnet der, den wir vor wenigen Tagen in einer Werkstatt haben prüfen lassen, weil er ganz allmählich die Luft verlor. Die fanden aber nichts.
Ein heftiger Gruß der Regenzeit lässt uns für zehn Minuten Schiff spielen. Trotzdem sind wir rechtzeitig vor Sonnenuntergang in einer netten Lodge am Rande der Etosha Pfanne. Das erste Camp auf einer großen grünen Wiese.
Montag, 7.11.16 (Etosha NP): Wir lassen es gemütlich angehen und laufen erst am Mittag im Nationalpark ein. Wir sind überrascht, dass eines der vier Camps im Park komplett ausgebucht ist. An sich war um diese Zeit immer wenig los. Vielleicht hat das mit den Problemen einiger Reiseländer zu tun, gegenüber denen ist Namibia immer noch relativ sicher.
Schon seit ein paar Jahren ist uns aufgefallen, dass sich der typische Namibia-Reisende verändert hat. Früher waren das hauptsächlich Leute, die sich für Wüste, Tiere, Einsamkeit interessierten, heute hat man den Eindruck, es geht vielen nur noch um das Spazierenfahren von technischem Equipment, insbesondere bei denen mit eigenem Auto. Die abendlichen Gespräche kreisen um die Fahrzeuge und deren Ausrüstung, um die neuesten Smartphone-Apps, um Computer und Navi und möglichst schwierige Strecken. Afrika und die Afrikaner spielen oft nur als Kulisse eine Rolle. Vielleicht ist es inzwischen “in”, im Freundeskreis sagen zu können “Ich bin durch Afrika gefahren”. Oftmals prangt auch außen am Fahrzeug unübersehbar der Name der Website, auf der die Abenteuer veröffentlicht werden. Afrika als Spektakel.
In Windhoek trafen wir einen “Reisenden”, der mit seinem LKW in sieben Wochen von Deutschland nach Namibia durchgefahren ist. Reisen oder rasen? Ob er auch etwas von Afrika mitbekommen hat?
Zurück zu Etosha. Wir entscheiden uns, in den bis vor wenigen Jahren unzugänglichen Westen zu fahren. Dort gibt es ein neues Camp, wo noch etwas frei ist.
Der Nationalpark ist so trocken, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Grau und beige sind die vorherrschenden Farben. Viele Wasserlöcher sind versiegt und die Tiere sind auf die künstlichen Wasserstellen angewiesen. Leider führt das wiederum dazu, dass in deren Nähe alles Fressbare vertilgt ist. Wenn nicht bald Regen kommt, wird das noch dramatisch.
Die Fahrt nach Westen ist lang und staubig. Glücklicherweise liegt das Camp zu weit weg von den touristischen Zentren, so dass wir kaum jemandem begegnen. Auch Tiere machen sich rar. Zwar viele Antilopen, dazu einige Elefanten (unsere ersten seit fast zwei Jahren!) und sogar ein Nashorn, doch gemessen an dem, was man sonst in Etosha zu sehen bekommt, ist’s eher mager.
Nach 120 km kommen wir im Olifantsrus Camp an. Der Name “Elefanten Ruhe” erinnert an einen Friedhof. Soll er auch, denn hier hat man vor 30 Jahren mehr als 500 Elefanten geschlachtet. Damals waren wegen Trockenheit und Wilderei viele Elefanten in diesen Bereich der Etosha Pfanne eingewandert. Die Wildhüter waren der Meinung, dass die Natur eine derart hohe Zahl von Tieren nicht verkraften kann und die Tiere über kurz oder lang ohnehin verhungern würden. Deshalb wurden ganze Herden erschossen und hier zu Fleisch verarbeitet. Die übrig gebliebenen Kräne und Gestelle wirken auch heute noch verstörend.
Eine kleine Ausstellung erklärt das Was und Warum, lässt jedoch die Frage unbeantwortet, wie man das Problem der Überpopulation einzelner Tierarten auf bessere Weise lösen könnte. Vielleicht gibt es einfach keine gute Antwort dazu.
Dienstag, 8.11.16 (Etosha NP): Der Westen des Nationalparks ist generell nicht so dicht besiedelt wie der Osten, doch tierfrei ist er auch nicht. An einem Wasserloch sehen wir die beiden Tiere einträchtig nebeneinander, die hier an der Spitze der Nahrungskette stehen. Ein Rudel Löwen schaut friedlich zu, wie die Elefanten Hautpflege betreiben. Im Respektsabstand warten viele andere Tiere darauf, dass sich die Großen endlich trollen. Doch die tun ihnen den Gefallen nicht. Erst als einer der Elefanten auf die Löwen zugeht, weichen die etwas aus. Damit ist klar, wer hier der wirkliche Boss ist. Den umstehenden Durstigen hilft das allerdings nicht weiter, gegen acht Löwen haben sie keine Chance.
Unsere Vorderachse hat die Nase von dem vielen Wellblech voll. Ohne erkennbaren Grund klappert sie so laut, dass wir einen Gang zurücknehmen müssen.
Zum Sonnenuntergang sind wir in Halali, einem großen Camp, das ebenfalls ungewöhnlich voll ist. Es sind viele Gruppen mit Minibussen da, auch ein paar Overlander (LKWs mit 20 und mehr Leuten).
Der Hauptgrund, hierher zu kommen, ist aber nicht das Camp, sondern das nahe liegende Wasserloch. Man sitzt an einem Felshang und schaut von oben den Elefanten und Nashörnern beim Saufen und Raufen zu.
Mittwoch, 9.11. und Donnerstag, 10.11.16 (Sachsenheim): Als wir mittags den Nationalpark verlassen wollen, wartet eine ganz besondere Überraschung auf uns. Wir dürfen nicht raus, sondern müssen vor dem Ausgang unsere verbliebenen Eier kochen. Der Grund: die in Nordnamibia stets präsente Maul- und Klauenseuche hat auf Wildtiere übergegriffen. Deshalb gilt der Park als Seuchengebiet und es dürfen weder rohes Fleisch noch ungekochte Eier über die Grenze nach Süden gebracht werden. Früher lag diese Grenze nördlich des Parks, so dass wir nichts davon mitbekommen haben.
