Tagebuch 2

Oloitokitok/Kilimanjaro, den 9.12.14

Liebe Freunde,

es waren spannende Wochen!

Wir haben viel erlebt, meistens Ungeplantes und Überraschendes. Es waren auch ein paar kniffelige Situationen dabei und uns ging es im wörtlichen Sinne ziemlich dreckig. Doch am Ende ist alles positiv ausgegangen und wird uns in angenehmer Erinnerung bleiben.

Nachdem der Bus am Anfang ja ein wenig gezickt hatte, hat er jetzt brav mitgemacht und eine 1000 km-(Tor-)Tour ins kenianische Hinterland bis fast an die äthiopische Grenze gut weggesteckt.

Wir auch.

Schöne Grüße

Anette & Wolfgang

Tagebuch  11.11. bis 26.11.2014

Dienstag, 11.11.14 (Jungle Junction, Karen, Kenya):  Nach dem (zu) langen Ritt gestern bis spät in die Nacht lassen wir es heute ein wenig langsamer angehen.

Unsere Schadensbilanz nach 700 km sieht ziemlich jämmerlich aus. Die neuen Frontscheinwerfer streiken, die Reifendrucküberwachung hat sich dem Streik angeschlossen, zwei Reifen sind hinüber, der Blinker arbeitet nur noch zeitweise (nein, nicht: geht, geht nicht, geht, geht nicht!), Uhr und Wetterstation wollen auch nicht mehr. Zu guter Letzt gibt auch noch das Messgerät auf, mit dem man auf Fehlersuche gehen könnte.

Es reicht!

Mittwoch, 12.11.14 (Wildebeest Camp, Karen):  Da das Jungle Junction Camp eher eine Werkstatt mit angeschlossenem Camp ist, beschließen wir, ein anderes, ganz in der db_14-0546a-Nähe liegendes, auszuprobieren. Zumindest auf den Bildern schaut es sehr viel netter aus.

Und auch in Wirklichkeit. Also ziehen wir um.

Hier waren bis heute Vormittag 150 holländische Studenten zu Gast und es stand ein Zelt neben dem anderen, doch jetzt haben wir den Platz für uns ganz alleine.

Die gesamte Anlage ist sehr schön in eine wellige Parklandschaft eingefügt, mit 1a-Sanitäranlagen, einer Restaurantterrasse und einer Million Frösche - geschätzt. Anders lässt sich die Lautstärke des allabendlichen Konzerts nicht erklären.

Wir besorgen uns erst einmal einen neuen Reifen (einer hat überlebt, der andere war reif für den Schrott) und lassen uns abends vom Regen in den Schlaf nieseln, akustisch begleitet von der Million ...

Donnerstag, 13.11.14 (Wildebeest Camp, Karen):  Im Preis für das Camp ist Frühstück eingeschlossen. So etwas hatten wir noch nie, aber es fühlt sich gar nicht schlecht an.

Im Gegensatz zum Wetter. Es sind morgens nicht über 17° und mittags Mitte 20°. Für Mombasagewohnte ziemlich frostig. Zudem regnet es immer wieder mal.

Am Nachmittag lernen wir ein sehr nettes Nürnberger Pärchen kennen, das gerade von seiner Rundreise durch die Nationalparks kommt und hier noch zwei Tage vor dem Rückflug verbringt. Wir verquatschen den Rest des Tages.

Und den Abend.

Freitag, 14.11.14 (Wildebeest Camp, Karen):  Der eigentliche Grund, warum wir nach Nairobi gekommen sind, ist ja nicht das lausige Wetter, sondern die Notwendigkeit, unser “Foreign Permit” zu erneuern. Dieses Permit ist eine nette Idee des kenianischen Finanzministers und kostet für jedes ausländische Auto 20 US$ im Monat. Der Preis an sich ist nicht das Problem, aber der Aufwand, das Geld loszuwerden.

Deshalb sind wir schon kurz nach 7 Uhr morgens auf der Straße, um möglichst vor dem großen Verkehrskollaps am Finanzministerium zu sein. Das klappt auch recht gut und nach einer Stunde haben wir die 15 km geschafft.

Leider gilt das nicht für die Finanzbeamten. Denn als Wolfgang vor deren Büro steht, erklärt man ihm, dass die Beamten erst um 10 Uhr anfangen. Da heute Freitag ist, will der Arbeitgeber auf diese Weise wohl verhindern, dass die Beamten abgeschuftet ins Wochenende gehen müssen.

