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Arusha, 8.6.2010 Liebe Freunde, beim letzten Mal hatten wir geschrieben, dass wir noch nicht weit gekommen seien. Das gilt immer noch. Wir haben inzwischen Uganda gestrichen, weil es einfach zu hektisch geworden wäre. Statt dessen sind wir an einigen sehr schönen Fleckchen in Kenia gewesen. Das Land ist beeindruckend in seiner Vielfalt. Das Einzige, was uns in der Regenzeit nicht so gut gefällt, ist der Regen. Dem Land tut’s verdammt gut nach der langen Trockenheit, doch wir wollen endlich mal abends ohne Pullover am Lagerfeuer sitzen. Hier stürzt das Thermometer nachts zuweilen auf brutale 15°C ab. Für die Einheimischen ist das wie Bodenfrost und auch uns ist es viel zu kalt. Wir fahren jetzt quer durch Tanzania nach Mocambique, sofern die Pisten an der Grenze bei Regen passierbar sind. Am Indischen Ozean herrschen hoffentlich wieder afrikanische Temperaturen. Heia Safari und schöne Grüße vom Kilimanjaro Anette und Wolfgang |
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Tagebuch 25.5. bis 5.6.2010 |
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Dienstag, 25.5.10 (Fishermans Camp, Lake Naivasha): Es war alles so schön geplant. Schnell die Website ins Internet hochladen, einkaufen und dann ab nach Naivasha in den Nationalpark. Leider will das Internet nicht so wie wir. Das Hochladen dauert extrem lange und bricht immer wieder ab. Nach dem 10. Versuch ist die Website in Trümmern und nichts geht mehr. Gar nichts. Eigentlich darf so etwas nicht passieren, aber in Afrika und in der Computerei ist alles möglich. Die Website komplett neu zu laden ist wegen der Übertragungsgeschwindigkeit völlig ausgeschlossen, selbst als Notbehelf nur den aktuellen Teil ins Netz zu stellen, funktioniert nicht. Wir geben schließlich entnervt auf und hoffen darauf, dass wir in einigen Tagen einen schnelleren Internetzugang finden. Erst um halb zwei lassen wir den Mief Nairobis endlich hinter uns. Rechts und links der Ausfallstraße zieht sich über viele Kilometer der vermutlich größte Slum Afrikas hin. Es ist eine eigene Millionenstadt. Wenn die Autoabgase mal nicht so schlimm sind, dann fährt man durch die Rauchschwaden aus den Hütten oder durch den Qualm der brennenden Abfallhaufen. Doch auch das endet. Es wird grüner, die Besiedelung weniger dicht und der Verkehr auch. Die Straße ist in gutem Zustand, zwar voll mit Lkws, doch wir kommen gut vorwärts. Zwei Stunden später stehen wir im fetten Grün am Naivasha-See. Wir sind die einzigen Gäste. An einigen der riesigen Bäume hängen Schilder, dass man bitte nicht unter ihnen campen möge, weil immer wieder mal Äste abbrechen. Und wenn ein ordentlicher Ast aus 20m Höhe angesaust kommt, dann hält dem auch kein Auto stand. Die zweite Gefahr hier am Seeufer sind Nilpferde, die nachts zum Grasen an Land kommen. Das Camp ist deshalb mit Gräben und flachen elektrischen Zäunen gegen die Dickhäuter gesichert. Darüber zu springen, ist bei zwei Tonnen Gewicht eine echte Herausforderung. Zudem passen in der ganzen Nacht bewaffnete Wächter auf uns auf. Afrika ist wohl immer ein bisschen gefährlich. In Nairobi (“Nairobbery”) sind’s die Menschen, hier die Tiere. Mittwoch, 26.5.10 (Carnelleys Camp, Lake Naivasha): Endlich mal wieder ein Nationalpark! “Hells Gate” klingt zwar nicht gerade einladend, doch der Name nimmt nur Bezug auf die vulkanischen Aktivitäten dieser Region: Dampflöcher und heiße Quellen. Außerdem hat der Regen in die weiche Vulkanasche tiefe Schluchten gefressen, die man in Ermangelung gewisser Tierchen auch zu Fuß erkunden darf. Vorher fahren wir auf einer schmalen Spur über die umliegenden Berge. Das Raufkommen ist vergleichsweise einfach, doch der Weg abwärts in die Schlucht hat es in sich. Große Steine und tief ausgewaschene Rillen machen das Vorwärtskommen zu einer