Das Fahrzeug vor uns hat noch mehr Freude, die dürfen nämlich ihre Steaks braten. Oder das Fleisch wandert in die Mülltonne.
Das Problem dieser Seuche ist, dass bei einem Ausbruch sofort jeglicher Export von Fleisch gestoppt werden muss, wenn ein bisher seuchenfreies Gebiet betroffen ist. Für das Nachbarland Botswana hat das vor einigen Jahren dramatische Konsequenzen gehabt, denn der Fleischexport ist dort eine der Stützen der Wirtschaft.
Wir fahren jedenfalls mit vier hart gekochten und garantiert seuchenfreien Eiern ein paar Kilometer weiter auf die Farm Sachsenheim. Die hat ein ausgesprochen schönes Camp und ein Restaurant. Und der Farmer ist sicher dankbar, dass wir ihm keine Maul- und Klauenseuche mitbringen, denn wir hörten, dass er 10.000 Rinder hat.
Auf dem Camp steht nur noch ein einziges Fahrzeug. Die Fahrerin winkt schon von weitem. Wir kennen Monika, eine Schweizerin, schon aus Windhoek und aus dem vorigen Jahr. Bis heute Vormittag waren noch zwei weitere Fahrzeuge da, die wir ebenfalls ganz gut kennen. Überhaupt haben wir dieses Jahr ungewöhnlich viele Bekannte wieder getroffen, sogar einen, mit dem wir 2010 zur Fußballweltmeisterschaft ein paar Tage zusammen in Tansania standen. Leider ist das Wiedererkennen ziemlich asymmetrisch. Ein weißer Geländewagen mit Dachzelt fällt uns einfach nicht auf (weil alle so aussehen), ein alter gelber VW-Bus springt da schon eher ins Auge.
Monika hat noch eine weitere Überraschung für uns parat. Diesmal eine schlimme. Amerika hat doch tatsächlich einen Kasper zum Präsidenten gewählt. Hätte man den Amerikanern nicht vorher erklären können, dass sie nicht den König fürs Dschungelcamp wählen, sondern den Mann, der den Finger am Abzug der gefährlichsten Waffen der Welt hat? Der letzte dieser Präsidentendarsteller, Georg-Doppel-U, hat den Nahen Osten in einen Brandherd verwandelt und der vorletzte, Cowboy-Ronald, die USA in die Pleite geführt.
Irgendwie rollt gerade eine Krankheit um die Welt. Die Briten wollen wieder zurück zur alten (Kolonial-)Größe, die Amerikaner wollen auch wieder groß werden (wer hat sie eigentlich klein gemacht?), Polen, Österreicher und Franzosen taumeln in die gleiche Richtung. Volle Kraft zurück, nicht nur in Europa.
Jetzt kommt also der dritte Donald aus Amerika. Der erste hieß Ente und hat der deutschen Nachkriegsgeneration Spaß gemacht, der zweite hieß Mac und hat dick gemacht und was macht der Dritte? Im Augenblick wohl vorwiegend Angst.
Lacht da noch jemand über afrikanische Potentaten, die AIDS mit heißem Duschen bekämpfen wollen?
Freitag, 11.11.16 (Rundu): Auf nach Zambia. Rund 800 km fehlen uns noch. Die ersten 300 nehmen wir heute unter die Räder, davon gut die Hälfte auf einer nicht sehr befahrenen und damit weitgehend wellblechfreien Piste. In drei Stunden kommen uns zwei Autos entgegen.
Unterwegs geht es wieder zurück in das Seuchengebiet, doch nach Norden darf man alles unkontrolliert mitnehmen.
In Rundu können wir endlich den kurz nach Windhoek undicht gewordenen Reifen flicken lassen, Geld aus dem Automaten ziehen, tanken und einkaufen. Wir brauchen nicht nur Benzin bis zur Grenze, sondern wollen auch mit vollen Tanks in Zambia ankommen, denn dort kostet das Benzin fast doppelt so viel wie in Namibia.
Die Weiterfahrt zu unserer Lodge gestaltet sich schwierig, da die direkte Piste gesperrt ist. Wir müssten entweder viele Kilometer Umweg machen oder durch den Sand zwischen den Hütten abkürzen.
Wir nehmen natürlich den kürzesten Weg und schlingern unter dem Applaus der Anwohner und “Yeah-Volkswagen”-Rufen durch den tiefen Sand. Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir es noch nicht, doch wir werden in den nächsten Tagen unsere Sandkompetenzen noch deutlich ausbauen müssen.
In der Kaisosi-Lodge hatten wir vor Jahren einmal das Vergnügen, das Bad mit einer Spei-Kobra teilen zu müssen. Wir hatten ihr damals zwar nur unser Hinterteil zugewandt, so dass sie ruhig hätte spucken können, doch sie hat auch ein paar Zähnchen. Leider tödliche.
Dieses Mal ist alles fein und wir legen zum ersten Mal in diesem Jahr ein Stück Fleisch auf das Feuer.
Samstag, 12.11.16 (Katima Mulilo): Heute steht ein 500 km-Ritt an. Alles easy, alles Asphalt. Ein paar Straßenkontrollen warten unterwegs auf uns, doch die Polizisten sind alle ausgesprochen freundlich und wir hätten das Auto wieder ein paar Mal verkaufen können. Naja, ernsthafte Kaufabsichten hätten die meisten sicher nicht gehabt. Was sollen die hier mit so einem Auto? Unsere Standardantwort: “Du bist Nummer 57 in der Reihe der Interessenten” ist immer ein Lacher und niemand hat danach Interesse, unsere Papiere zu überprüfen. Auch der Tankwart raunt uns zu “Like your car”. Und der Nachbar auf dem Supermarktparkplatz “Nice car”. Das Ding macht gute Laune. Weiter so.
