Samstag, 17.11. bis Freitag, 7.12.18 (Windhoek): Wir sind nicht wie geplant über die Grenze nach Botswana gefahren, sondern stattdessen zurück nach Windhoek. Anettes Tante geht es gar nicht gut und sie musste sogar ein paar Tage ins Krankenhaus. Mit 89 sind solche Aktionen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Zwei ihrer Töchter sind inzwischen aus den USA gekommen und kümmern sich um sie. Die Frage nach einem guten Heimplatz lösen sie auf wunderbare Weise (gut, wenn man alte Schulfreunde überraschend wieder trifft). Wir schauen uns das Heim an und es macht einen wirklich hervorragenden Eindruck. Es könnte mit jeder guten Institution in Europa mithalten. Sie bieten drei Betreuungslevel an: vollkommen selbstständiges Wohnen im eigenen Haus auf dem Grundstück der Einrichtung, betreutes Wohnen im eigenen Appartement und Pflegeplätze.
Anettes Tante muss noch einmal ins Krankenhaus und kommt von dort direkt in ihr neues Heim. Zunächst in ein Pflegezimmer, doch mit der Option, wenn es ihr wieder besser geht, in ein Appartement des betreuten Wohnens zu wechseln. Für ihre Töchter und uns bleibt die unschöne Aufgabe, ihr Haus für den Leerstand und schließlich für den Verkauf vorzubereiten. Es ist, als würde man ein Leben abwickeln. Über viele Jahrzehnte angesammelte Kleinigkeiten verlieren plötzlich ihre Bedeutung, werden quasi wertlos, weil der, dessen Erinnerungen dran hängen, nicht alles mitnehmen kann. Es ist ein Abschied auf Raten und in diesem Fall ist die Rate besonders hoch. Vor vier Wochen noch selbständig gelebt und Auto gefahren und jetzt pflegebedürftig. Das Leben geht manchmal ziemlich ruppig mit den Menschen um.
Wir sind abends meist nach Elisenheim herausgefahren und dort hatten wir vor ein paar Tagen einen Besuch der besonderen Art. Mehr zufällig fällt uns abends im Dunkeln auf, dass unser normalerweise graues Stromkabel ziemlich schwarz aussieht. Im Taschenlampenlicht entpuppt sich die schwarze Farbe als äußerst lebendig. Ameisen, tausende im Gänsemarsch, die gerade dabei sind, es sich im Bus gemütlich zu machen. Und das nicht nur als vorübergehender Gast, sondern dauerhaft, denn sie haben auch gleich ihren Nachwuchs mitgebracht. Jede trägt ein Ei vor sich her, der größte Eierlauf, den wir je erlebt haben.
Sie bekommen von uns eine ziemlich harsche Abfuhr, denn wir hatten so etwas schon einmal vor vielen Jahren und durften dann wochenlang Ameisen im Bus jagen. Dieses Mal begreifen sie schnell, dass wir nicht einverstanden sind, und disponieren um. Sie legen ihre Eier stattdessen zu tausenden in den Rillen unserer Reifen ab. Alle vier Reifen wimmeln regelrecht vor Ameisen. Wir haben lediglich mit etwas Gift dafür gesorgt, dass sie von den Rädern aus nicht den Weg ins Fahrzeuginnere antreten.
Warum machen die das, und noch dazu so überfallartig? Vermutlich nicht, um ihren Kinderchen die große weite Welt zu zeigen. Vielleicht mögen sie unser Auto? Oder sind das Asylsuchende? Oder ahnen sie extreme Regenfälle voraus und bringen ihre zukünftige Generation in höher gelegene Regionen wie z.B. oben auf unseren Reifen?
Wir haben keine Erklärung. Am nächsten Morgen sind die Eier wieder weg und es liegen Tausende von toten Ameisen um die Reifen auf dem Boden.
Es dauert Wochen, ehe wir die Belagerung endgültig zurückgeschlagen haben. In dieser Zeit drücken wir an manchen Tagen einige hundert von ihnen im Bus platt. Und eine Tausendschaft spülen wir aus der Markise. Das ist zwar nicht nett, doch sie sind Argumenten gegenüber wenig aufgeschlossen. Die Farbe des Busses kontrastiert ja wunderbar mit der Farbe der Ameisen, so dass wir sie überall entdecken können.
Doch das war nicht genug der wilden Tiere auf dem Camp. Einige Tage später gibt es am Abend plötzlich laute Rufe und Funksprüche und einige Leute laufen zusammen. Wir gehen auch hinüber. Andreas hält eine ziemlich große Schlange mit einem Schlangenstock am Boden fest. Sie versucht, sich heraus zu winden, doch Andreas hat sie sicher im Griff.
Er empfiehlt uns, ein paar Meter weit wegzugehen, denn es ist eine ausgewachsene Speikobra. Sie spritzt ihr Gift in Richtung der Augen, was ohne Behandlung zur Erblindung führt. Sie ist aber vor allem deshalb gefährlich, weil sie neben dem verspritzten Augengift noch zwei weitere Gifte auf Lager hat. Die meisten Schlangen haben nur eines im Angebot. Wenn diese Kobra zubeißt, pumpen ihre Giftzähne gleichzeitig ein Nervengift und ein Gewebegift in das Opfer. Das Nervengift lähmt die Organe und das Gewebegift lässt das umliegende Gewebe absterben. Beides ist unbehandelt tödlich.
Da die Speikobra, genauer: Zebrakobra wegen ihrer Querstreifen, in der Nähe der Restaurantküche entdeckt wurde, ist anzunehmen, dass sie gezielt dort auf der Jagd war und wiederkommen würde. Deshalb bleibt nur die Alternative, sie zu töten. Das gefällt niemandem hier, doch es ist einfach zu gefährlich mit all’ den Restaurant- und Campgästen und vor allem mit den vielen Kindern.
Andreas packt sie am Schwanz und schlägt sie mit viel Schwung ein paar Mal auf den Boden. Sie ist sofort tot. Schade um das Tier. Es ist mit 1,8 m Länge sehr stattlich; größer werden Zebrakobras nicht.
Die 30 kleinen Mungos, mit denen wir fast jeden Tag unseren Spaß haben, hätten die Kobra wahrscheinlich gestellt und erlegt. Das mag man gar nicht glauben, wenn man zusieht, wie die putzigen Kerle das Müsli vertilgen, das ihnen Anette hinstreut. Inzwischen sind sie so zutraulich geworden, dass sie auch auf den Stuhl oder in den Bus klettern. Wenn wir sie lassen! Bei dieser Gelegenheit hat einer von ihnen mal Wolfgang in den Ellenbogen gezwackt. Er wollte wohl probieren, ob das schmeckt. Es bleiben trotz aller Possierlichkeit richtige Raubtiere.