Um die eineinhalb Stunden sinnvoll zu nutzen, grast Wolfgang die umliegenden Straßen nach Geschäften für elektrische Messgeräte ab. Jedes Mal, wenn er sein Sprüchlein aufgesagt hat, erklärt ihm der Verkäufer, dass er leider nichts Passendes hätte, aber zwei Straßen weiter an der Ecke sei genau der richtige Laden.

Ist er natürlich nicht, aber der Verkäufer in diesem Laden weiß einen Laden, der ...

Da mehrmals derselbe Straßenname gefallen ist, sucht Wolfgang nach dieser Straße. Und siehe da, ein Messgerät neben dem anderen. Alle aus China und zu erstaunlich niedrigen Preisen. Deshalb wechselt für 10 Euro ein kleines Luxusgerät den Besitzer.

Zwei Straßen weiter finden sich noch zwei in Mombasa vergebens gesuchte Ersatzteile.

Vom Finanzamt abgesehen fängt der Tag gut an.

Nach Passkontrolle, Leibesvisitation und Taschenkontrolle steht Wolfgang pünktlich vor dem Beamten. Der ist nicht nur gut gelaunt (bald kann er ja entspannt ins Wochenende gehen), sondern macht sich auch gleich an die Arbeit.

Nach fünf Minuten ist er fertig. Noch einmal genauso lange dauert die Erläuterung der weiteren Prozedur. Erst zum Schalter 12 (bestätigen lassen), dann raus aus dem Finanzamt (Kopien machen lassen), zur Nationalbank (Geld einzahlen), wieder raus aus dem Amt wegen Kopien, zu Schalter 6, Foreign Permit abholen, fertig. Vor einem halben Jahr war der Ablauf noch ganz anders und hat knapp sechs Stunden gedauert.

Nach Durchwarten der Schlange vor Schalter 12 heißt es, das machen wir nicht, sondern Schalter 4. Vor Schalter 4 ist keine Schlange. Aber auch kein Beamter. Ein anderer Beamte bestätigt, dass der Schalter-4-Mann grundsätzlich da sein sollte, er ihn aber auch schon länger nicht mehr gesehen hätte.

Manchmal gehen hinter den Beamten Bürotüren auf und man kann in die anschließenden Räume schauen. Das sind Lesesäle. Zeitungslesesäle. Hier holen sich die Beamten die wichtigen Informationen für Ihren Job (“Manchester United hat schon wieder verloren!”).

Nach einer halben Stunde kommt der Schalter-4-Mann, ausgeruht und freundlich (und vermutlich gut informiert). Er erklärt Wolfgang, dass er zunächst in einer Imbissbude außerhalb des Amtes Fotokopien machen lassen müsse. Also raus und wieder rein. Passkontrolle, Leibesvisitation und Taschenkontrolle.

Schalter 4 ist verwaist. Aber nur für eine halbe Stunde, dann bekommt Wolfgang sein Formular. Jetzt zur Nationalbankwarteschlange, Geld los werden, draußen Fotokopie von der Geldloswerdung machen lassen, dann zum Schalter 1.

Dort wartet eine freundliche, entspannte und kompetente Beamtin - die Wolfgang schon vom letzten Mal kennt - macht den richtigen Stempel in das richtige Formular und schon ist die Sache erledigt. In nur zweieinhalb Stunden, halb so lange wie beim letzten Mal.

Es geht aufwärts mit Kenya!

Trotzdem, von einigen wenigen Exemplaren der Gattung Homo beamtus abgesehen, war das agilste Lebewesen im Finanzamt ein kleiner Junge, der mit strahlenden Augen immer wieder die Rolltreppe rauf und runter gefahren ist. Und nicht zu vergessen, die zahlreichen Wachmänner, die mit großer Geduld und unmissverständlich Drängler nach hinten schicken und so das Chaos in Grenzen halten.

Danke vielmals.db_14-0542-

Samstag, 15.11.14 (Wildebeest Camp, Karen):  Dank des neuen Messgerätes ist der Fehler in der Reifendrucküberwachung schnell gefunden. Sie kriegt nicht genug Strom. Doch da die Stromversorgung für die defekte Uhr ja ohnehin überflüssig ist, wird die einfach umgebaut und schon sind die Reifen wieder unter Kontrolle.

Auch die Blinker blinken wieder und die Frontscheinwerfer werfen wieder und überhaupt ist jetzt alles wieder bereit zur Abreise.

Sonntag, 16.11.14 (Timau River Lodge, Timau):  Abmarsch! Wir sind zwar früh draußen, aber ehe wir Nairobi an der anderen Seite verlassen dauert es doch bis Mittag.