Kaum stehen wir auf dem Camp am Zambezi in Katima Mulilo, kommt eine Gruppe junger Südafrikaner rüber und es entwickelt sich ein sehr nettes Gespräch über Gott und die Welt. Und natürlich über VW-Busse, denn einer der Südafrikaner hat fast den gleichen Bus, doch bei ihm hat der Motor vor ein paar Tagen die Beinchen durchs Gehäuse gesteckt und jetzt reist er entspannt auf einem Tieflader.
Sonntag, 13.11. bis Mittwoch, 16.11.16 (Kabula Lodge): Die Grenze wartet. Normalerweise sind die Grenzübergänge nach Zambia eine Tortur. Chaotisch organisiert, viel Gedränge, überall Schlepper, die ihre Dienste anbieten. Wir hoffen allerdings, dass es am Sonntag Mittag ruhiger ist. Da sollten sowohl die LKWs fehlen als auch der Einkaufsverkehr. Letzteres stimmt nur bedingt, denn auf dem Weg zur Grenze überholen wir viele hemmungslos überladene Fahrräder. In Namibia scheint vieles billiger zu sein.
Die Grenzeinrichtungen sind neu gebaut. Vor ein paar Jahren waren die verschiedenen Dienststellen überall verstreut in Hütten und abgewrackten Wohnwagen. Und heute? Ein großer heller Raum mit ein paar Schaltern. Kein Gedränge, keine Schlepper, freundliche Beamte. Wir haben uns an dieser Grenze zum ersten Mal willkommen gefühlt.
Trotzdem hat Zambia immer noch die teuerste Einreise aller Staaten hier unten. Aber wenn man freundlich ausgenommen wird, hat man gleich ein besseres Gefühl.
100 US$ für die Visa, 20 US$ Straßengebühren, 100 Kwacha (10 Euro) Kohlenstoffsteuer, 490 Kwacha (45 Euro) Haftpflichtversicherung, 30 Kwacha (3 Euro) Gemeindesteuer. Macht rund 170 Euro Eintritt in das Land. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass Südafrika nichts haben will und Namibia und Botswana 25 Euro.
Es ist durchweg ein entspannter Grenzübergang und wir sind in knapp eineinhalb Stunden fertig.
Am längsten hat dabei das Wechseln von US$ in die lokale Währung Kwacha gedauert. Geldwechsler auf der Straße sind, egal in welchem Land, immer mit Vorsicht zu genießen. Mit größter Vorsicht. Sie treten immer im Pulk auf und verstehen es perfekt, ein Durcheinander zu erzeugen, in dem man den Überblick verliert. Das ist schließlich ihr Geschäft.
Wir ziehen deshalb immer das gleiche Spiel durch, nach unseren Regeln. Wir signalisieren ihnen, dass wir Geld wechseln wollen, gehen zum Bus, machen die Türen zu und ein Seitenfenster eine Handbreit auf. Dann lassen wir uns von ihnen die Wechselkurse nennen, schreiben sie für alle lesbar auf einen Zettel und verhandeln mit ihnen. Auch wenn man das alles schnell im Kopf rechnen könnte, nehmen wir immer einen Taschenrechner zu Hilfe. Das schafft Waffengleichheit, denn die Jungs - es sind immer Jungs - sind virtuos auf ihren Handys.
Wenn wir uns einig sind, schreiben wir die Zahlen noch einmal auf den Zettel, holen das Geld, was wir tauschen wollen heraus und legen es in die Mitte auf das Armaturenbrett. Dann lassen wir uns von ihnen die lokale Währung geben und prüfen in aller Ruhe jeden einzelnen Geldschein. Für alle sichtbar.
In vielen Ländern gibt es eine alte und eine neue Währung. Bei der neuen hat man drei oder vier Nullen abgestrichen, so dass der gleiche Betrag in alten Scheinen praktisch nichts mehr wert ist.
Wenn alles in Ordnung ist, bekommen die Wechsler das Geld vom Armaturenbrett und der Deal ist erledigt. In diesem Fall war der Kurs zwar schlecht (wie immer), aber ansonsten war alles korrekt.
Hinter der Grenze finden wir im nächsten Örtchen tatsächlich nach langem Suchen in einem Hinterhof einen Geldautomaten. Seltsamerweise völlig unbewacht.
Wir probieren vier verschiedene Karten aus und immer meint der Automat, sie wären ungültig. Doch bei der fünften hat er ein Einsehen und rückt ein paar Scheinchen heraus.
Eine Stunde später biegen wir von der Hauptstraße in eine kleine Piste ein, doch die an der Straße noch groß angekündigte Lodge existiert nicht mehr. Ein paar Kilometer weiter haben wir mehr Glück. Schöner Rasen mit großen Schattenbäumen, ordentliche Sanitäranlagen und eine Terrasse über dem Zambezi für einen schönen Sundowner.
Hier bleiben wir ein paar Tage. Ohne Strom, Trinkwasser und Telefon.
Am späten Nachmittag wird es laut. Nach und nach trudeln zwölf Geländewagen ein. Die meisten sind Südafrikaner, die lieben ja Gruppenreisen. Diese ist ganz besonders luxuriös, denn die Besatzungen der beiden Begleitfahrzeuge bauen die Zelte auf und machen das Essen.
Einer der Mitfahrer spricht uns an. Rolf ist aus Deutschland und arbeitet bei VW. Je mehr wir uns mit ihm unterhalten, desto mehr Berührungspunkte stellen wir fest. Er kennt Wolfgangs Uni-Institut recht gut, hat dort seine Diplomarbeit gemacht und am Institut von Wolfgangs Zimmernachbarn promoviert. Außerdem war er beim Technischen Hilfswerk und hatte einen unserer besten Freunde als Zugführer.
Die Welt ist ein Dorf.
Die Gruppe ist auf dem Weg in den abseits gelegenen Liuwa Plains Nationalpark, der für uns wegen der schwierigen Pisten und des tiefen Sandes nicht in Frage kommt.
Leider benimmt sich unser Bus nicht so, wie es für einen VW angemessen wäre. Genauer: der Vergaser zickt, obwohl er vor Kurzem zerlegt und gereinigt wurde. Auch das Abgas lässt sich nicht einwandfrei einstellen.