Etwas weniger abenteuerlich gestaltet sich unser Kuchenbackversuch. Vor einiger Zeit haben wir einen weitgehend missratenen Versuch mit Brot gemacht. Die eine Seite war Kohle, die andere nicht richtig durchgebacken, so dass das Brot nach zwei Tagen zu schimmeln begann. Dieses Mal haben wir mehr Erfolg. Nur ein bisschen Holzkohle, nur ein bisschen in sich zusammengefallen. Doch der Kuchen schmeckt recht ordentlich und für die Kohle bewerben sich zahlreiche gefiederte Abnehmer.
Backen auf dem Benzinkocher ist nicht so ganz einfach. Da brauchen wir noch ein paar Versuche, um das richtige Verhältnis von Temperatur und Zeit herauszufinden.
Im vierten Versuch hat Wolfgang Erfolg mit der Verlängerung seines Visums. Beim ersten Besuch im Ministerium für “Home Affairs” findet er nach längerem Suchen zwar die richtige Stelle, die so etwas machen könnte und der Schalter ist auch noch ein paar Stunden besetzt, doch die Dame kann nichts mehr tun. Der Grund: nach der Mittagspause kommt der Kassierer nicht mehr zurück an seinen Schalter. Da man zur Antragsabgabe eine Gebühr bezahlen muss, kann natürlich nichts mehr angenommen werden. Spricht’s und widmet sich ausgiebig ihrem Handy. Was bleibt ihr auch sonst übrig?
Am nächsten Tag ist Wolfgang eine halbe Stunde vor der Mittagspause da. Zwar steht draußen auf einem großen Schild, dass 13 bis 14 Uhr Mittagspause sei, doch man hat sich entschlossen, schon um 12:30 Uhr damit zu beginnen. Dann ist der Vormittag nicht so lang.
Dritter Versuch: früh morgens um 10 Uhr, in der Hoffnung, nicht in die Frühstückspause zu geraten. Und es klappt, die Dame nimmt den Antrag tatsächlich an und verspricht, ihn bis morgen fertig zu machen. Wolfgang müsse allerdings früh kommen, denn zum Abholen wird wieder der Kassierer gebraucht.
Der ist am vierten Tag tatsächlich anwesend und nimmt einen ordentlichen Batzen für die Staatskasse ein. Schließlich müssen die zahlreichen fleißigen Beamten ja auch bezahlt werden.
Warum hat Afrika ausgerechnet die Auswüchse europäischer Bürokratie übernommen? Hatte Europa wirklich nichts Besseres zu bieten?
Samstag, 8.12.18 (Seeheim Hotel): Wir brechen zum zweiten Mal aus Windhoek auf. Dieses Mal nach Südwesten in die äußerste Ecke Namibias. Dort liegt Oranjemund, was bis letztes Jahr noch im Diamanten-Sperrgebiet lag und nur mit Genehmigung erreichbar war. Jetzt ist es für jedermann zugänglich und wir wollen mal sehen, wie es dort aussieht. Zwischen Windhoek und Oranjemund liegen allerdings gut 900 km, doch bis auf 200 km alles feiner Asphalt. Das sollte in zwei Tagen zu machen sein.
Mittags rollen wir über den Wendekreis des Steinbocks und sind jetzt erst einmal für längere Zeit raus aus den Tropen. An den Temperaturen ändert das aber gar nichts. Ganz im Gegenteil. In Seeheim, wo wir am Abend landen, erzählt man uns, dass um diese Jahreszeit Temperaturen zwischen 40 und 48° normal wären.
Wir genießen unseren Sundowner auf einem leeren Platz und bei kühlen 30°.
Seeheim ist eine alte Garnisonsstation aus der Schutztruppenzeit Anfang letzten Jahrhunderts. Hier ging der Weg nach Lüderitzbucht entlang, dem damaligen Hafen für die deutschen Kolonialtruppen. Später kam auch noch eine wichtige Eisenbahnlinie hinzu und die Stadt blühte auf.
Mit dem Abflauen des Diamantenbooms, dem Ende der deutschen Kolonialzeit und dem Verlegen der Hauptstraße um ein paar Kilometer war sehr schnell Feierabend. Alles wurde verlassen.
Heute besteht in den Mauern der deutschen Kolonialgebäude ein einsames Hotel. In einer trockenen und felsigen Einöde gelegen wurde es hin und wieder von Reisebussen aufgesucht. Doch seit einem halben Jahr geht auch das nicht mehr. Eine Hotelangestellte hatte Geld aus der Kasse genommen, kam dafür ins Gefängnis, hat dann aus Rache eines der Reetdächer angezündet und damit das Hotel bis auf wenige Gebäude abgebrannt. Jetzt hat sie länger im Gefängnis eingebucht.
Das war vor einem halben Jahr. Da bei dem Brand der große Gastank in der Küche explodiert ist, sind jetzt alle Gebäude in dessen Umgebung neu. Und die ersten Zimmer im Hauptgebäude werden bereits renoviert. Die Wände und Decken stehen ja noch und wurden damals von den Deutschen militärisch solide gebaut. Man kann an den Resten der Gebäude ahnen, dass es damals eine beeindruckende Anlage gewesen sein muss. Und vielleicht auch wieder wird.
Wir sind die einzigen Gäste und genießen das Abendessen aus der neuen Küche.
Nach dem Waterberg ist dies schon der zweite kolonialgeschichtsträchtige Platz in diesem Jahr.
Sonntag, 9.12.18 (Sheperds-Lodge, Oranjemund): Vom Seeheim-Hotel wollen wir quer durch die Bergwildnis nach Rosh Pinah. Das ist die Landschaft im Rücken des touristenschwangeren Fish-River-Canyons und hier erwarten wir niemanden. Weder viele Einheimische und natürlich auch keine Touristen. Es gibt weder Dörfer noch andere Gründe, hierher zu fahren. Außer man hat Spaß an absoluter Einsamkeit und Einöde.
Haben wir!
Als wir auf die insgesamt 200 km lange Piste einbiegen, sind wir höchst erstaunt. Die Piste ist zwar sandig, aber sehr gepflegt und sehr breit. Wunderbar zu fahren. Normalerweise rechnen wir für 200 km rund sieben Stunden Fahrtzeit. Mehr als 30 km/h sind dauerhaft selten drin. Doch hier geht es ziemlich flott vorwärts, zuweilen fliegen wir sogar mit beinahe halsbrecherischen 80 km/h.