Ein vier- bis sechsspuriger Highway führt durch die Vororte und man wäre ruckzuck durchgesaust, wenn die Planer nicht vergessen hätten, dass Fußgänger nicht mehr ohne weiteres über diese Straße kommen. Zwar gibt es große Fußgängerbrücken, aber eben nicht überall. Die afrikanische Lösung: ein paar kräftige Betonschwellen quer über die Fahrbahn legen, so dass die Autos fast stehen bleiben müssen, und schon haben die Fußgänger eine Chance und wir den schönsten Verkehrsstau.

Gegen 16 Uhr verlassen wir die Südhalbkugel und sind wieder zurück auf der heimatlichen Hälfte. Auf der Naht hätten sie wenigstens eine kleine Betonschwelle spendieren können, damit man es überhaupt merkt. Dank Navi entdecken wir das kleine rostige Hinweisschild neben der Straße.

Die Nacht verbringen wir in der schön gelegenen Timau River Lodge. Da uns die 1800 Höhenmeter von Nairobi einfach zu kalt waren, hatten wir die Hoffnung, dass wir hier am Hang des Mt. Kenya schon ein ganzes Stück ins wärmere Tiefland herunter kommen würden.

Wir hätten wohl besser auf die Karte schauen sollen. Anstatt von 1800 m runter auf das Niveau von München zu fahren landen wir auf dem Zugspitzplatt. 2300 m hoch. Das klingt nach kalt, ist es in Wirklichkeit aber nicht...

Montag, 17.11.14 (Timau River Lodge, Timau):  ... so dass wir einen faulen Tag einlegen. Tagsüber ist es angenehm warm und abends angenehm kühl.

Dienstag, 18.11.14 (Bwatherongi Campsite, Meru Nationalpark):  Der indisch-kenianische Chef der Lodge hatte uns schon beim letzten Besuch empfohlen, den Meru Nationalpark zu besuchen und dort auch zu übernachten. Genau das werden wir heute tun.

Der Meru war früher einer der besten Nationalparks in Ostafrika, ist dann aber von Wilderern fast komplett leer geschossen worden. Erst seit ein paar Jahren versucht der Staat, den Nationalpark wieder zu einem Reiseziel zu machen. Bisher mit mäßigem Erfolg, weil gerade jetzt die Zahl der ausländischen Besucher drastisch zurückgegangen ist - in ganz Kenya.

Die Straße bis zum Eingang ist zwar asphaltiert - zumindest war sie es bis vor ein paar Jahren -, doch wenn wir den Wagen tatsächlich mal laufen lassen könnten, dann hält die Straße sicher eine nette Kollektion von Schlaglöchern für uns bereit. Oder Betonschwellen an den Ortseingängen. Zudem geht es ständig bergauf und bergab, so dass wir für die 140 km mehr als drei Stunden brauchen.

Wir bezahlen unsere 150 $ Eintritt - von den Preisen her ist der Park schon auf Top-Niveau. Mal sehen, ob das auch für die Natur gilt.

Das Besondere und Problematische am Meru Nationalpark ist sein Untergrund. Große Flächen sind von “Black Cotton Soil” bedeckt. Klingt harmlos. Ist furchtbar. Wenn das Zeug trocken ist, ist’s hart wie Beton, Reifen hinterlassen sogar Bremsspuren. Doch wehe, es kommt Wasser dazu. Solange es wenig Wasser ist, wirkt es wie Kleister. Es legt sich Schicht um Schicht auf die Schuhsohlen und nach wenigen Metern läuft man auf dicken Plateausohlen. Es bleibt an den Schaufeln kleben und wickelt sich um die Reifen.

Kommt viel Wasser dazu, verliert es nach kurzer Zeit jegliche Konsistenz. Wirklich jegliche. Der Boden wird bodenlos.

Das Zeug hält noch eine weitere Gemeinheit vor. Während Schlamm, so wie wir ihn kennen, durch Abspülen mit Wasser ziemlich leicht verschwindet, lässt sich Black Cotton Soil davon nicht beeindrucken. Man muss die Hände regelrecht sauber schaben, um das Zeug los zu werden, nur die letzte dünne Schicht kann man mit viel Wasser und Reiben auflösen.

In anderen Bereichen des Parks findet man die mildere Verwandte. Sie ist rot und nicht schwarz, klebt auch, aber nicht ganz so intensiv und löst sich leichter in Wasser auf.

Diese beiden Böden waren der Grund, warum wir im März nicht in den Nationalpark gefahren sind. Jetzt, zum Ende der kleinen Regenzeit, sollte es deutlich besser sein. Hoffen wir!