Zwei Tage und einige Testfahrten später ist alles wieder fein. Eine Fussel hatte kaum sichtbar eine Düse verstopft.
Donnerstag, 17.11.16 (Mongu): Wir wollen heute hoch nach Mongu, der größten Stadt im Umkreis von 500 Kilometern. Als wir das erste Mal dort waren, in den neunziger Jahren, haben wir uns noch über eine schlechte Piste und eine schwierige Fähre nach Norden gearbeitet. Heute ist alles sauber asphaltiert und wir sind innerhalb weniger Stunden da.
Unterwegs wartet noch eine seltsame Straßensperre auf uns. Auf einem Schild werden wir darüber aufgeklärt, dass Holz, Rinder, Mangos, Fisch und Touristen eine Gebühr von sechs Euro zu bezahlen haben. Finanzminister sind zwar weltweit für ihre Fantasie beim Erfinden immer neuer Steuern bekannt, aber der hiesige ist darin ganz besonders begabt.
Auf der Quittung der Behörde, die das Geld einkassiert, prangt ganz oben ihr Motto: “Gastfreundschaft ist unser Stolz”. Wir finden das ausnehmend (!) gastfreundlich.
In Mongu angekommen gestaltet sich die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit schwierig. Das erste Camp in einer Missionsstation ist aufgegeben, das zweite hat kein Camping, das dritte ist ein Gästehaus der Apostolischen Kirche und bietet uns an, auf dem Parkplatz zu übernachten, und beim vierten fahren wir aus Versehen in den Palast des Lozi-Königs. Drei ältere Herren begrüßen Wolfgang zwar sehr freundlich mit Handschlag, sind sich aber ganz sicher, dass es im Palast kein Camping gibt. Aber wenn wir schon mal da wären, sollten wir uns doch das nebenan liegende Lozi-Museum anschauen.
Wir werden also auf dem Parkplatz des apostolischen Gästehauses übernachten.
Die Lozi sind ein hier ansässiges Volk, das sich viel von seiner Eigenständigkeit bewahrt hat. Ihr König, der Litunga, hat zwar keine große politische Macht, ist aber eine hoch angesehene gesellschaftliche Institution. Er hat zwei Paläste, wobei der Begriff Palast zu falschen Bildern führt. Es sind eher bescheidene Residenzen, eine für die nasse und eine für die trockene Zeit des Jahres. Die riesige Ebene, in deren Mitte der Zambezi fließt und an deren Rand Mongu liegt, steht ab Januar weitgehend unter Wasser. Nur einzelne erhabene Stellen bleiben trocken, fast so wie die norddeutschen Halligen. Wenn nur noch Boote fahren können, zieht eine große und viel besuchte Prozession mit dem ganzen Hofstaat vom Tieflandpalast an das Hochufer. Das größte Boot mit dem König wird von mehr als hundert Ruderern bewegt.
Die Dame am Eingang des Lozi-Museums teilt uns mit, dass leider der Strom ausgefallen sei und deshalb die weitgehend fensterlosen Museumsräume ein wenig dunkel sind.
Recht hat sie. Doch ein bisschen erfahren wir über die Lozi-Kultur, die wie andere vergleichbare Kulturen in der Welt immer mehr in die Folklore-Ecke geschoben wird und dort die frühere gesellschaftliche Bedeutung gegen die Rolle als Touristenattraktion eintauscht.
Der Parkplatz im Gästehaus stellt sich als gar nicht so verkehrt heraus. Wenn wir ein paar Wochen warten würden, könnten wir aus dem Bett heraus reife Mangos pflücken. Die Früchte hängen in Massen an den Bäumen. In Mundhöhe. Die Cashew-Kerne sind schon reif, doch wir wissen nicht, wie man die Kerne weiter verarbeitet. Da werden wir mal fragen müssen.
Und: es gibt wieder Strom!
Zudem erfahren wir, dass sie sogar ein Restaurant haben - und wir die einzigen Gäste sind.
Am Abend rollt ein Kapstädter Landrover mit perfekt ausgerüstetem Geländeanhänger auf den Platz. Ein Südafrikaner, der nicht in einer Gruppe reist? Seltsam.
Die Südafrikaner kommen aus Mainz, heißen Sybille und Klaus und der Wagen ist geliehen. Sie wollen ebenfalls in die Liuwa Plains und haben gehört, dass die Fähre dorthin kaputt sei und man deshalb durch den Fluss fahren müsse. Sie wollen morgen versuchen, Näheres zu erfahren.
Freitag, 18.11.16 (Mongu): Wir brauchen Lebensmittel und Internet. Ersteres ist kein Problem, es gibt eine sehr moderne Shopping-Mall. Das letztere gestaltet sich schwieriger. Drahtloses Internet vom eigenen Rechner aus gibt es nur in einem Hotel, doch es ist gestern kaputt gegangen. Wenn in Afrika etwas kaputt ist, dann ist es immer gerade gestern passiert.
Notgedrungen versuchen wir es in einem Internet-Cafe. Da kann man zwar nichts herunter laden, wenn man sich kein digitales Ungeziefer einfangen will, aber Mails anschauen ist ungefährlich.
Es gibt nichts Neues aus der Heimat.
Mongu ist voll mit Kirchenorganisationen. Jede Sekte, die etwas auf sich hält, ist in der Stadt mit mindestens einer Dependance vertreten, denn von hier aus wird der gesamte Westen Zambias missioniert. Warum Zambia für Missionare so lukrativ ist, wissen wir nicht. Brauchen die Menschen die vielen Kirchen oder brauchen die Kirchen die vielen Menschen?
Mongu hat sogar einen Hafen, der bei Hochwasser das Tor in die Flutebene ist. Jetzt, in der Trockenzeit, steht nur ein bewegungsunfähiger Schwimmbagger herum.
Unser Navi sagt, dass am Hafen die schwierige Piste in die Flutebene Richtung Tieflandpalast und Liuwa Plains beginnt. Der Blick aus dem Fenster sagt, dass da eine nagelneue Teerstraße auf einem Damm nach Westen führt.