Die Landschaft ist wie erwartet einsam. Sehr einsam. Hin und wieder kommen wir an Farmen vorbei. Wovon die Leute hier leben, ist uns nicht klar. Es gibt kaum Wasser, es wächst fast nichts, wir sehen kaum Tiere. Das Beindruckende an dieser steinigen und sandigen Einöde ist auch das Bedrückende. Wer hier lebt, muss auf sehr Vieles verzichten. Eine Tagesreise zum Einkaufen, kein Handynetz, keinen Strom, keine anderen Menschen. Wer hier eine Panne hat braucht viel Geduld - und viel Wasser. Über Stunden begegnet uns kein Fahrzeug.
Trotz aller Stopps und Pausen sind wir nach flotten vier Stunden pannenfrei durch. Die asphaltierte Welt hat uns wieder.
Die letzten 100 km gehen auf neuer Straße nach Oranjemund. Wir fahren durch das sog. Sperrgebiet, das ein Zehntel der Fläche Deutschlands groß ist. Noch heute wird es auf den Betreten-Verboten-Schildern ”Sperrgebiet” genannt, auch wenn die eigentlichen Warnhinweise nur noch auf Englisch, Afrikaans und in einer einheimischen Sprache wiedergegeben werden. Das Wort “Sperrrrrrgebiet” klingt wohl in allen Sprachen abschreckend.
Der Grund für das Sperren: Diamanten. Ziemlich viele davon. In der deutschen Kolonialzeit entdeckt und heute noch ausgebeutet. Inzwischen konzentrieren sich die Schürfaktivitäten auf den Küstenstreifen und die flacheren Meeresbereiche, so dass man das Hinterland für Besucher freigeben kann. Es soll ein neuer Wüstennationalpark werden, der wahrscheinlich das Wort “Sperrgebiet” im Namen tragen wird. Doch zurzeit ist das kaum mehr als eine leere Hülle, eine ziemlich sandige.
Und eine windige. Ein sehr kräftiger Südwester fegt den Sand über die Straße. Die ist klug gebaut, so dass sich der Sand nicht auf ihr ablegt, sondern nur darüber geblasen wird. Während der Fahrt fühlt es sich an wie Fahren in einem vergilbten Schneesturm.
Teilweise muss unsere normalerweise waagerechte Lenkradspeiche senkrecht stehen, um geradeaus zu fahren. Selbst bergab geht es gegen den Wind nur mit kräftigem Gasgeben vorwärts. Beim nächsten Tanken werden wir feststellen, dass das Gegenlenken ordentlich auf den Spritverbrauch durchgeschlagen hat. Wie Fahren im Tiefsand.
Kurz vor Oranjemund kommen wir an einer Lodge vorbei, die auch Camping anbietet. Das wird unsere. Für heute sind wir genug gefahren.
Die Lodge liegt malerisch als grüne Oase zwischen hohen Dünen. Hier bläst der Wind nicht mehr so stark und wir stehen auf einer richtigen Wiese. Wir sind die einzigen Gäste. Und: sie haben mobiles Internet, so dass wir mal wieder nach unseren Mails und den Ereignissen der Welt schauen können.
Montag, 10.12.18 (Sheperds-Lodge, Oranjemund): Heute keine Kilometer machen, sondern nur Einkaufen und den Einwohnern ein wenig dabei zuschauen, was sie in ihrer Freizeit tun. Es ist zwar Montag, aber gleichzeitig Weltfrauentag und deshalb ein nationalen Feiertag. An dem wird nicht gearbeitet. Nur in den Supermärkten ist heute Großkampftag, genau wie an jedem anderen Tag. Weltfrauentag gilt hier nicht
Oranjemund ist bekannt dafür, dass sich die Oryxantilopen der umgebenden Wüste auf den Grünflächen der Stadt als kostenlose Rasenmäher tummeln. Menschen und Oryx haben sich in den letzten 80 Jahren, seit dieses Städtchen im Sperrgebiet existiert, aneinander gewöhnt.
Speziell die Plätze für sportliche Betätigungen haben es den Oryx angetan. Auf dem Fußballplatz braucht der Platzwart zwar keinen Rasen zu mähen, muss dafür aber vor jedem Spiel die Hinterlassenschaften beseitigen.
Auch der Golfplatz bietet sich für einen Oryx-Familienausflug an. Es wäre interessant zu wissen, wie sich Tiere verhalten, wenn man ihnen einen Golfball zwischen die Hörner schießt. Die Kerle heißen nicht zufällig Spießböcke und können mit ihren Hörnern sehr gut umgehen.
Wegen des Feiertags findet man viele Leute am Strand. Nun ist unsere Vorstellung von “Familie am Strand” eine gänzlich andere als hier. Niemand baut hier eine Sandburg oder stellt einen Sonnenschirm auf. Der Wind verhindert’s. Auch ins Wasser geht kein Mensch. Die Temperatur verhindert’s. 15°C!
Stattdessen sitzt man versteckt und windgeschützt in den Dünen, trinkt etwas oder man tut das Üblichste: Grillen.
Auch wir tun etwas Übliches, wir fahren uns im Sand fest. Wolfgang passt nicht auf und schon brechen wir mit den Hinterrädern durch die harte Oberfläche. Nach einer Viertelstunde und einigem Buddeln sind wir wieder flott und haben uns einen ordentlichen Feiertagsnachmittagskaffee verdient. Trotz des sehr kalten Windes ist der Sand angenehm warm.
Dienstag, 11.12.18 (Pofadder Camp): Morgen läuft unser namibisches Visum ab, doch zur Sicherheit werden wir schon heute das Land verlassen.
Vorher schauen wir uns noch das lokale Stadtmuseum an. Hier ist viel über die Geschichte des Ortes von seinen deutschen Anfängen über die Boomjahre des Diamantenabbaus bis zur Stadtwerdung 2011 zusammengetragen.
Mittags geht es dann über eine lange einspurige Brücke über den Oranje nach Südafrika. Der Mann von der Einwanderungsbehörde will alles über das Auto wissen und ist begeistert, dass es schon 40 Jahre auf dem Buckel hat. Unsere Papiere interessieren ihn nur am Rande, da hätten wir uns in Windhoek den Aufwand für die Verlängerung des Visums wahrscheinlich schenken können.
Wenn man’s vorher gewusst hätte ...
Die südafrikanische Seite ist problemlos wie immer.