Im Nationalpark gibt es ein spezielles Schutzgebiet, in dem etwa 100 Nashörner leben, sorgfältig bewacht von vielen bewaffneten Rangern. In Asien werden nach wie vor Unsummen für ein Horn bezahlt. Das Gebiet ist durch einen großen Elektrozaun gesichert. An einem Kontrollposten dürfen wir hineinfahren.

Die Wege sind von der letzten Regenzeit sichtbar gezeichnet. Tiefe Spurrillen zeugen von etlichen stecken gebliebenen Fahrzeugen. Die Wilderer versuchen ja zu jeder Jahreszeit, an die Hörner zu kommen, also müssen die Ranger auch bei Schlamm unterwegs sein

Wir treffen auf mehrere Wildhütercamps, sehen jedoch keine Nashörner. Der Wald ist ziemlich dicht und erlaubt nur ab und zu einen freien Blick.

Doch dann sieht Anettes scharfes Auge ein Horn im Gebüsch. Mit einem verdammt großen Tier dran. Friedlich grasend und wohl wissend, dass es rund um die Uhr perfekt bewacht wird.

Der Chef der Lodge hatte uns empfohlen, nicht außerhalb des Parks zu übernachten, sondern auf der öffentlichen Campsite im Park. Das kostet zwar 40 $ und damit das Doppelte bis Dreifache eines normalen Camps, aber es sei das Geld allemal wert.

Als wir am Nachmittag auf dem Camp eintreffen, stellen wir als erstes fest, dass wir die ersten Besucher seit einem Monat sind. Auf dem zweiten Blick sehen wir, dass das Camp wirklich schön angelegt ist und ordentliche Sanitäranlagen hat. Und auf dem dritten Blick finden wir sogar einen Swimmingpool. Nicht sehr sauber, aber ok. Fünf Minuten später hat ein Wächter alles so weit in Ordnung gebracht, damit wir den Pool nutzen können.

Perfekt!

Noch perfekter wird es, als um unser Camp herum die Paviane ihr Abendessen nehmen (und es gerne aus unserem Auto geklaut hätten), als der Wächter einen ordentlichen Stapel Brennholz vorbei bringt und wir ein paar Kartoffeln im Feuer haben. Da wir nicht mit so einem perfekten Camp gerechnet haben, haben wir auch kein Fleisch für den Grill gekauft. Leider, denn heute wäre das das Tüpfelchen auf dem i gewesen.

Mittwoch, 19.11.14 (irgendwo im Meru Nationalpark):  Wir wollen heute in den südlichen Teil des Parks, der vorwiegend sandige Steppe und weniger Black Cotton Soil ist.

Das Wetter hat etwas dagegen. Kaum sind wir fertig mit dem Frühstück, fängt es an zu regnen. Nicht dramatisch, aber doch so viel, dass der Boden glitschig wird. Nach einigen Minuten ist es vorbei.

Wir warten ein Weile, bis die Sonne den Boden wieder angetrocknet hat und hoffen dann, die 20 m, die wir von der harten Piste entfernt stehen, mit Schwung nehmen können.

Wir waren wohl ein wenig zu optimistisch. Schon bei leichtem Gasgeben drehen die Räder durch, denn es geht etwas bergauf und wir müssen rückwärts hoch. Aus Ästen versuchen wir, einen tragfähigen Untergrund zu bauen. Wir schaffen auf diese Weise zwar einige Meter, graben uns aber immer tiefer ein. Die dann folgende Übung haben wir schon ein paar Mal exerziert. Zuerst den Dreck vor den Rädern weg buddeln, dann schiebt Anette von hinten und Wolfgang gibt Gas.

Doch es geht nur wenig voran und die Rampe, die wir graben müssen, wird immer länger, weil wir immer tiefer einsacken. Es ist zwar kein Black Cotton Soil, sondern “nur” die rote Variante, doch Kleister ist Kleister.

Es bleibt nach einer Stunde Arbeit nur die Erkenntnis, dass jetzt das große Besteck ran muss. Die Seilwinde.

Ein geeigneter Baum wächst vor uns und das Seil ist lang genug.

Der nächste Regen kommt, diesmal kräftiger. Wolfgang zieht die Badehose an und macht weiter an der Seilwinde. Immer, wenn das Seil stramm genug gespannt ist, setzt sich Anette hinters Steuer und kommt mit Gas geben und Seilunterstützung ein paar Meter weiter. Solange, bis sie schließlich wieder auf der festen Piste steht.