Tortur. Für das Auto und vor allem für uns. Zwar sollte der Wagen mit beladenen Dachgepäckträgern erst bei ca. 30° anfangen, seitlich zu kippen, doch schon bei 20° bekommen wir feuchte Hosen. Unser Popometer ist deutlich ängstlicher als der Neigungsmesser. Wenn wir den Wagen hier auf die Seite legen, dann wird uns so schnell niemand zu Hilfe kommen. Doch wir kommen durch und machen anderen Platz. Die Hosen können wieder trocknen. Da wir ja ein Navigationsgerät haben, sollte der Fußweg durch die Schlucht kein Problem sein. Den richtigen Einstieg zu finden, ist jedoch nicht so einfach. Aber wozu gibt es einheimische Führer. Die wollen ja auch ein bisschen Geld verdienen und haben wohl den Einstieg ganz bewusst ein wenig versteckt. Wir engagieren Joe, einen jungen Massai, der nicht nur viel Hintergrundwissen hat, sondern auch den Weg bestens kennt. Ohne ihn hätten wir an manchen Stellen nicht gewusst, wo es weiter geht. Und ob überhaupt. In der Regenzeit kann die Schlucht tödlich sein, weil man, wenn plötzlich das Wasser kommt, nicht mehr zur Seite heraus kann. Doch Joe verspricht, dass heute keine Regenzeit sei. In einigen Passagen sind erst vor wenigen Tagen große Felsbrocken in die Schlucht gestürzt. Joe verspricht, dass auch das heute nicht der Fall sei. Unterwegs begegnen uns zwei junge Leute, die vor einer Stunde den sofortigen Rückmarsch aus der Schlucht angetreten haben, weil vor ihnen große Brocken angeflogen kamen. Na ja, sie hätten halt Joe engagieren sollen. Der insgesamt zweistündige Fußmarsch durch die Schlucht und zurück über die Berge ist auf jeden Fall beeindruckend. An mehreren Stellen geht es nur auf allen Vieren weiter oder nur mit viel Drücken und Schieben. Immer wieder blubbert heißes Wasser aus dem Boden und es riecht nach faulen Eiern. Neben der Schlucht erhebt sich der imposante Central-Tower, der Schlot eines verwitterten Vulkans. Er wäre sicher eine Herausforderung für Kletterer, doch das ist wegen der Steinschlaggefahr verboten. Der Bach, der durch die Schlucht fließt, ist vermutlich eine unterirdische Entwässerung des Naivasha-Sees. Der See hat keinen erkennbaren oberirdischen Abfluss, versalzt aber trotzdem nicht, ganz anders als seine Nachbarn. Auf dem Rückweg zum Camp legen wir noch einen Abstecher zum Hobley-Vulkan ein. Von dort soll es einen wunderbaren Rundblick geben. Leider hat man die Piste an einer Stelle verdammt steil bergauf geführt und wir müssen die letzten 1,5km zu Fuß gehen. Der (zu) steile Anstieg wäre unseren Reifen auch nicht gut bekommen, denn die Piste ist durchsetzt mit großen Obsidianstücken. Das messerscharfe Vulkanglas hätte unsere Reifen regelrecht abgeraspelt. Der Blick von oben enthüllt vor allem, wovon diese Region lebt. Treibhäuser. Riesige Flächen sind mit Folien abgedeckt. Hier wachsen vor allem Blumen für Europa und allerlei Gemüsesorten für den einheimischen Markt. Donnerstag, 27.5.10 (Lake Elementeita Lodge): Nicht weit weg vom Hells Gate Nationalpark liegt am Rande des Naivasha-Sees der Eburro-Vulkan. Bis auf 2600m führt eine kleine Piste und auch von dort soll es einen fantastischen Rundblick geben. Unterwegs machen wir in Elsamere halt. Hier hat an einem sehr schönen Platz über dem Seeufer Joy Adamson gelebt und ihre Bücher geschrieben. Wir kannten zwar ihren Namen, wussten aber nicht, warum sie berühmt ist. Sie verschlug es Mitte letzten Jahrhunderts als junge Frau aus Wien hierher und sie ist geblieben. Ihr Mann brachte eines Tages drei verwaiste Löwenkinder mit und sie hat eines von ihnen unsterblich gemacht: Elsa. In ihren Büchern “Frei geboren” und “Für immer frei”, Weltbestsellern aus den 60er und 70er Jahren, beschreibt sie die Geschichte der Löwin Elsa und ihrer Kinder. Das wurde natürlich auch von Hollywood verfilmt und hat Menschen auf der ganzen Welt tief beeindruckt. Die Bücher sind