Gleich nach der Grenze kommen wir an Alexanderbay vorbei, quasi die Schwester von Oranjemund auf südafrikanischer Seite. Die Stadt ist ebenfalls wegen Diamanten abgesperrt, doch wir bekommen eine Erlaubnis, kurz drinnen herumfahren zu dürfen.
Es gibt aber eigentlich keinen Grund, die Stadt zu besuchen. Ein Imbiss, ein Supermarkt, ein paar Wohnstraßen und viel Wind. Nach einer halben Stunde sind wir wieder draußen.
Natürlich haben wir heftigen Gegenwind und quälen uns durch die Wüste entlang der Küste nach Süden. Hin und wieder öffnet sich ein weiter Blick auf die menschenleeren Strände. Wenn das Wasser nicht so kalt wäre, könnte das sogar für Urlauber interessant sein. Jedenfalls ist die Region seit Kurzem über eine sehr gute neue Straße mit dem Hinterland verbunden. Der Preis dafür: entlang der ersten 50 Kilometer sehen wir 20 Kreuze neben der Straße, alles Verkehrstodesfälle aus der jüngsten Zeit.
An sich wollten wir in Springbok übernachten. Doch da erstens der Campingplatz eher zu den langweiligen zählt und es zweitens noch relativ früh ist, hängen wir noch ein paar Kilometer dran. Bei Einbruch der Dunkelheit landen wir in Pofadder (Puffotter). Was für ein Name für eine Stadt! Das erste Camp stellt sich als vermüllter Vorgarten heraus und die Gegend sieht auch nicht so aus, als ob das zweite, fast benachbarte, besser sei. Doch weit gefehlt. Der Platz ist der Region entsprechend zwar sandig und trocken, doch die Sanitäranlagen sind hervorragend und die Leute sehr nett.
Glück gehabt. Und mal wieder der einzigen Gäste.
Mittwoch, 12. bis Donnerstag, 13.12.18 (Red Sands Lodge): Dank unseres gestrigen Fleißes haben wir heute nur knapp 500 Kilometer bis zur Red Sands Lodge bei Kathu. Da wollen wir hin, weil wir dort letztes Jahr hervorragend gegessen haben. Außerdem war es damals bitterkalt, eine Vorstellung, die bei 36° nicht unangenehm ist.
Kurz vor Upington fällt uns am Horizont ein seltsam schimmerndes Bauwerk auf. Mitten in der Steppe steht ein hoher Turm, an dessen Spitze ein extrem helles Licht leuchtet. Darüber scheinen sich blaue Strahlen zu kreuzen. Wir haben keinen blassen Schimmer, was das sein könnte.
Später erfahren wir aus dem Internet, dass es sich um die Khi-Solar-One-Anlage handelt, ein 200 m hoher Turm, um den herum 4000 bewegliche Spiegel angeordnet sind. Sie reflektieren das Sonnenlicht auf die Spitze des Turmes, wo eine Flüssigkeit auf gewaltige 500 °C aufgeheizt wird. Damit produziert eine Turbine Strom für 45.000 Haushalte. Und das Beste: der Turm speichert so viel Wärme, dass die Anlage im günstigsten Fall sogar über Nacht Strom erzeugen kann.
High Tech in der Wüste, in einer Gegend, die geradezu prädestiniert ist für die solare Energieerzeugung. Nicht weit entfernt steht zudem noch eine riesige Anlage mit klassischen Solarmodulen, die eine ganze Stadt versorgt.
Kurz vor unserem Ziel kommen wir am größten Eisenerztagebau der Welt vorbei. Die ganze Gegend ist über viele Kilometer einfarbig rostbraun. Der Boden, die Industrieanlagen, die Autos. Wenn es hier regnet, ist das eine furchtbare Schmiererei.
Leider kann man nichts besichtigen. Doch wenn man Glück hat, kommt einer der rekordträchtigen Züge mit Eisenerz vorbei. Hier wurde kürzlich der längste Zug der Welt zusammengestellt: über 7 km, Waggon an Waggon. Auch ein “normaler” Zug besteht aus 340 Waggons und schleppt mit einem halben Dutzend Lokomotiven 17.000 Tonnen Erz an die Küste. Glücklicherweise geht es von hier 1000 m nach unten, so dass sie Loks die meiste Zeit bremsen müssen und Strom erzeugen. Und auf dem Rückweg sind die Waggons ja leer.
Wir sehen den Zug zwar stehen, aber er setzt sich nicht in Bewegung. Schade!
An der Zufahrt zur Lodge wird es noch einmal brenzlig. Wir müssen von der Hauptstraße über die Gegenfahrbahn hinweg in die Zufahrt auf der anderen Straßenseite abbiegen und setzen den Blinker. Der Lkw hinter uns zieht nach links und fährt langsam an uns vorbei. Da kein Gegenverkehr kommt, wollen wir abbiegen, bemerken aber gerade noch rechtzeitig, dass zwei Verrückte mit Volldampf auf der Gegenfahrbahn von hinten angerast kommen, um uns zu überholen. Wären wir nur einen Meter nach rechts gezogen (wir hatten ja an sich freie Bahn), hätte man hier ein paar weitere Kreuze aufstellen dürfen, einschließlich unserer eigenen.
Blöde Autofahrer gibt es überall, aber manche sind wirklich strunzblöd.
Das Abendessen im Restaurant ist wieder einmal hervorragend. Und etwas ganz Neues: wir sind nicht die einzigen Camper, erste Signale der an diesem Wochenende beginnenden Urlaubs- und Weihnachtssaison.
Am nächsten Tag haben wir keinen Bock auf Autofahren, sollen sich die Verrückten doch erst einmal untereinander austoben. Da es hier einen guten Internet-Zugang gibt, kümmern wir uns um unsere Mails und die Nachrichten aus der Welt.
Freitag, 14.12.18 (Rustenberg): Heute haben wir einen 600 km-Ritt vor uns und wollen am Abend in der Nähe von Sun City sein.
Es geht immer geradeaus durch eine ziemlich trockene Landschaft. Man ahnt, dass es hier eigentlich schon lange grün sein sollte, denn die riesigen Felder sind bestellt. Doch das einzige, was auf den Feldern üppig gedeiht, sind die staubbeladenen Windhosen. Wenn es nicht bald regnet, ist das ein verlorenes Jahr für die Landwirtschaft.
An der Tankstelle bekommen wir noch eine frohe Botschaft. Wir haben auf den letzten 700 km nur 8,6 Liter/100 km gebraucht. So wenig wie nie. Es ging ja auch nur geradeaus, fast nur im vierten Gang und endlich mal kein Gegenwind.