Jetzt nur noch alles reinigen und zusammen packen und schon kann es losgehen, nicht mehr in den südlichen Teil des Parks, sondern nach einem kurzen Abstecher zum Hippo-Pool am nahe gelegenen Fluss auf kürzestem Wege zum Ausgang. Es ist bereits Mittag und unser Ticket gilt nur bis 13:30 Uhr.db_14-0565-

Der vorangegangene Regen hat den ohnehin ziemlich braunen Fluss noch brauner werden lassen, so dass wir Hippos in Milchkaffee erleben.

Wegen des Regens dürfen wir jetzt die Hauptpiste nicht mehr verlassen, denn sie ist die einzige allwettertaugliche Verbindung zum Ausgang.

Das Malheur passiert an einer unübersichtlichen Abzweigung. Wir biegen auf eine Piste ein, die wie die Hauptpiste ausschaut. Jedenfalls auf den ersten paar hundert Metern. Als Wolfgang merkt, dass es weich wird und wir sicher nicht mehr auf der Hauptpiste sind, ist es zu spät. Wir können weder anhalten noch umdrehen, weil wir dann sofort im Schlamm fest sitzen würden. Als Alternative bleibt nur: Vollgas und durch. Die nächste Querpiste, auf der wir zurück zum Hauptweg können, ist rund 5 km entfernt.

Der Bus schlägt sich wacker. Wir ziehen zum Teil eine zwanzig Zentimeter tiefe Spur in den Schlamm, aber der Wagen bewegt sich vorwärts. Dann rutschen wir in einer langen Kurve db_14-0572a-auf die weiche Innenseite des Weges und hängen fest.

Richtig fest!

Und das Unangenehme: hier wird so schnell niemand vorbei kommen und uns helfen, denn die meisten, die hier herumfahren, wissen, welches die Hauptpiste ist.

Aber wir haben ja erst heute Vormittag geübt. Buddeln, schieben, Gas geben. Der Schlamm ist an sich gar nicht so schlimm, denn er trägt ganz gut, wenngleich er wie Mehlkleister klebt. Leider ist er tiefschwarz.

Wolfgang räumt die Räder frei, legt ein paar Äste darunter und versucht es mit Gas geben. Ein bisschen geht es vorwärts, dann drehen die Räder durch. Das Profil der Reifen ist völlig zugesetzt und glatt wie bei Formel-1-Fahrzeugen.

Nach mehreren Anläufen entscheiden wir, dass es jetzt Zeit für das ganz große Besteck ist, nämlich Seilwinde und 60 m Seil. Ein Baum steht an passender Stelle. Natürlich ist es nicht ganz ohne, sich 50 m vom Auto zu entfernen. Zwar gibt es hier keine Nashörner, ansonsten aber alles, was man jetzt nicht gebrauchen kann. Ein paar hundert Meter entfernt veranstaltet ein Trupp Elefanten ein ziemliches Theater, aber die haben wohl Ärger untereinander, jedenfalls bekommen wir sie nicht zu Gesicht, sondern hören sie nur trompeten.

Ein ganz anderes Problem sind Wolfgangs Schuhe. Sie haben nach wenigen Schritten nicht nur 5 cm dicke Sohlen, sondern bleiben auch ständig im Schlamm stecken. Nachdem es einen zerrissen hat, geht Wolfgang barfuß. Das ist an sich wenig empfehlenswert, weil der Boden mit Dornen übersät ist, doch hier polstert die dicke Schlammschicht, die selbstverständlich auch unter den Fußsohlen klebt.

Die Seilwinde dehnt das Nylonseil um fast 10 m, doch selbst diese Kraft reicht noch nicht, um den Wagen auch nur einen Millimeter zu bewegen. Wir hängen einfach zu tief drin. Also gräbt Wolfgang mit Beil und Händen eine lange Rampe aus dem Loch und kann sogar das Hinterrad mit dem Wagenheber anlupfen und mit Steinen unterfüttern.

Gerade als wir wieder einen Versuch starten wollen, fängt es an zu regnen. Zu regnen? Nein, zu schütten! Innerhalb db_14-0574a-weniger db_14-0577-Minuten db_14-0585-stehen wir mitten in einem See. Das Wasser läuft in den Spurrillen wie in zwei Bächen und füllt unsere ganze schöne Rampe mit frischem butterweichem Schlamm auf. Wir stecken jetzt auf einer Seite bis über die Achsen drin.

Finito.

Außerdem stellen wir zu unserer Überraschung fest, dass die Beifahrertür nicht dicht ist. Durch die Schräglage des Busses und das schiere Überangebot kommt Wasser an Stellen, wo es sonst nicht hinkommen kann. Als hätte jemand einen Gartenschlauch ins Auto gelegt. Anette drückt ein Handtuch dagegen, Wolfgang wringt ein anderes aus, dann schneller Wechsel. In wenigen Minuten sind ein paar Liter in der Schüssel.