wohl auch mit Schuld daran, dass Afrika noch heute einen so unwiderstehlichen Reiz auf viele Europäer ausübt. Wir werden uns, wenn wir wieder zurück sind, mal intensiver um die Lebensgeschichte und die Bücher von Joy Adamson kümmern. Wie es sich für ein englisches Herrenhaus in Afrika gehört, wird der Tee natürlich im Garten serviert. In einem ausgesprochen schönen Garten, Afrika-zur-Kolonialzeit-Klischee pur, mit viel Grün und schönem Blick auf den See. Am Nachmittag biegen wir auf die schmale Bergpiste zum Eburro-Vulkan ein, die uns fast 1000m höher führen soll. Es geht stramm bergauf, aber nicht zu stramm. Der Bewuchs wird immer spärlicher und der Blick geht immer weiter übers Land. Der letzte Anstieg kurz vorm Gipfel hat es dann in sich. Wir brauchen drei Anläufe mit Vollgas und starken Armen einiger hilfsbereiter Einheimischer, ehe wir oben ankommen. Es ist wohl immer der letzte Anstieg kurz vorm Gipfel ... Schließlich stehen wir neben der großen Sendestation und schauen runter ins Tal. Der Ausblick hat überhaupt nichts Afrikanisches, ganz im Gegenteil, das sind die Alpen. Selbst das Wetter ist hochalpin. Den laut Reiseführer “gigantischen Ausblick” finden wir gar nicht sooo gigantisch. Man kann zwar gut 50km weit schauen, erkennt aber wegen des Dunstes nicht viel. Zumindest können wir einen Zipfel unseres nächsten Zieles entdecken: den Lake Nakuru. Doch zuvor müssen wir die 12km runter zur Hauptpiste. Unterwegs fängt unser Reifendruckwarner plötzlich an zu piepen. Leider hat er Recht. Vorn links wäre es in wenigen Minuten platt gewesen. Doch auch nach dem Reifenwechsel gibt er keine Ruhe, denn auch vorne rechts sieht es nicht gut aus. Wir versuchen es mit Nachpumpen, denn der Reifen verliert nur sehr langsam die Luft. Erst nach 17 Uhr sind wir zurück auf dem Asphalt. Bis Nakuru schaffen wir es im Hellen nicht mehr, deshalb folgen wir einem Hinweisschild zu einem Camp am Lake Elementeita. Die Piste ist mies und nach wenigen Kilometern wissen wir nicht mehr weiter, weil sich die Fahrspuren in alle Richtungen verzweigen. In unserem Navi sehen wir eher zufällig, dass nur zwei Kilometer entfernt ein anderes Camp eingezeichnet ist. Nehmen wir also dieses. Und tatsächlich, das Gerät führt uns ganz präzis zur Lake Elementeita Lodge und Campsite, die wir in Ermangelung von Hinweisschildern sonst nie und nimmer gefunden hätten. Wir werden herzlich begrüßt in einer schönen Anlage direkt am See. Natürlich sind wir die einzigen Gäste. Mit Blick auf Flamingos und Pelikane genießen wir den Sonnenuntergang. Kurz darauf kommt ein Angestellter der Lodge vorbei und drückt uns ein Handy in die Hand. Der Chef möchte uns willkommen heißen. Er ist gerade auf dem Weg nach Nairobi, wo er noch einen Ableger der Lodge betreibt, und hat uns auf der Piste gesehen, als wir das andere Camp suchten. Er wäre ein “VW-Süchtiger”, hätte selber mehrere Busse und andere VWs gehabt und findet es sehr schade, dass er uns nicht persönlich treffen kann, denn unseren Bus würde er sich gern mal näher anschauen. Wir versprechen ihm, auf jeden Fall vorbei zu kommen, wenn wir mal wieder in der Gegend sind. Um nachts nicht ständig Luft auf den Reifen pumpen zu müssen, wechseln wir ihn schließlich doch. Jetzt sind unsere Reserven aufgebraucht. Spätestens in Nakuru werden wir Reifen flicken lassen. Freitag, 28.5.10 (Backpackers Campsite, Nakuru Nationalpark): Nach einer ausgesprochen ruhigen Nacht lassen wir es morgens sehr langsam angehen. Bis Nakuru ist es nur eine gute Stunde Fahrtzeit und heute steht nichts Besonderes mehr auf dem Programm. Nur Reifen flicken, tanken, einkaufen, eventuell Internet-Cafe. Den Reifenflicker kennen wir noch vom letzten Jahr. Damals stellte sich nach dem Reparieren heraus, dass der Reifen an der Flanke innere Brüche hatte und nur noch für den Schrott taugte. Wir mussten das