Wir hatten einen ähnlich niedrigen Verbrauch schon mal vor vielen Jahren, doch damals hatte sich der Motor heimlich Benzin aus dem zweiten Tank geholt. Dieses Mal war der von vornherein leer.
Kurz vor Feierabend haben wir dann wieder unser tägliches Erlebnis mit hirnamputierten Autofahrern. Auf einer Landstraße mit einer Spur in jeder Richtung und Mittelleitplanke fahren wir am linken Rand unserer Spur, um den anderen den Blick nach vorn zu erlauben. Plötzlich schießt der Wagen hinter uns zwischen die Leitplanke und unsere Auto und drängelt uns auf den Randstreifen ab. Hätte er uns oder die Leitplanke touchiert, wären etliche der folgenden Fahrzeuge in das Knäuel hinein gerast, denn die meisten fahren fast auf Stoßstangenkontakt.
Glücklicherweise können wir gleich danach abbiegen, denn wir sind an unserem Camp.
Nächste Überraschung: um auf dem Platz übernachten zu dürfen, müssen wir mindesten vier Nächte buchen. Ist heute die ganze Welt bescheuert?
Wir lehnen dankend ab, sooo toll ist der Platz nun auch wieder nicht. Und wenn wir wieder Mal hierher kommen, finden wir sicher auch etwas Besseres.
Und dieses Mal? Nichts Besseres, aber in einer anderen Lodge müssen wir nur eine Nacht buchen und genügend Platz gibt’s auch. Viel Platz, denn wir sind die einzigen Gäste, was auch kein Wunder ist, denn die Anlage hat die besten Tage längst hinter sich.
Egal, für eine Nacht geht’s. Außerdem fängt es ganz ordentlich an zu regnen, da ist’s draußen eh nicht so gemütlich.
Samstag, 15.12.18 (Manyane Camp, Pilanesberg):
Wir besorgen uns eine SIM-Karte, damit wir endlich wieder richtig telefonieren können (... ähh, damit Anette ...). An sich wollen wir damit auch ins Internet, aber unser Empfangsgerät weigert sich, die Karte zu erkennen. Der Anbieter von beidem, MTN, meint nur lapidar “...dass die MTN-SIM-Karte nicht mit dem MTN-Gerät zusammenarbeitet, ist nicht das Problem von MTN!”. Die Arroganz des Marktführers. Gut, dass es Wettbewerber gibt.
Heute ist wohl nicht unser Tag. Und es geht so weiter. Um uns durch die Stadt zu lotsen, benutzen wir unser Navi. Normalerweise schauen wir vor der Abfahrt sehr genau hin, wo uns das Gerät entlang schicken will, doch heute folgen wir kritiklos den Anweisungen - und machen eine endlose Rundfahrt zwischen den Platinminen und alten Industrieanlagen. Erst nach einer Stunde merken wir, dass unser Navi heute seinen lustigen Tag hat und erinnern uns reuemütig, dass man auch nach Karte und Straßenschildern fahren kann.
Das war wirklich eine peinliche Fahrerei. Erst am frühen Nachmittag landen wir am Hintereingang des Pilanesberg Nationalparks.
Der Park ist kompakt wie kaum ein anderer, aber voller Tiere. Kaum sind wir drinnen, steht hinter einer Pistenkurve ein Prachtexemplar von einem Elefanten vor uns. Sehr alt und sehr gelassen. Es hat geregnet und er genießt es, sich den Schlamm aus den Wasserlöchern auf den Rücken zu werfen, als Sonnen- und Insektenschutz. Gut, dass er uns nicht mit einbezieht.
In den nächsten Stunden rennt uns noch all’ das über den Weg, was man hier erwarten kann, dann zieht sich der Himmel zu und wir fahren ins Camp.
Alle Plätze mit Stromanschluss sind belegt, doch wir brauchen ja keinen Stromanschluss. Einen derart vollen Platz haben wir seit Jahren nicht erlebt. Es müssen tausende von Menschen sein mit hunderten von Tiefkühltruhen. Und jeden Abend hunderten von Grillfeuern. Eine gigantische Räucherkammer.
Im Augenblick denkt allerdings niemand ans Grillen, denn es macht sich ein Unwetter der üblen Sorte breit. Mit Sturm, Regen und Hagel. Wir suchen uns ein Plätzchen auf einem Hügel, während rings um uns eine Landschaft aus Pfützen und Bächen entsteht.
Nach ein paar Stunden ist alles überstanden. Und ein richtiger Südafrikaner schüttelt sich nach dem Unwetter nur kurz. Und macht den Grill an.
Sonntag, 16.12.18 (Riverwood): Das Wetter benimmt sich wieder ordentlich, morgens schon 25° und blauer Himmel, genau das richtige für das Wellenbad in Sun City. Wobei Wellenbad nur die halbe Wahrheit ist, Badelandschaft der Superlative trifft es schon eher. Wellenbecken mit richtigem Strand, Urwald, wilden Rutschen und gemütlichen Flüsschen, auf denen man sich treiben lassen kann.
Normalerweise ein entspannter Tag, doch dieses Jahr sind ja viele Dinge anders als geplant.
Wir erfahren, dass die Schließfächer heute nicht funktionieren und das heißt, dass einer von uns immer auf die Sachen aufpassen muss. Mist!
Der Grund wird uns erst allmählich klar. Das Unwetter, was wir gestern Abend hatten, war nur ein Abklatsch dessen, was passiert ist. Hier ist zwischen den Bergen ein gewaltiger Hagelsturm hängen geblieben und hat dafür gesorgt, dass die obere Hälfte aller Bäume laubfrei ist. Folglich läuft man über einen dicken grünen Teppich, dem die Angestellten teilweise mit Schneeschiebern (!) zu Leibe rücken. Später erfahren wir, dass das berühmte Luxus-Hotel oberhalb der Wasserlandschaft evakuiert werden musste, weil das Wasser aus den Deckenlampen floss. Durch das Foyer gurgelte ein knietiefer Fluss und auf dem Wasser trieben regelrechte Eisschollen aus Hagelkörnern.
Bei einem Gang durch den Regenwald entdecken wir Stellen, an denen jetzt, nach einem Tag mit 35°, immer noch Hagelkörner herumliegen. Es muss ein Inferno gewesen sein und es dürfte längere Zeit dauern, bis sich die Natur erholt hat und die Schäden beseitigt sind. Gut, dass wir 10 km entfernt waren.
Hier gibt es ziemlich verwegene Rutschbahnen, von denen einige leider außer Betrieb sind, weil die eingespülten Massen an Blättern die Pumpen verstopfen. Aber die Rutschen, die funktionieren, sind wieder mal eine Wucht.