Da müssen wir beim Einstellen der Türen wohl noch nacharbeiten.

Als der Regen nachgelassen hat, versuchen wir es nochmals mit der Seilwinde, dieses Mal mit einem näher gelegenen Baum. So können wir das Seil doppelt nehmen und es ist nicht ganz so elastisch. Doch auch das ist erfolglos.

Anette versucht, per Handy (das funktioniert hier draußen im Busch erstaunlich gut) das Hauptquartier der Parkranger zu erreichen. Da rührt sich allerdings nichts. Wahrscheinlich haben wir die falsche Nummer. Doch Anette erreicht Hedi und Ulli in Mombasa, die rufen einen der Taxifahrer an, der uns ein paar Mal gefahren hat, der wiederum die Nationalparkzentrale in Nairobi, die das regionale Hauptquartier im Meru Nationalpark und die schließlich uns.

Ken, der Chef hier im Nationalpark, bittet uns, im Auto zu bleiben und zu warten. Er würde noch heute Abend einen Traktor organisieren, um uns heraus zu ziehen. Als wir ihm erzählen, dass wir unser Bett dabei hätten und auch problemlos hier übernachten könnten, wird er ganz nervös, weil er annimmt, dass wir auf Feldbetten draußen schlafen wollen (das macht man in afrikanischen Nationalparks nur ein einziges Mal). Als er erfährt, dass wir im Auto schlafen, genug zu essen und zu trinken dabei haben und auch sonst keine Not herrscht, entspannt er sich wieder, will aber trotzdem noch heute Abend einen Wagen schicken.

Wir richten uns für die Nacht ein. Das Schlafen wird etwas ungewohnt, denn der Wagen steht doch ziemlich schief, aber ein Problem ist es auch nicht.

Um unser wertvolles Trinkwasser nicht zu verschwenden, wird es nur eine Katzenwäsche. Wolfgang versucht, den gröbsten Dreck mit Regenwasser abzubekommen. Mit schaben und spülen klappt das auch ganz gut, lediglich die Füße bleiben schwarz. Also müssen für die Nacht Socken als Ersatz fürs Füße waschen her.

Um uns herum tobt das Leben. Eine Million Frösche (schon wieder!) sind glücklich über das viele Wasser und geben ihr Bestes, das auch aller Welt mitzuteilen. Vereinzelt hören wir auch Hyänen, während die Elefanten offensichtlich lautlos weiter gezogen sind.

Donnerstag, 20.11.14 (Rangelands Lodge, Isiolo):  Wir sind früh draußen. Es hätte ja sein können, dass morgens der Traktor kommt. Tut er aber nicht. Mehrere Leute aus dem Nationalpark rufen uns an und fragen, ob alles ok ist. Wir sollen noch ein wenig ausharren, ein Fahrzeug sei nur ein paar Kilometer südlich von uns und würde versuchen, zu uns durchzukommen. Wir beschreiben dem Fahrer noch einmal ganz genau, wo wir stehen und wie wir gefahren sind. Dank Navi wissen wir das ja metergenau.

Hier im Park sind nicht die Wege nummeriert, sondern die Kreuzungen. Leider hat man vor einiger Zeit das Nummernsystem geändert und zwischen unserem Navi, unserer Karte und der Wirklichkeit gibt es etliche Widersprüche. Da immer wieder mal neue Wege dazukommen und andere weggespült werden, stimmen auch die Wegenetze nicht überein.

Wie auch immer, wir beschreiben sicher zehn verschiedenen Leuten, wie man fahren muss, um uns zu finden.

Inzwischen steht die Sonne schon ziemlich hoch und man kann zuschauen, wie sie das Wasser aus dem Schlamm zieht. Regenwolken sind auch keine zu sehen, so dass sich die Lage allmählich entspannt. Wenn wir auf uns selber angewiesen wären, würden wir jetzt sicher wieder anfangen, das Auto frei zu buddeln und die Seilwinde zu installieren. Doch wir haben ja die Hoffnung, dass Hilfe naht.

Um kurz vor 11 Uhr ist sie da. Erstaunlicherweise von der falschen Seite kommend. Richard und Peter, so heißen die beiden Parkranger, haben uns seit ein paar Stunden auf den nahegelegenen kleinen Pisten, die auf keiner Karte eingezeichnet sind, gesucht. Die Wege wären teilweise extrem schlammig gewesen und sie hätten ziemliche Schwierigkeiten gehabt, durchzukommen. Auch der Wagen, der es gestern Abend noch versucht hat, hat vor dem weichen Untergrund kapituliert.