Auto mit plattem Reifen ja erst von der Straße fahren und das war offensichtlich zu viel. Dieses Mal sind es nur kleine harmlose Löcher, die schnell repariert sind. Der Versuch mit einem Internet-Cafe ist viel versprechend. Nach kurzer Zeit haben wir den aktuellen Teil unserer Website hochgeladen. Jetzt fehlt nur noch der ganze Rest aus den Vorjahren. Das Netz wird von Minute zu Minute schneller, weil am Freitag nachmittag die Firmen und Behörden allmählich ihre Computer abschalten. Wir starten einen Versuch. Nach gut einer Stunde ist alles geladen, doch bei der Verarbeitung der Daten in Deutschland geht etwas schief. Ein weiterer Anlauf bricht schon nach dem ersten Drittel ab. Wir versuchen, die Website in mehrere kleine Teile zu zerlegen. Und tatsächlich: nach zwei Stunden ist alles geladen und installiert. Ein großes Dankeschön an das Internet-Cafe, das eigentlich schon seit einer Stunde geschlossen hat. Inzwischen ist es schon stockdunkel. Wir wollen versuchen, auf das Camp im Nationalpark zu kommen, denn in der Stadt gibt es sonst keine Möglichkeit. Das Tor zum Nationalpark ist natürlich schon lange geschlossen (18:30 Uhr müssen alle wieder draußen sein) und der Wächter leuchtet uns ungläubig mit seiner Taschenlampe an. Er ist mit dicker Jacke, Stiefeln und Sturmhaube bekleidet und hat ein Gewehr über der Schulter. Es sind ja auch nur 23°C. Er funkt seinen Chef an, dann bekommen wir eine Ausnahmegenehmigung. Das Camp ist zwar nur 500m weit weg, doch wir dürfen da nicht alleine hinfahren. Er setzt sich zu uns in den Bus, das Gewehr zwischen den Knien und wir müssen einmal im Kreis fahren, um zu sehen, ob Büffel da sind. Sind nicht. Und auch niemand anderes. Der Wächter gibt uns noch den tröstlichen Hinweis, dass das nächtliche Löwengebrüll nicht gefährlich sei und dass die häufig hier herumstreifenden Büffel es nicht auf unser Auto abgesehen hätten, sondern nur auf das Gras. Außer einer entfernten Hyäne hören und sehen wir in dieser Nacht nichts. Leider. Samstag, 29.5.10 (Mbweha Camp, Nakuru): In Nationalparks steht man früh auf, mit den Tieren. Nachdem wir eine ordentliche Stange Geld bezahlt haben (170 US$ für uns beide) haben wir bis heute abend Zeit, durch den Lake Nakuru Nationalpark zu kreuzen. Er liegt um einen großen Natronsee und es sind nur rund 30km, ihn zu umfahren. Die größte Attraktion des Parks sind die unzähligen Flamingos, die das Ufer des Sees rosa färben. In Spitzenzeiten lebt hier ein Drittel der Weltpopulation an Zwergflamingos. Schon nach kurzer Fahrt haben wir sie vor uns. Zwergflamingos, normale und auch ein paar Rosapelikane, also eine Orgie in rosa. Und als ob das nicht genug wäre, liegt noch eine große Gruppe von Tüpfelhyänen am Ufer. So viele haben wir noch nie auf einem Fleck gesehen. Sie werden immer wieder von einem Spitzmaulnashorn aufgescheucht. Auch ein paar Büffel dösen in der Morgensonne und beobachten uns ganz genau. Das beginnt ja furios! Und alles noch vor dem Frühstück! Nachdem wir das alles angeschaut (und fotografiert) haben, brauchen wir endlich unseren Morgenkaffee. Dazu ist der auf einer hohen Felswand gelegene Picknickplatz “Baboon Cliff” genau richtig. Bewaffnete Ranger passen auf, dass kein Löwe, Büffel oder Pavian bei uns mitessen will. Und der Ausblick vom Frühstückstisch auf den See ist fantastisch. Auch die Weiterfahrt nach Süden bietet immer wieder beeindruckende Momente. An einer Stelle haben wir das seltene Glück, ein Breitmaul- und ein Spitzmaulnashorn einträchtig nebeneinander zu sehen. Die Spitzmäuler leben normalerweise im Busch und zupfen mit ihren spitzen Lippen Blätter von den Zweigen, während die Breitmäuler wie riesige Rasenmäher das Gras raspelkurz halten. Die Spitzmäuler sind zwar die kleineren, legen sich aber gerne mit den Großen an, seien es Elefanten oder Autos. Da sind die breiten ganz