Wegen der gerade angefangenen Ferien ist die Anlage gut gefüllt. Und, anders als in den vergangenen Jahrzehnten, spiegelt die Verteilung der Hautfarben in etwa den südafrikanischen Durchschnitt wider.
Und noch etwas anderes ist ziemlich durchschnittlich: der Anteil der sehr Dicken. Sie einfach nur Dicke zu nennen, wäre eine freundliche Untertreibung. Aber im Gegensatz zu Europa werden sie hier nicht schief angesehen. Sie sind zwar - noch - nicht in der Mehrheit, doch wir hörten, dass Südafrika eines der drei dicksten Länder der Welt sei, dicker als die USA. Etliche Gruppen von überdimensionierten Damen in unterdimensionierten Bikinis haben einen Riesenspaß im Wasser und ein Selfie nach dem anderen wird geschossen. In Breitwand.
Wenn man bedenkt, warum Sun City damals überhaupt gegründet wurde, dann ist es schon erstaunlich, dass sich heute die Schwarzen diesen Ort erobert haben und sich die Sonne auf die Haut scheinen lassen. Im prüden Apartheids-Südafrika war ja vieles verboten, was die Leute gerne getan hätten, wenn man sie nur gelassen hätte. Deshalb hatte man seitens der Regierung einen Teil Südafrikas zu einem eigenen Staat erklärt - Bhophutatswana. Dort hatte man einen Operettenkönig eingesetzt und ihm erklärt, was er alles erlauben müsse. So konnten die weißen Südafrikaner übers Wochenende im Ausland ordentlich die Sau rauslassen, um am Sonntagabend als glaubensfeste Kirchenmitglieder wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Schließlich konnte man sie ja für das, was sie im Ausland angestellt hatten, nicht in Südafrika bestrafen.
Heute ist das alles Geschichte, doch Sun City und der benachbarte Pilanesberg Nationalpark sind immer noch Top-Attraktionen.
Der Wetterbericht hat für heute Abend wieder Regen angesagt. Deshalb werden wir nicht mehr hier in der Nähe übernachten, sondern gleich zu den Freunden in Pretoria weiterfahren. Die würden sich sicher mächtig freuen, wenn wir ein bisschen Regen mitbrächten. Über Hagel allerdings weniger, denn sie haben einige sehr große Laubbäume in ihrem Park und die sähen oben ohne eher traurig aus.
Wir sind rechtzeitig zum Sundowner in Riverwood. Großes Hallo durch Elizabeth und Peter, sechs Hunde, dreieinhalb Antilopen (Blessböcke), viele Pferde und erstaunlich wenige Puten. Die Blessbock-Mama wird nächste Woche ihr Junges kriegen und so sind aus zwei zugelaufenen Tieren schon vier geworden. Und dass es nur sehr wenige Puten sind, liegt am Hunger von Nachbars Hunden, doch die haben inzwischen einen Platzverweis bekommen. Neue Pütchen sind bereits in Arbeit.
Montag, 17.12.18 bis 19.4.19 (Riverwood): Normales Leben in Afrika. Weihnachtsmarkt, Traktor reparieren, Heiligabend am Pool, rote Zipfelmützen in den Supermärkten, Sylvester bei Bekannten, den Bus kaum bewegen, auf Regen hoffen (hin und wieder erfolgreich) und vorübergehend dreizehn Hunde, die sich liebend gerne mit Anette beschäftigen und Wolfgang (weitgehend) in Ruhe lassen. Nur Bella nicht, eine kleine Pudeldame, die sich brennend für Peters und Wolfgangs Arbeit in der Werkstatt interessiert. Und immer Gefahr läuft, als Putzlappen benutzt zu werden.
Also alles wie immer. Fast! Denn zwei Dinge sind anders. Wir kriegen zum ersten Mal hautnah den südafrikanischen Volkssport “Load Shedding” mit und unser Motor schreit nach Generalsanierung.
“Load Shedding”, auf Deutsch “Lastabwurf”, was auch nicht aussagefähiger ist. Das alles hat mit der ESKOM zu tun, dem völlig kaputten und desolat gemanagten Energiemonopolisten des Landes. An dem haben sich seit Jahren viele Politiker hemmungslos bereichert und die Bevölkerung hat inzwischen wahrlich die “Schnauze voll”. Hier heißt das “Gatvol”, was eher das andere Ende des Verdauungstraktes beschreibt. Das Kohleförderland Südafrika hat keine Kohle für die Kraftwerke mehr. Die meiste Kohle wird an China verkauft und viel wird geklaut. Die Überlandleitungen sind marode und zuweilen die Kabel geklaut. Kraftwerke sind seit zehn Jahren im Bau, werden aber nicht fertig (nein, nicht superkomplexe Dinger wie der Berliner Flughafen, sondern ganz gewöhnliche simple Kohlekraftwerke). Das Geld dafür ist verdunstet. Und der Monopolist sorgt zusammen mit der Regierung dafür, dass keine Konkurrenz entsteht. Solche Mechanismen sind uns ja auch in Deutschland nicht unbekannt.
Für die normalen Leute bedeutet “Load Shedding”, dass reihum einige Stadtteile für Stunden keinen Strom bekommen. Bei uns geschieht das meistens abends zwischen 19 und 21 Uhr. Wochenlang. Eine perfekte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Einbrecher und Diebe. Die müssen jetzt nicht bis spät in der Nacht warten, ehe sie niemand mehr sieht und sind deshalb früher wieder zu Hause. Das ist doch auch etwas Schönes.
Leider wohnt in unserer Gegend keiner der wichtigen Politiker, dann wären wir vom Abschalten ausgenommen.
Andererseits sind es die Südafrikaner gewohnt, dass fast täglich der Strom ausfällt. Doch leider geht niemand auf die Barrikaden. Dabei wäre die Lösung des Problems furchtbar einfach: Wettbewerb zulassen, Erzeugung, Transport und Verteilung der Energie voneinander trennen und Politiker raus aus dem Geschäft. Wahrscheinlich würde allein der letzte Punkt einen großen Sprung nach vorn bedeuten, doch Tausende von Politikern müssten dann wieder lernen zu arbeiten.
Die Situation ist einigermaßen hoffnungslos und wird von Jahr zu Jahr schlimmer.