Wir spannen den Toyota Landcruiser vor unser Auto, doch er findet im Schlamm nicht genug Widerstand und läuft Gefahr, selber festzustecken. Dann versuchen wir es rückwärts. Dank des langen Seils kann der Landcruiser auf festerem Boden stehen.

Von den Rädern des Toyotas steigt blauer Qualm auf, auch unsere drehen durch, aber der Bus rührt sich nicht. Plötzlich gibt es einen lauten Schlag. Das Seil ist am Toyota durchgerissen und im Bruchteil einer Sekunde auf unserer Motorklappe eingeschlagen. Es sieht aus wie ein Haufen aufgewickelter Matsch, später werden wir jedoch feststellen, dass es unter dem Matsch eine ziemlich große Beule ins Blech geschlagen hat. Wer kann schon von sich behaupten, dass ein lockeres Seil die Karosserie verbeult hat.

Rückwärts geht es also auch nicht. Deshalb starten wir einen weiteren Versuch vorwärts, diesmal mit Stahlseilen. Die sind zwar stabiler als die Nylonseile, aber da sie nicht elastisch sind, geben sie jeden Stoß unvermittelt an die Karosserie weiter. Auf diese Weise kann man Achsen herausreißen.

Die Ranger haben fünf Meter dabei, wir noch einmal drei, das reicht. Peter fährt sehr sanft an, die Reifen qualmen und plötzlich hebt sich unser Bus aus dem Schlammloch heraus. Endlich wieder gerade stehen!

Ein paar Meter weiter lösen wir die Seile und versuchen es mit eigener Kraft. Die Sonne hat seit heute Morgen schwer geschuftet und den Pudding wieder fester werden lassen. Wir sacken zwar immer noch gute zehn Zentimeter ein, doch die Reifen haben wieder Griff.

Die Ranger erzählen uns, dass es keinen Sinn hat, auf dieser Piste weiter zu fahren, denn die nächsten drei Kilometer seien extrem weich. Wir finden auf einer Anhöhe eine steinige Fläche, auf der wir den Wagen wenden können. Dann geht es mit Vollgas schlingernd und mit durchdrehenden Rädern zurück, vorbei an unserem Übernachtungsloch, das, da wir bergab ordentlich Schwung haben, überhaupt kein Problem ist. Drei Minuten später ist die Sache ausgestanden und wir stehen wieder auf der festen Hauptpiste. db_14-0591a-Vor 24 Stunden waren wir an der gleichen Stelle, aber ein ganz klein wenig sauberer.

Richard und Peter möchten gerne sehen, wie wir im Auto wohnen und schlafen, erklären uns noch, wie wir weiterfahren müssen und wünschen uns Gute Reise und Willkommen in Kenya.

Es schien ihnen eine Ehre zu sein, uns helfen zu können, doch von Ehre kann man nicht leben. Deshalb wechselt natürlich ein ordentliches Trinkgeld den Besitzer.

Eine halbe Stunde später stehen wir am Haupteingang. Pünktlich 24 Stunden zu spät. Die Damen kennen unsere Geschichte bestens und angesichts des Busses und Wolfgangs wissen sie auch, dass wir keine Vergnügungsreise gemacht haben. Nach einer kurzen Diskussion kann Anette die Damen überzeugen, dass wir für den zweiten Tag nicht noch einmal 150 $ bezahlen müssen. Natürlich gibt’s auch hier ein Trinkgeld, da sie ja die ganze Aktion gesteuert haben, auch wenn die Kommunikation über viele Ecken ging und uns oftmals nicht klar war, wer uns da gerade angerufen hat. Aber: am Ende war unser Problem gelöst und wir um die Erkenntnis reicher, dass man auch in der hintersten Ecke Kenyas nicht mehr verloren gehen kann.

Doch es gibt in Kenya noch “hinterere” Ecken als den Meru Nationalpark und in eine dieser Ecken wollen wir jetzt aufbrechen . Nein, nicht sofort, denn erst einmal müssen wir die Spuren unserer Verirrung tilgen. Der Schlamm füllt die Radkästen aus und der darf auf keinen Fall hart werden. Deshalb werden wir jetzt auf schnellstem Wege zurück nach Isiolo fahren und dort nach einer Unterbodenwäsche fürs Fahrzeug suchen.

Die Polizeiposten auf dem Wege dahin ahnen schon von weitem, was uns passiert ist und freuen sich, dass wir wohlbehalten da wieder herausgekommen sind (“Our friends from Germany”).