Wir fahren kurzerhand ein paar Kilometer in die Ebene. An einer Polizeikontrolle klärt man uns auf, dass die neue Straße 35 km lang ist und sogar auf einer großen Brücke über den Zambezi führt.
Es fährt sich hervorragend, man hat einen weiten Blick über die Ebene und das Navi warnt ständig vor Tiefsandpassagen.
Dann kommt eine Abzweigung nach Lealui, wo auch der Palast stehen soll. Am Ende des Asphalts warten eine sandige Dorfpiste und ein paar freundlich winkende Bewohner. Den Palast kann man nur ahnen, er ist hinter Bäumen versteckt und ohnehin nicht zu besuchen. Auf dem Rückweg sehen wir am Ufer eines Kanals die königlichen Ruderboote vom Anfang des Jahres liegen.
Kaum haben wir ein paar Fotos gemacht, kommen ein Wärter und ein Polizist der Palastwache vorbei. Sie sind anfangs ein bisschen muffig, weil wir hier ohne Erlaubnis hereingefahren sind. Doch nachdem wir ihnen klar machen konnten, dass wir nicht wussten, dass es verboten ist, entspannen sich die Gesichter und es wird eine lockere Unterhaltung. Als Buße sollen wir 100 Kwacha (10 Euro) bezahlen. Wir bieten ihnen 10 an und lassen uns auf 20 hoch handeln. Am Ende werden wir mit Winken verabschiedet.
Jetzt sind wir in beide Königspaläste mehr oder weniger aus Versehen hineingestolpert. Vielleicht sollten wir uns in Zukunft vorher besser informieren.
Zurück auf dem Straßendamm wollen wir wissen, wie es am Ende der Straße aussieht. Da sie quer zur Fließrichtung des Wassers führt, gibt es eine Menge Brücken, die größte davon über den Zambezi. Vor Jahren gab es keine einzige Zambezibrücke zwischen Mongu und den Victoriafällen, jetzt haben wir in den letzten Tagen schon drei überquert.
Nach 35 km endet die neue Straße, doch zu unserer großen Verwunderung führt eine alte Teerstraße weiter über die Ebene. Und es ist kein Ende abzusehen. Vermutlich führt sie sogar bis Kalabo, von wo aus man in den Liuwa Plains Nationalpark gelangt.
Wir drehen um und treffen kurz darauf Sybille und Klaus, die ebenfalls den Weg nach Kalabo erkundet haben.
Abends im Restaurant des Gästehauses bieten uns die beiden an, mit ihnen gemeinsam zu versuchen, den Nationalpark zu erreichen. Wenn der Sand zu tief wird und wir uns festfahren, könnte der Landrover den Bus herausziehen. Laut Reiseführer wird es furchtbar viel Sand sein, der nur mit zwei Geländewagen im Konvoi zu bewältigen ist.
Wir werden noch einmal darüber schlafen. Das Angebot ist verlockend, doch es wird auch verdammt viel Arbeit.
Samstag, 19.11.16 (Liuwa Plains, Kwale): Sand, wir kommen!
Wir wissen noch nicht, auf was wir uns eingelassen haben, doch wir können ja jederzeit umkehren.
Mittags stehen wir in Kalabo am Fluss. Die angeblich funktionsuntüchtige Fähre führt nicht, wie wir zuerst dachten, über den Zambezi, sondern über einen Nebenfluss. Sie ist auch nicht defekt, sondern ihr fehlt lediglich eine Rampe.
Der Ponton ist handbetrieben und der Fährmann erklärt uns, dass wir rückwärts auffahren müssen. Die Fähre wird im Fluss gedreht, damit die Auffahrtrampe zur Abfahrt benutzt werden kann.
Das mit der Fähre könnte also klappen.
Nebenan wird am Ufer die neue Rampe zusammengeschweißt. Sie soll leider erst morgen fertig sein.
Alternativ gibt es eine Furt mit 60 cm Wassertiefe. Grundsätzlich müsste das ebenfalls funktionieren, wir würden es jedoch nur machen, wenn es unvermeidbar ist. Das ist es hier nicht.
Mimi, die Dame von der Nationalparkverwaltung, erzählt uns, dass auf der anderen Flussseite zunächst sehr viel Tiefsand käme, aber dass es mit jedem Kilometer besser werden würde. Unser Zweiradantrieb stört sie nicht. Sie muss ja auch nicht buddeln.
Sybille und Klaus haben insgesamt sechs Tage in drei verschiedenen Camps gebucht. Wir buchen die beiden nahe am Eingang gelegenen Camps, denn wir wissen ja nicht, ob wir bis zu dem 50 km entfernten dritten Camp überhaupt durchkommen.
Und dann geht es los. Klaus versucht als Erster, den Wagen samt Anhänger rückwärts auf den Ponton zu bugsieren. Das ist nicht einfach, zumal in der steilen Zufahrt allerhand Betonbrocken und Pfähle herumstehen.
Als das Gespann schließlich drauf steht, hängt der Ponton ganz schön tief und schief im Wasser.
Die drei Fährleute schaffen es tatsächlich, nur mit Muskelkraft ohne Winden oder andere Hilfsmittel, die vier Tonnen Ladung samt Ponton in der Flussmitte zu drehen und alles heil ans andere Ufer zu bringen.
Ein paar Minuten später sind wir dran. Das Rückwärts-auf-die-Fähre-fahren ist vermutlich für die nächsten Tage das einzige, was wir leichter als der Landrover können.
Wolfgang hat schon mal gut die Hälfte der Luft aus den Reifen gelassen, damit sie nicht so weit in den Sand einsinken. Trotzdem hat er natürlich keine Chance, den Hang ohne Festfahren hoch zu kommen. Dazu sind 50 PS einfach zu wenig. Oder der Sand zu viel.
20 m schafft er mit heulendem Motor, dann ist Ruhe.