Genau das ist bei unserem Motor hoffentlich nicht der Fall. Er benimmt zwar sich seit einiger Zeit auch nicht mehr so, wie er soll, doch so kriminell wie bei der ESKOM ist es nicht. Auch wir leiden unter “Load Shedding”, denn unser Generator schafft nicht einmal genug Strom, um nachts mit Licht zu fahren. Außerdem ist der Motor heftig inkontinent und sein Öldruck ist deutlich zu niedrig. Die Benzinpumpe pumpt nicht richtig und er hat sich noch ein paar weitere Zipperlein angewöhnt. Also: Motor raus und zerlegen.
Und hier kommen ein paar glückliche Umstände zum Tragen. 2016 sprach uns in Pretoria auf einem Baumarktparkplatz ein Deutscher an, der in Südafrika lebt. Arno arbeitete früher zwar bei BWM, hatte aber selber etliche VWs und kannte sich in der örtlichen Szene bestens aus. Und kannte nebenbei auch unsere Freunde. Im nächsten Jahr trafen wir uns zufällig im Krüger Park wieder. Und 2018 haben wir ihn angemailt, ob er eine Werkstatt in Pretoria zur Generalüberholung unseres Motors kennen würde. Na, und ob! Werner, ein früherer Vorsitzender des Käferclubs, würde so etwas machen. Er hätte bei VW in Deutschland gelernt und 60 Jahre Erfahrung mit luftgekühlten Motoren.
Bingo! Werner hat zwar seinen Betrieb inzwischen verpachtet, aber zu Hause eine ordentliche Werkstatt. Und eine Fahrzeugsammlung, die eines Museums würdig ist. Vom Wehrmachtskübelwagen (dem Vorgänger des Käfers), über alte VW-Busse bis hin zum ältesten Käfer Südafrikas. Werner kennt jedes Bauteil mit Vornamen und ist eine unerschöpfliche Quelle an Informationen. Wir haben gleich gemerkt, dass wir eine Wellenlänge haben.
Und so kommt es, dass Wolfgang Ende Januar mit Peters Pickup und dem Motor auf der Ladefläche zu Werner fährt und die beiden den Motor bis auf die letzte Schraube zerlegen. Na ja, Werner zerlegt und Wolfgang fragt ihn ein Loch in den Bauch. Es kommen keine unangenehmen Überraschungen zu Tage. Ganz im Gegenteil, der Motor ist im Inneren in einem verdammt guten Zustand. Nur minimaler Verschleiß und keine Brüche oder Rissen in den Bauteilen. Für den niedrigen Öldruck finden wir auch eine Erklärung: die Ölpumpe.
Doch wenn schon alles zerlegt ist, dann werden natürlich die Lager erneuert, ebenso die Kolben und Zylinder und eine Menge Dichtungen. Die Ersatzteile aufzutreiben ist überraschenderweise kein Problem, Werner kennt ja die richtigen Adressen. Nebenbei finden wir auch noch eine Seitenscheibe für den Bus, die in Namibia partout nicht zu beschaffen war.
Nach einer Woche ist der Rumpf des Motors fertig. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man sich auf die Arbeit anderer verlassen kann. Er sieht nach der Reinigung aus wie neu, denn das viele Öl aus den Undichtigkeiten hatte ihn wunderbar konserviert, wenngleich das Abkratzen des Öl-Dreck-Gemisches eine elende Sauerei war.
Jetzt muss Wolfgang nur noch das ganze Gemüse um den eigentlichen Motorblock herum aufarbeiten, also die Kühlung, die Heizung, die Stromversorgung, die Verkleidungsbleche, die Benzinversorgung und etliches mehr. Viel Arbeit und viel Dreck, unter anderem beim Sandstrahlen, aber zu einem neuen Motor gehört auch ein ordentliches Drumherum.
Wenn alles normal läuft, wird der Motor im März wieder zum Leben erweckt und dann hoffentlich dicht sein und nicht mehr sein Revier markieren.
Da niemals alles normal verläuft, schon gar nicht in Afrika und ganz besonders nicht in diesem Jahr, wird es natürlich nichts mit dem März. Das liegt einerseits daran, dass Wolfgang beim Aufarbeiten der rund 30 Verkleidungsbleche und Blechlein feststellt, dass es nicht sehr schön aussieht, wenn einige neu lackiert strahlen und die daneben missmutig in ihrer alten Farbe herumhängen. Also alle neu machen. Farbe runter, Risse beseitigen, Grundierung drauf, lackieren. Und dann entdeckt er, dass Peter zwei wunderbare Einrichtungen hat: Pressluft und eine Sandstrahlpistole. Versuche mit dem roten Kalaharisand von der Pferdekoppel sind äußerst überzeugend. Es ist unglaublich, wie schnell der Sandstrahl die alte Farbe und den Rost wegschrappelt. Und das Schönste: nach all’ den vielen Stunden Strahlerei braucht man nicht viel wegzuräumen, denn der Sand landet ja wieder da, wo er herkam. In der Kalahari. Was allerdings ziemlich lange dauert, ist Wolfgangs eigene Reinigung. Trotz Maske und Brille ist er am Ende das Tagen kaum von der Kalahari zu unterscheiden. Doch was sie Dusche nicht schafft, schafft der Swimmingpool.
Natürlich werden nicht nur die Bleche blank gemacht, sondern auch alles andere, was neue Farbe bekommen kann. Wenn man schon mal dabei ist ...
Außerdem zieht sich alles in die Länge, weil zwischendurch ein Dutzend Motorrasenmäher, Kettensägen, Traktoren, Anhänger und anderes Zeug mit Motoren oder Rädern um Hilfe bittet.
Und schließlich geht es zu unser aller Überraschung Anettes Tante wieder deutlich besser. Was vor einem Vierteljahr noch undenkbar erschien, wird wahr: sie feiert ihren neunzigsten Geburtstag mit vielen Gästen in ihrem neuen Zuhause. Deshalb fliegen wir für eine Woche nach Windhoek und von da aus macht sich Anette auf den Weg nach Norden. Für Wolfgang geht es zurück an den Motor.
Weil alles bis jetzt so gut lief, fliegt gleich noch das Getriebe heraus. Es ist an mehreren Stellen undicht. Zudem reißen beim Ausbau gleich noch Kupplungs- und Gasseil ab. Die hätten die nächsten hundert Kilometer nicht überlebt. Doch beide wehren sich mit allen Fasern ihres Drahtseiles dagegen, ausgebaut zu werden. Aber nach zwei Tagen sind sie schließlich gegen willige Nachfolger ausgewechselt.