anders. Sie wiegen so viel wie unser Bus und bewegen sich offensichtlich auch nicht schneller. Unsere Glückssträhne ist noch nicht zu Ende, denn plötzlich steht ein paar hundert Meter vor uns ein dunkleres Tier auf der Piste. Die Silhouette ist eindeutig: ein Leopard. Nach wenigen Sekunden ist er im Gebüsch verschwunden. Wir rollen vorsichtig heran und suchen das Gebüsch ab. Nichts mehr zu sehen. Einige Meter weiter können wir auf eine kleine Anhöhe fahren und stellen uns so hin, dass wir ihn eigentlich sehen müssten, wenn er wieder heraus kommen sollte. Doch es rührt sich gar nichts. Einige vorbeifahrende Geländewagen bleiben ebenfalls stehen und schauen da hin, wo wir auch hin schauen. Erfolglos. Nach einer halben Stunde geben wir auf und fahren noch einmal an die Stelle, wo er auf der Piste stand. Während wir das Gebüsch rechts und links im Auge haben, kommt er direkt vor uns heraus, geht gemächlich auf die andere Seite und lässt sich im übrigen überhaupt nicht von uns stören. Nach wenigen Metern ist er schon wieder fast unsichtbar. Vermutlich lag er die ganze Zeit neben der Piste, perfekt getarnt. Als ob das noch nicht genug wäre, klettert er dekorativ an einem Baumstamm hoch und sucht die Umgebung nach Futter ab. Die Impalas, die uns in der Nähe sehr aufmerksam zusehen, sind vermutlich dankbar, dass wir ihnen verraten, wo er ist. Der Lake Nakuru Nationalpark hat es wirklich in sich. Wir fahren auf der anderen Seeseite wieder zurück nach Norden. Die ist ausgesprochen langweilig, denn die Piste führt durch den Wald und man sieht nichts. Nach der kompletten Umrundung suchen wir noch einmal das Westufer ab, wo es immer wieder nette Kleinigkeiten zu sehen gibt. Dann haben wir genug angeschaut, der Kanal ist voll. Übervoll. Knapp außerhalb des Parks liegt ein sehr gutes Camp, sogar mit einem richtigen Restaurant. Wir sind nur 200m entfernt. Luftlinie. Leider liegt ein Bach dazwischen und der Elektrozaun, der den Nationalpark umgibt. Aus den 200m werden 30km, die letzten zehn querfeldein, doch schließlich sind wir da. Das Mbweha Camp gehört zur Oberklasse. Wir werden mit einem Drink und einem heißen Tuch begrüßt. Ein Wächter bringt uns zu unserem Platz mitten im Busch, wir sind natürlich wieder mal die einzigen. Wenn wir ins Restaurant oder zur Toilette wollen, sollen wir ihn rufen, damit er uns begleitet, denn es gäbe hier Büffel. Na ja, das kennen wir schon von gestern und auch hier sehen wir keinen einzigen. Trotzdem ist Vorsicht angebracht. Nach einer heißen Dusche wird uns im Restaurant das heutige Menü vorgelesen. Dann nehmen wir einen Drink am offenen Feuer und warten, bis wir an unseren Tisch geleitet werden. Out-of-Africa-Dekadenz. Aber gut. Das Essen ist bestens, der Service ebenfalls. Nach einem Absacker am Lagerfeuer werden wir gleich von zwei Wächtern im Gänsemarsch zu unserem Bus geleitet. Ein Tag, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Aus vielen Gründen. Sonntag, 30.5.10 (Kinderheim, Kisumu): Heute am Abend wollen wir im Kinderheim in Kisumu sein. Das sind keine 250km, fast alles auf Asphalt, also kein Grund zur Eile. Am Mittag lassen wir Nakuru hinter uns und es geht ziemlich steil in die Berge. Nach einer Stunde sind wir fast auf Höhe der Zugspitze. Im Gegensatz zur Zugspitze wachsen hier ausgedehnte Nadelwälder und zwischen den Bäumen steht fettes grünes Gras, auf dem schwarzbunte Kühe weiden. Leider müssen wir die hervorragend ausgebaute Hauptstraße verlassen. Rechts und links tauchen viele Tee- und Zuckerrohrplantagen auf und sogar richtiger Urwald, die Reste des berühmten und für die Bewässerung der Massai Mara und der Serengeti extrem wichtigen Mau-Waldes. Hier haben sich Politiker, Hofschranzen und Reiche in den letzten Jahren widerrechtlich Stück für Stück angeeignet. Doch jetzt schaut ihnen die Öffentlichkeit, auch die