Inzwischen hat Klaus den Hänger abgestellt, wir machen den Bergegurt fest und der Landrover zieht dank Untersetzung und reichlich PS die gesamte Fuhre hoch auf die Uferböschung. Fast mühelos.
Die weitere Strecke bleibt anders als angekündigt sehr sandig und wir beschließen, den Bus für den ersten Kilometer einfach durchzuziehen.
Dann wird es zwar nicht weniger sandig, doch es geht nicht mehr bergan und wir können Schwung nehmen. Nicht immer, aber immer öfter.
Wir fahren uns auf den 21 Kilometern sechs Mal fest. Drei Mal so sehr, dass es nur mit Schleppen weiter geht, ansonsten reicht das Anschieben mit drei kräftigen Leuten.
Wenn wir alleine gewesen wären, hätten wir sehr viel Arbeit mit Seilwinde und Sandblechen gehabt. Bäume zum Anseilen gab es ja an den meisten Stellen. Wir hätten das Camp heute auf keinen Fall mehr erreicht. Dank der Landrover-Hilfe sind wir in fünf Stunden durch und stehen tatsächlich im Kwale-Camp im Liuwa Plains Nationalpark. Ziemlich schmutzig und verschwitzt zwar, aber sehr zufrieden.
Unser Camp schlagen wir unter einem großen Baum auf, mit Blick in die weite Ebene. Ein Lagerfeuer, ein netter Sundowner, was will man mehr. Afrika halt.
Zum ersten Mal haben wir viele Bilder, auf denen wir beiden darauf sind. Auch während der Fahrt gibt es Aufnahmen von uns. Alle diese Bilder hat Sybille gemacht. Insofern schmücken wir uns ein wenig mit fremden Federn.
Sybille hat nicht nur Bilder, sondern auch Filmaufnahmen gemacht, die wir uns später mal in Ruhe ansehen müssen. Manche Passagen sehen ziemlich spektakulär aus, wenn es den Wagen bei flotter Fahrt in der tiefen Sandrille hin und her haut.
Sonntag, 20.11.16 (Liuwa Plains, Kwale): Nach der vielen Arbeit gestern gehen wir es heute ruhig an. Sehr ruhig.
Der Zufall will es, dass die organisierte Tour mit den zwölf Geländewagen im selben Camp übernachtet. Sie sind, wie wir auch, hier, um die große Gnu-Wanderung zu beobachten. Wenigstens Teile davon. Sie ist die kleine Schwester der großen Wanderung in der Serengeti.
Jedes Jahr zu Beginn der Regenzeit sammeln sich etliche tausend Gnus und Zebras im Park, um zu den Stellen zu ziehen, wo frisches Gras wächst. Die Parkverwaltung hat vor wenigen Tagen das Gebiet abgeflogen und wir haben eine Karte bekommen, wo die große Tieransammlung eingezeichnet ist. Die anderen Camp-Gäste haben aber bisher auch nur kleine Grüppchen von Gnus gesehen. Wahrscheinlich haben sich die Tiere wieder zerstreut, weil der Regen bisher nur spärlich und weit verteilt gefallen ist. Da reicht das Futter nicht für eine große Gruppe.
Am Nachmittag fahren wir mit dem Landrover ein wenig in der Landschaft herum. Wir haben bisher immer nur im Landcruiser von Toyota gesessen und den fanden wir bockhart. Nix für ältere Bandscheiben. Doch der Landrover bewegt uns ziemlich sanft über die Buckel. Sehr bequem.
Für die beiden vorderen Sitze gilt das nicht uneingeschränkt. Wir hatten uns schon mehrfach gewundert, dass zuweilen während der Fahrt die Türen weit offen standen. Wir dachten zunächst, wir würden zu langsam fahren (“Blumenpflücken verboten”). Jetzt kennen wir den wahren Grund: der vorn liegende Motor und die vier Getriebe produzieren derart viel Wärme, dass man meinen könnte, die Heizung wäre an.
Viele Tiere entdecken wir nicht. Immer wieder mal einzelne Gnus und Zebras, ein paar Antilopen und viel hohes Gras bis zum Horizont.
Dank Navi kann man in dem endlosen Gewirr von Pisten und Spuren nicht verloren gehen.
Montag, 21.11.16 (Liuwa Plains, Lyangu): Nach zwei Tagen müssen wir heute das Camp wechseln. Das nächste liegt zwar nur 13 km entfernt, doch wir haben keine Ahnung, wie die Streckenverhältnisse sind.
Inzwischen wissen wir, sie sind gut. Sehr gut sogar. Nach einer halben Stunde laufen wir in Lyangu ein. Hätten wir so einen Schnitt nicht auch vorgestern haben können?
Unterwegs begegnen wir zwar keinen großen Gnu-Herden, dafür aber einem Radfahrer, der sich auf der Sandpiste kräftig abstrampelt. Daraus kann man wohl schließen, dass in diesem Teil des Parks nicht viele Tiere leben, vor allem keine mit Zähnchen.
Unser Stellplatz ist nicht ganz so offen wie der letzte, sondern liegt in einem Wäldchen. Dafür gehört eine Lapa dazu, also eine Art Haus ohne Wände. Das ist ganz praktisch, um nachts und bei Regen Tische und Stühle unter zu stellen.
Sybille und Klaus haben ja nicht nur den Landrover, der für zwei Leute komplett mit Dachzelt, Campingausrüstung und Kühlschrank ausgestattet ist, sondern auch noch den Anhänger, der das Gleiche noch einmal für vier Personen hat. “Falls ‘mal Besuch kommt” ist unser Standardsatz in diesen Tagen. Wenn also der Tisch für ein gediegenes Abendessen gedeckt wird, dann stehen da nicht drei verschiedene Plastikteller herum, sondern alles ist aus einem Guss. Ein bisschen Luxus muss schon sein für das Out-of-Africa-Feeling.
Dienstag, 22.11.16 (Liuwa Plains, Lyangu): Eigentlich wollten wir heute aus dem Park heraus fahren, doch wir beschließen, noch einen Tag dranzuhängen. Die fälligen Gebühren können wir sicher nachträglich entrichten.