Nachdem die gesamte Garnierung des Motors wieder komplett ist und das Ding wirklich gut aussieht, geht es raus aus der gemütlichen Werkstatt zurück an den Arbeitsplatz von Motor und Getriebe. Am 6.4. kommt dann der entscheidende Dreh des Zündschlüssels, in der Hoffnung, dass er dann schnurrt wie ein Kätzchen.
Naja, Schnurren kann man nicht gerade sagen. Der Motor läuft wie ein Sack Nüsse, und das nicht ohne Grund. Die Zündung ist völlig daneben, weil ein Teil falsch eingebaut ist. Leider müssen einige andere Teile ebenfalls wieder heraus, doch nachdem alles richtig sitzt, hört er sich viel williger an. Noch kein Kätzchen, eher ein Raubtier im Stimmbruch, aber immerhin läuft er. Nach einer längeren Testfahrt zeigen sich zwar ein paar kleinere Undichtigkeiten, aber die wesentlichen Dinge sind ok. Der Generator macht wieder richtig Strom, der Öldruck ist prima, die Kupplung schüttelt sich nicht mehr.
Dummerweise reißt dann am Vergaser eine Schraube ab, so dass der zurück nach Deutschland muss und weitere Testfahrten keinen Sinn mehr machen.
Fazit: noch ein paar kleinere Nacharbeiten, dann ist das Kapitel Motor- und Getriebe-Überholung abgehakt. Es hat deutlich mehr Arbeit gemacht als ursprünglich geplant, vor allem weil während der Arbeit die Ansprüche immer mehr gestiegen sind. Eigentlich sollten ja nur ein paar Problemstellen beseitigt werden, jetzt ist fast ein neuer Motor daraus geworden. So gut war der Wagen seit der Auslieferung von 41 Jahren nicht in Schuss.
Doch jetzt ist erst einmal Schluss. Der Wagen steht in Pretoria im Container, in zwei großen Koffern geht Einiges zur Überarbeitung zurück nach Deutschland
Samstag, 20. bis Sonntag, 21.4.19 (Im Flugzeug): Weil er auf dem Rückflug im Herbst eine Seitenscheibe aus Deutschland mitnehmen muss, borgt sich Wolfgang von Peter einen großen Koffer. Einen sehr großen, der leider auch sehr dick ist, fast wie ein Überseekoffer aus vergangenen Zeiten. Volumen satt. Die mitzunehmenden Dinge füllen den Koffer nicht mal zur Hälfte. Der Rest wird vollgestopft mit allem, was leicht und groß ist: mit etlichen leeren Kartons, einem halben Dutzend leeren 2-Liter-Plastik-Milchflaschen, vielen Eierkartons. Beim Durchleuchten des Koffers wird man sicher rätseln, was denn hier wohl geschmuggelt wird. Leere Milchflaschen?
Beim Packen fällt Wolfgang noch ein makabres Souvenir von der Hinreise in die Hände. Es ist ein Spuckbeutel, vulgo Kotztüte, von Eurowings (eine ungebrauchte!). Ein wahres Meisterstück der Werbefuzzis, die ja auf alles einen Slogan drucken müssen. Denn jemand, der gerade seinen Mageninhalt in die Tüte umfüllt, ist sicher besonders empfänglich für Werbebotschaften. Wenn man die zusammengefaltete Tüte von Eurowings in die Hand nimmt, springt einem als erstes der Slogan “Brechen Sie” ins Auge. “Danke, genau das habe ich vor” möchte man antworten, wenn man den Mund nicht voll hätte. Nach dem Entfalten der Tüte entfaltet sich auch der ganze Spruch. Brechen Sie mit uns zu neuen Ufern auf. Neue Ufer mit dem Flugzeug? Notwasserung inkusive?
Und nach der Aktion, wenn man die Tüte brav verschlossen hat und sie der Stewardess, äh, der Flugbegleiter*in in die Hand gedrückt hat, prangt auf der Rückseite der Tüte ein noch rätselhafterer Spruch. “Thank you for sharing.” Wieso bedanken die sich, dass ich meinen Mageninhalt mit Ihnen teile? Ok, der größte Teil des Inhalts hat ihnen vorher gehört, als er noch in einem besseren Zustand war. Aber ich will ja gar nicht teilen, den können sie komplett zurücknehmen. Und was machen die damit? Egal, wie man den Gedanken weiterspinnt, es kommt nichts Gutes dabei heraus.
Warum bloß huschen kurz die Worte “Soylent Green” durchs Gehirn (aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Film von 1973? Der spielt 2022 - also in unvorstellbar ferner Zukunft - und die Menschheit hat die perfekte Kreislaufwirtschaft erfunden. Was vorn in die Leichenhalle hineinkommt, kommt hinten als Lebensmittel Soylent Green wieder heraus.
Recycling ist zweifellos auf dem Vormarsch.
Elizabeth und Peter bringen Wolfgang zum Flughafen, doch vorher kehren wir fast schon traditionell in einem Restaurant namens Eisbein ein. Dieser Name würde in Deutschland nicht gerade für eine zeitgemäße Küche stehen, doch hier ist er ein Synonym für gute mitteleuropäische Küche. Außer feistem Eisbein kann der Hamburger Koch auch viele andere leckere Sachen, aber keine Hamburger.
Mit dieser soliden Grundlage startet Wolfgangs Flug nach Nairobi/Kenia um zwei Uhr nachts. Im Johannesburger Flughafen wurde nicht ausgerufen “Der Besitzer des Koffers mit den leeren Milchflaschen bitte bei der Sicherheitskontrolle melden!” Also alles ok.
Genau beim Landeanflug auf Nairobi soll die Sonne hinterm Killimandjaro aufgehen, doch wir sind außerplanmäßig eine halbe Stunde zu früh dran. Der Killi ist zwar da, aber noch keine Sonne.
Alles Weitere läuft planmäßig. Von Nairobi nach Paris mit Hinweis des Piloten, dass man links die ausgebrannte Notre Dame sehen könne. Wolfgang sitzt rechts.
Und von Paris direkt nach München. Alles in allem waren das 18 Stunden Flug.
Als Urlaub darf man die letzten sieben Monate sicher nicht bezeichnen, von vielleicht einem Monat mal abgesehen. Eine alte Dame aus ihrer Wohnung in ein Heim umgesiedelt, unseren Motor zerlegt und wieder zusammengebaut, Etliches auf der Farm gemacht und repariert. Also ganz normales Leben, nur auf der anderen Seite der Welt.
Im Übrigen war Wolfgang noch nie in seinem inzwischen doch schon länger andauernden Leben so lange von seinem “normalen” Wohnort weg. Bisher waren es maximal sechs Monate im Stück. Nun ja, es war in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Zeit.
|