internationale, auf die Finger und der Landraub geht nicht mehr ganz so hemmungslos weiter. Doch die Gefahr, dass der Mara-Fluss eines Tages versiegt und damit die gigantische Gnuwanderung aus der Serengeti endgültig Geschichte ist, besteht nach wie vor. Kurz vor Sonnenuntergang sind wir schließlich auf der Straße, von der der Weg zum Kinderheim abgeht. Doch welche Abzweigung war es? Wir beide haben die Kreuzung in ganz unterschiedlicher Erinnerung. Nur eine Sache stimmt überein: der Weg hatte noch Reste von Asphalt zwischen all den Schlaglöchern. Wir suchen drei Dörfer ab. Keine Kreuzung kommt uns wirklich bekannt vor, doch an einer sehen wir ein paar Asphaltreste. 50m (!) nördlich des Äquators (hallo, Nordhalbkugel) machen wir kehrt und nehmen den Weg mit den Asphaltresten. Es ist eine üble Schlaglochstrecke, doch nach drei Kilometern sind wir da: “International Restoration Center”. Zunächst öffnet niemand. Dann kommen einige Kinder ans Tor und erzählen uns, dass Freddy und Selina erst am Dienstag abend wieder da sind. Dumm gelaufen! Wir wollten ja auch schon vor zwei Wochen hier sein. Schließlich treffen wir Rachel, die Schwester von Selina, die sogar recht gut deutsch spricht. Sie macht uns eine Handyverbindung zu Freddie und Selina. Die beiden sind gestern ins 500km entfernte Kitui aufgebrochen, wo Selinas Bruder in einem kleinen Dorf eine Schule aufbaut. Leider kommen sie tatsächlich erst am Dienstag abend wieder zurück. Wir suchen uns ein waagerechtes Plätzchen auf dem Grundstück und werden wohl nicht vor Donnerstag von hier aufbrechen. Zwei ruhige Tage liegen vor uns. Na ja, die Kinder werden schon dafür sorgen, dass es nicht zu ruhig wird. Montag, 31.5. bis Mittwoch, 2.6.10 (Kinderheim, Kisumu): Die Tage im Kinderheim sind eher gemütlich. Wir wollen Post erledigen und das Auto ein bisschen auf- und umräumen. Akut ist nichts zu reparieren, obwohl das für die Kinder sicher höchst interessant gewesen wäre. Sie haben nämlich wegen eines Feiertages weder Schule noch Kindergarten. An diesem Tag bekam Kenia die innere Selbstverwaltung, die Vorstufe zur Unabhängigkeit. Nachdem sie die erste Scheu überwunden haben, schauen sie ganz genau zu, was wir denn da machen. Vor allem der Computer weckt ihr Interesse. Doch dieses und einiges mehr zum Kinderheim sind eine ganz eigene Geschichte. Donnerstag, 3.6.10 (Kembu Camp, bei Nakuru): Es dauert seine Zeit, bis wir alles wieder ordentlich verstaut haben. Wir hatten ja auf dem Dachgepäckträger eine große Kiste voll mit Kinderbekleidung und -Spielzeug und auch an etlichen anderen Stellen waren Plastiktüten mit Kindersachen hineingestopft. Jetzt haben wir wieder genügend Platz und das ständige Hin- und Herräumen hat ein Ende. Nach einem Abschiedsfoto werfen wir den Motor an. Zum ersten Mal seit vier Tagen. Unser eigentlicher Plan, von Kisumu aus zunächst durch Uganda zu fahren, um dann nach Süden Richtung Fußballweltmeisterschaft abzudrehen, ist am Regen in Mombasa gescheitert. Und an Wolfgangs Eiterfüßen und unserer Faulheit. Doch was soll’s, wir machen uns jetzt auf den Rückmarsch nach Nairobi, um von dort auf direktem Wege durch Tanzania nach Mocambique zu fahren. Da wir fast 1500m höher klettern müssen, kommen wir nur gemächlich voran. Unser Ziel ist eine Farm in der Nähe von Nakuru. Dort soll es nicht nur ein schönes Camp geben, sondern auch noch vorzügliches Essen und frische Milch von der Farm. 10km vor der Farm beginnt eine erbärmliche Schlaglochstrecke. Wir werden nach Strich und Faden durchgerüttelt, obwohl wir nur vorwärts schleichen. Doch nach dieser Tortur stehen wir zur Belohnung auf einer gepflegten Wiese am Hang, mit einem weiten Blick ins Tal. Ringsum viele blühende Sträucher und drei anhängliche Hunde, die uns nicht aus den Augen lassen. Wir sind, wer hätte es gedacht, die einzigen Gäste. Die Köchin bietet