Wir wollen mit dem Landrover und ohne Anhänger ein Stück nach Norden fahren. Dahin, wo laut Parkverwaltung die Gnus sind. Von denen stehen zwar immer wieder ein paar in der Landschaft herum, doch es sieht nicht nach Wanderung aus, sondern eher so, als hätte man sie hier geparkt.
Wenn schon keine Gnus, dann wenigstens ein paar andere Tiere. Diese hier zum Beispiel:
Zunächst sahen sie aus wie Kadaver an einem Matschloch. Doch dann rührte sich ein Tier nach dem anderen. Die waren alle höchst lebendig, aber offensichtlich unendlich müde. Und unendlich schmutzig. Wobei die Hyänen das sicher ganz anders sehen. Der Schlamm riecht vielleicht nicht gut und schön macht er auch nicht, doch er ist weich und kühl und hält die Insekten fern.
Die Chefin des Rudels steht unter ständiger Überwachung. Unter der Matschschicht kann man den Sender am Hals erahnen.
Heute Morgen haben wir beschlossen, noch einen Tag dranzuhängen. Heute Abend stehen wir schon wieder vor der gleichen Frage. Morgen raus oder noch zwei Tage auf einem anderen Camp?
Mittwoch, 23.11.16 (Liuwa Plains, Katoyana): Wir haben uns entschieden, länger zu bleiben. Anette ist’s nämlich gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass wir uns auf dem Rückweg zur Fähre ganz allein durch den Sand buddeln müssen. Viele Stellen, an denen wir uns auf dem Hinweg festgefahren haben, könnten wir wahrscheinlich umfahren, doch die letzten 500 m vor der Fähre haben es in sich, wie wir ja wissen. Dafür ist der Bus nicht gebaut.
Leider liegt Katoyana, das Camp für die nächsten beiden Tage, noch einmal 30 km tiefer im Park, so dass wir am letzten Tag einen verdammt langen Rückweg haben. Oder wir haben Glück und die Piste ist leicht befahrbar.
So oft wie dieses Jahr haben wir noch nie unsere Planung umgeworfen. Ok, von Planung kann man eigentlich nicht reden. Wir haben einfach sich ergebende Chancen genutzt. Das klingt doch viel besser.
Kurz nach elf machen wir uns auf den Weg. Wir wollen das Camp deutlich vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Wenn wir so schnell wie am ersten Tag sind, dürfte das klappen.
Wie immer der Schwächere vorn. Der darf sich den Weg aussuchen. Wir werden nicht auf der Hauptroute fahren, denn da ist der Sand tief durchgewühlt, sondern nehmen eine seltener befahrene Piste.
Die Entscheidung ist goldrichtig und es geht flott vorwärts. Der Sand beschränkt sich auf einige kürzere Felder, über die wir mit Vollgas hinweg fliegen.
Einige Kilometer lang müssen wir dann doch der Hauptpiste folgen. Der Sand wird tiefer, doch wir schummeln uns immer so gerade eben durch. Nur einmal nicht. 20 m später wäre der Sand zu Ende gewesen. Wir schaffen es leider nicht, seitlich aus der Sandspur herauszukommen und stecken plötzlich so tief drinnen, dass der Motor aufliegt und die Räder quasi in der Luft baumeln. Aus eigener Kraft geht hier gar nichts mehr. Selbst mit unserer Seilwinde hätte es mangels Baum schlecht ausgesehen.
Der Bus kommt an den Bergegurt und Klaus nimmt die niedrigste Übersetzung. Als Ergebnis wühlt er sich immer tiefer ein.
Wir nehmen nun unseren eigenen, noch nie benutzten, Bergegurt dazu. Dann kann der Landrover weiter weg auf festerem Grund stehen und seine Kraft auch auf den Boden bringen.
Inzwischen ist das nahegelegene Dorf entvölkert und alles, was Beine hat, schaut uns bei der Arbeit zu. Fernsehersatz.
Nach 20 m ist das Schleppen erledigt.
Sicherheitshalber packen wir unsere Gerätschaften noch nicht endgültig weg. Wer weiß, was noch auf uns wartet.
Der Boden bleibt zwar weich, aber der Sand ist nicht mehr so durchgeknetet wie bisher.
Drei Stunden nach der Abfahrt stehen wir im Katoyana Camp.
Heute muss Wolfgang etwas tun, was er überhaupt nicht kann: kochen. Er ist dazu verdonnert worden, Bratkartoffeln aus rohen Kartoffeln für vier Leute zu machen. Er hat das zwar schon ein paar Mal exerziert, aber nie für andere. Gleichzeitig grillen auf dem Feuer einige geräucherte Würste aus dem Bestand von Sybille und Klaus.
Es schmeckt hervorragend, sagen einige. Ob das allerdings nur reine Höflichkeit ist oder die Einsicht, dass es eh nichts anderes gibt, bleibt unklar.
Donnerstag, 24.11.16 (Liuwa Plains, Katoyana): Nicht weit weg von hier sollten eigentlich die Gnus stehen. Tun sie aber nicht. Nur ein paar, garniert mit Reihern und Geiern.
Auch die weitere Suche bleibt erfolglos. Wir fahren auf einer schmalen Spur durch den Wald und kommen durch mehrere Dörfer mit etwas ungläubig schauenden Leuten.
Manchmal ist es viel erfolgreicher, wenn man gar nicht erst sucht, sondern einfach nur findet. Zum Beispiel verstecktes Geld. Zu unserer großen Überraschung taucht in einer unübersichtlichen Ecke eines Faches plötzlich ein Briefumschlag mit einem dicken Bündel Geldscheine auf. Nicht etwa uralte und wertlose aus Afrika, sondern neue und wertvolle aus Amerika. Fast 500 $ in gebrauchten, nicht nummerierten Scheinen. Wir haben noch nicht herausgefunden, wann wir sie dort versteckt haben. Jedenfalls war es ein ziemlich guter Platz (und wir verraten ihn hier auch nicht).
Das Abendessen hat es in sich. Wir machen Chili con Carne und auf allgemeinen Wunsch soll es ein wenig schärfer sein.
Es war wohl zu viel des Guten, jedenfalls kriegen wir danach alle richtig Luft und freuen uns auf ein anständiges Getränk. Hauptsache viel.
Freitag, 25.11.16 (Mongu): Es hat nachts recht munter geregnet. Nicht so viel, dass der lockere Sand komplett durchnässt und damit gut befahrbar wäre, aber doch genug, um die oberen Zentimeter zu stabilisieren. Schön wäre es allerdings, wenn es nicht nur hier, sondern vor allem um die Fähre herum geregnet hätte.
Die 50 km durch den Sand werden ein langer Ritt. Wir gehen sicherheitshalber von acht Stunden aus. Damit wir heute noch in Kalabo ankommen, brechen wir schon kurz nach dem Frühstück auf. Wenn es gründlich schief geht, gibt es in der Nähe des Pontons noch ein einfaches Camp. Sybille und Anette erwarten allerdings, dass wir pünktlich um halb vier Kaffee trinken. In Mongu.
Einige der schlimmen Stellen werden wir wohl umfahren können (wenn Wolfgang sie rechtzeitig genug sieht) und ansonsten hoffen wir auf Unterstützung durch den Regen. Alternativ den Bergegurt.
Am Anfang geht es recht flott voran. Die Stelle, an der wir uns vorgestern zur Unterhaltung des Dorfes festgefahren haben, passieren wir problemlos ohne anzuhalten. Es geht danach ziemlich entspannt durch hohes Gras und der Untergrund ist stabil. Nach zwei Stunden haben wir schon die Hälfte des Weges geschafft.
Je näher wir an die Fähre kommen, desto sandiger wird es. Doch es bleibt feucht, was uns an einigen Stellen rettet. Aber nicht an allen. Bauchlandung! In einer Kurve versacken wir im weichen Mittelsteg einer Lkw-Spur. Seine Fahrrinnen waren leider zu breit für uns.
Die meiste Zeit können wir, wenn es brenzlig wird, einen Weg neben der Piste finden. Hier hat’s nicht geklappt.
Dieses Mal geschieht das Rausschleppen wegen der Entfernung zum Dorf ohne Publikum, aber das Ankoppeln des abgestellten Anhängers ist auf jeden Fall interessant.
Eigentlich ist es erstaunlich, dass werktags um diese Zeit so viele schulpflichtige Kinder zu Hause sind. Denn Schulen gibt es hier, wir haben sogar einen hiesigen Lehrer für Computertechnologie getroffen. Und kurz darauf fliegen wir auch an einer Schule vorbei. Es ist sogar eine höhere Schule. Sie schickt ihre Kinder gerade ins Wochenende. Leider müssen wir zwar winkend, aber mit Vollgas daran vorbeisausen, denn langsamer heißt stecken bleiben.
Laut Navi fahren wir einige Kilometer abseits der markierten Piste mitten durch den Sumpf. Jetzt in der Trockenzeit ist der Sumpf staubtrocken und der Boden brettlhart. In zwei Monaten geht es hier nur noch mit dem Boot weiter.
Viel schneller als erwartet sind wir in der Nähe der Fähre. Doch die letzten 600 m haben es in sich. Die sind wir schon auf dem Hinweg gezogen worden und aus alter Gewohnheit machen wir es jetzt wieder so.
Anettes Befürchtungen, dass es elendig viel Arbeit sein würde, wenn wir das allein bewerkstelligen müssten, bewahrheiten sich. Doch mit Landrovers Leih-PS stehen wir eine Viertelstunde später am Hang über der Fähre.
Die letzten Meter schaffen wir sogar aus eigener Kraft, es geht ja auch bergab.
Die Fähre hat eine neue Rampe, doch die will noch nicht so richtig nach unten gehen. Deshalb führen die Fährleute und wir ein munteres Tänzchen auf der Rampe auf, um sie zum Nachgeben zu überreden. Nur Wolfgang muss zuschauen und kriegt stattdessen einen Krampf im Bremsfuß. Jetzt bloß nicht ins Wasser rollen!
Die Rampe gibt schließlich doch nach und kurz darauf rollen wir sicher ans andere Ufer.
Jetzt noch die verlängerten Tage bei Mimi bezahlen, den Reifen wieder zu ordentlichem Druck verhelfen und schon ist das Kapitel Liuwa Plains erfolgreich abgeschlossen. Es war anstrengender als erwartet, aber nicht so schlimm, wie wir es in den Büchern gelesen und von anderen Reisenden geschildert bekommen haben. Und es war länger als erwartet. Am Ende waren es 110 km, durch die wir uns meistens durchkämpfen mussten, ständig auf der Suche nach dem besten Weg. Zehn Mal ging es nur noch mit Schieben oder Schleppen weiter. Doch mit Abstand am bequemsten waren die ganz schwierigen Stellen, die drei bis fünf Kilometer mit richtig tiefem Sand. Am Haken des Landrovers fährt es sich wirklich sehr entspannt.
So ganz zu Ende ist der Ausflug noch nicht, denn wir haben eine Menge Dreck mitgebracht. Der Sand war immer durchsetzt mit ganz feinem grauen Staub. Und der ist jetzt überall. Egal, welche Schuhe man anhatte, die Füße waren immer schwarz. Sehr schwarz.
Wir genießen die 70 km auf Asphalt bis nach Mongu und die erste warme Dusche seit einer Woche. Wir haben es doch tatsächlich pünktlich zum Kaffeetrinken geschafft.
Und, Sybille und Klaus, falls Ihr das hier lest: Danke für eine schöne Zeit und für Erfahrungen, die wir ohne Euch nicht gemacht hätten.
Samstag, 26.11. bis Mittwoch, 30.11.16 (Mongu): Kein Sand mehr!
Die Bergegurte sind weggepackt, Sybille und Klaus fahren wieder ohne Ballast - sie müssen in einer Woche in Windhoek sein - und wir kümmern uns um die Verbindung in die Heimat, um Wäsche waschen und um das, was hier zu lesen ist.
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