uns an, ein Drei-Gänge-Menü zu kochen. Rindfleisch in Mustard-Sauce mit frischen Gemüsen und Kartoffelbrei (nicht aus der Tüte!). Vorher noch eine Gemüsesuppe und hinterher etwas Süßes. Kurze Zeit später dampft eine ausgesprochen leckere Kürbissuppe vor uns, von der wir zu viel essen, so dass das Rindfleisch kaum noch Platz hat. Beides sehr, sehr gut. Abgefüllt kullern wir zurück zum Auto. Freitag, 4.6.10 (Fig Tree Camp, Lake Bogoria National Reserve): Am Morgen kommt der Farmer vorbei. Als wir ihm von unserem Plan erzählen, heute nicht den direkten Weg nach Nairobi zu nehmen, sondern in einer Schleife am 100km östlich gelegenen Mount Kenya entlang zu fahren, wiegt er mit dem Kopf. Das wäre zwar eine sehr schöne Landschaft und auch der 5200er wäre ganz bestimmt einen Besuch wert, doch nicht zu dieser Jahreszeit. Tief hängende Wolken und Regen würden uns den Spaß gründlich verderben. Er rät uns, statt dessen ins deutlich wärmere und zur Zeit ebenfalls sehr grüne nördliche Rift-Valley an den Bogoria-See zu fahren. Der liegt über 1000m tiefer und dort sind jetzt 14 Millionen Flamingos zu Gast. Wir haben zwar schon viele Flamingos gesehen, aber 14 Millionen? Das klingt nach rosa Teppichboden. Sehen wollen! Um 10 Uhr brechen wir auf. Es sind zwar nur 150km, doch wir müssen erst einmal auf 2300m klettern, um dann den langen Abstieg ins Rift-Valley zu beginnen. Mit jedem Kilometer wird es wärmer und trockner. Aus dem satten Grün des kenianischen Hochlands, in dem wir uns seit zwei Wochen bewegen, wird allmählich Steppe. Fast wie in Namibia. Wir fühlen uns zunehmend zu Hause. Gegen 14 Uhr stehen wir am Eingang der Lake Bogoria National Reserve, zusammen mit einigen voll besetzten Schulbussen. Dass Schülern die Nationalparks gezeigt werden, das kennen wir aus den anderen afrikanischen Ländern so gut wie gar nicht. Die meisten Kinder haben die Tiere, wegen denen jährlich Hunderttausende Europäer nach Afrika kommen, noch nie in freier Wildbahn gesehen. In Kenia scheint das anders zu sein. Kaum sind wir am Seeufer, fällt schon der rosa Saum auf. Mit jedem Kilometer, den wir weiter fahren, wird er intensiver. Leider sind die Flamingos ziemlich scheu, wir kommen kaum näher als 100m heran, dann weichen sie aus. Der Park hält überraschenderweise noch eine ganz andere Attraktion bereit. Richtige Geysire, fast wie in Island. Immer wieder sieht man Dampfwolken aus dem Boden kommen oder sogar Wasserfontänen. Hier springen die Geysire nicht, sondern sprudeln beständig. Natürlich treffen wir die Schulklassen an den Geysiren wieder. Offensichtlich haben ihnen die Lehrer gesagt, dass das Wasser so heiß sei, dass man darin Eier kochen könne. Viele Schüler probieren es aus und hängen Plastikbeutel mit Eiern ins Wasser. Leider steht das Thema “Umweltschutz” nicht auf dem Stundenplan. Eierschalen und Plastiktüten bleiben an Ort und Stelle liegen. Das ist ein Problem in ganz Afrika. Was nicht mehr gebraucht wird, wird fallen gelassen oder aus dem Fenster geworfen, egal, ob Flaschen, Bananenschalen oder die allgegenwärtigen Plastiktüten. Verbotsschilder oder Mülltonnen sind reine Dekoration. Das Kochen der Eier scheint jedenfalls geklappt zu haben, denn es liegen nur noch die Schalen herum. Auch auf der Weiterfahrt am Seeufer stehen die Flamingos Spalier. Inzwischen glauben wir die Zahl von 14 Millionen. Es sind jedenfalls verdammt viele. Für die Nacht wollen wir im entlegensten Camp des Nationalparks bleiben. Das hatte uns der Farmer ebenfalls empfohlen. Die Piste dorthin ist ziemlich rau, doch weder die Steigungen noch die Furten halten uns ernsthaft auf. Kurz vor Sonnenuntergang meldet Navigations-Steffi, dass wir unser Ziel erreicht hätten. Wir stehen mitten zwischen riesigen Feigen-bäumen, die größten sicher 20m hoch und 40m im Durchmesser. Wir kommen uns wie in einem Märchenwald vor. Oben turnen Affen auf den Ästen, neben uns plätschert ein Bach, vor uns der Sodasee und hinter uns geht es 600m steil nach oben. Eine beeindruckende Landschaft. Natürlich sind wir allein, nicht mal ein Wächter ist vor Ort. Damit uns die Tierchen nicht zu sehr auf die Pelle rücken, machen wir ein Feuer. Holz liegt ja genug herum. Am gegenüber liegenden Ufer sehen wir ebenfalls ein Feuer flackern. Vermutlich haben die, ganz im Gegensatz zu uns, auch ein Stück Fleisch zum Grillen. An die Möglichkeit eines Lagerfeuers haben wir gar nicht gedacht, es ist ja auch das erste Mal in diesem Jahr. Egal, es geht auch ohne Fleisch. Wir haben ja noch ein wenig Rotwein und genießen einen weitgehend insektenfreien Abend ohne jegliche menschgemachte Geräusche. Dafür geben sich Frösche, Zikaden und ab und zu auch größere Tiere alle Mühe, damit wir uns nicht einsam fühlen. Samstag, 5.6.10 (Jungle Junction Camp, Nairobi): Es war eine sehr angenehme Nacht. Endlich mal mussten wir nicht wegen der Kälte unter die Bettdecke kriechen und auch auf ein Moskitonetz konnten wir verzichten. Vor dem Frühstück machen wir einen kurzen Ausflug zu einem nahe gelegenen Geysir. Auf dem Weg dorthin scheuchen wir erst ein paar Flamingos auf und dann zwei ausgewachsene Kudus, die hier in Kenia eher selten sind. Der Geysir ist nicht groß, aber wie die Fingerprobe zeigt, verdammt heiß. Heiß genug, um Eier zu kochen? Wir holen zwei und legen sie hinein. Nach sechseinhalb Minuten müssten sie fertig sein, denn wir sind hier ja immer noch 1000m hoch. Und tatsächlich, fast perfekte Frühstückseier, jedenfalls das eine. Das andere ist vom Blubbern des Geysirs gegen die Steine geschlagen worden und nur noch halb voll. Kaum sind wir mit dem Frühstück fertig, hören wir Motorengeräusche. Es gibt also noch andere Menschen in dieser Gegend. Die Besatzung zweier Geländewagen kommt zu uns herüber und stellt sich vor. Sie sind vom Viehzucht-Ministerium und sollen hier prüfen, ob die Tsetse-Fliegen (sind mit unseren Pferdebremsen vergleichbar, aber unendlich viel stabiler) mit Schlafkrankheit infiziert sind. In der Umgebung werden die Leute zahlreiche große Stofffallen aufstellen und die Fliegen mit einer Mischung aus einem Pheromon und Azeton anlocken. Die Fallen sind blau-schwarz, weil die Fliegen blau mögen und gern im Schwarzen landen. Gut zu wissen, wenn wir mal wieder in Tsetse-Gebieten unterwegs sind. Die beiden Oberministerialen fragen uns, ob sie ein Foto von sich mit uns und unserem Bus machen dürfen. Na klar. Cheeese. Es gibt einen direkten Weg vom See hoch auf die Asphaltstraße, doch wir nehmen lieber 30km Umweg in Kauf, anstatt uns auf einer einsamen Buckelpiste die Achsen zu brechen. Bis Nairobi sind es keine 300km mehr, das schaffen wir trotz Umweg bis zum Einbruch der Dunkelheit. Unterwegs auf wunderbar glattem Asphalt merken wir, dass der Wagen ein bisschen nach links zieht. Es fühlt sich an wie ein schleichender Plattfuß, doch wir können nichts feststellen. Wir sind wieder Mal dankbar für das elektronische Spielzeug zur Reifendrucküberwachung. Anette kann ganz bequem während der Fahrt den Druck im Auge behalten. Die Reifen sind in Ordnung. Später fällt uns ein, dass es wohl daran liegt, dass wir vorn rechts und links unterschiedliche Reifenmarken drauf haben. Kleine Ursache, große Wirkung. Wir sind rechtzeitig in Nairobi im Jungle Junction Camp zurück. Steffi ist fast an uns verzweifelt, weil wir alle ihre Anweisungen ignoriert haben. Sie wollte uns partout mitten durch die Slums führen. Auf solche Aspekte sind europäische Navigationssysteme nicht vorbereitet. Aber es war schon beeindruckend, wie sie stets ohne Murren nach wenigen Sekunden eine Alternative gefunden hatte. Die wir ebenfalls ignoriert haben ... Hoffentlich nimmt Steffi nicht übel.
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