Der Unterbodenwäscher arbeitet sich eine Stunde mit dem Kärcher ab, dann ist unser Bus um 20 kg leichter. Außer der Beule an der Motorklappe scheinen keine weiteren Schäden entstanden zu sein.

Im Camp angekommen muss Anette die Anmeldung machen, denn Wolfgang traut sich in seinem Outfit nicht mehr unter die Leute.

Den Rest des Tages verbringen wir damit, alles, was irgendwie mit dem Schlamm in Berührung gekommen ist zu baden und zu bürsten. Der Batz lässt sich nur mit Gewalt und Ausdauer herauskriegen. Und viel Wasser.

Nach einigen Stunden sehen sogar wir wieder aus wie richtige Menschen. Auch bei uns haben sich nach der Reinigung keine größeren Schäden mehr gezeigt. Wolfgangs Fingernägel sind im Schlamm geblieben und an den Füßen gibt’s ein paar Einstiche von Dornen. Das war’s.

Zum Dinner lassen wir im Restaurant ordentlich auffahren und kullern nach dem Essen auf unseren Bäuchen zum Bus zurück.

Sauber und satt, wie gut tut dat!

Freitag, 21.11.14 (Rangelands Lodge, Isiolo):  Heute geht das Großreinemachen weiter. Alles, was Wolfgang angefasst hat, ist versifft.

Nachmittags fahren wir runter in die Stadt. Wir brauchen ein paar Lebensmittel, Benzin und finden sogar einen Geldautomaten. Die Reparatur des platten Reifens gestaltet sich schwierig. An einer Tankstelle haben sie zwar die richtigen Maschinen, aber niemanden, der damit umgehen kann, und in einer Werkstatt steht nagelneues Gerät, das noch nicht angeschlossen ist. Am Ende landen wir bei einer kleinen Werkstatt am Straßenrand, wo alles noch von Hand - und mit viel Muskelkraft - erledigt wird.

Samstag, 22.11.14 (Rangelands Lodge, Isiolo):  Da die Bremse im Nationalpark einen Tag lang unter Wasser stand, müssen wir nachschauen, ob Schlamm eingedrungen ist und Schäden verursacht hat.

Nach dem Öffnen die große Überraschung: die Bremse sieht tiptop aus. Der Schlamm hat keinerlei Spuren hinterlassen oder er ist während der Fahrt schon herausgeflogen. Wir stellen allerdings fest, dass die Beläge abgenutzt sind. Kein Problem, wir haben alles dabei, um neue aufzunieten.

Mehr oder weniger zufällig entdecken wir dann doch noch einen ernsten Schaden. keine unserer Hupen gibt einen Ton von sich. Die elektrische ist offensichtlich voll Wasser gelaufen und die Pressluftfanfare säuselt nur. Ohne laute Hupe hat man hierzulande keine Vorfahrt. Wir werden also die nächste Zeit betont defensiv fahren müssen.

Abends müssen wir für eine Stunde das Licht ausschalten, weil die Ameisen fliegen. Das tun sie immer nach dem Regen, weil dann der Boden weich genug ist, um nach dem Hochzeitsflug darin zu verschwinden. Das Wort “Ameise” suggeriert allerdings die falsche Größenordnung. Die Körper sind bleistiftdick und drei bis vier Zentimeter lang, also eher kleine fliegende Torpedos. Schon nach wenigen Minuten liegen unter jeder Lampe hunderte von abgestoßenen Flügeln und das Wettrennen um die Weibchen beginnt.

Sonntag, 23.11.14 (Camp Henry, Marsabit):  Bis vor wenigen Jahren lag Isiolo noch am Rande der zivilisierten Welt. Hier endete der Asphalt und die Wüste begann. Unter englischer Kolonialverwaltung durften Weiße dieses Gebiet nicht betreten. Auch heute noch gilt es als Outback oder Wilder Westen bzw. Norden. Für die Menschen, die hier leben, heißt der Rest Kenyas “Downcountry”, die da unten, obwohl dieser Rest ja das eigentliche Hochland ist.

Die Region ist nicht ungefährlich. Im Osten schließt sich Somalia an und Terroristen der Al Shabaab-Miliz sickern immer wieder für Attentate nach Kenya ein. Erst vor wenigen Tagen hat eine Gruppe von Terroristen 27 Menschen aus einem Bus herausgeholt und erschossen, weil sie den Koran nicht lesen konnten. In ein paar Tagen werden sie noch einmal zuschlagen

Im Westen versperrt der Turkanasee die Weiterfahrt und im Norden läuft die äthiopische Grenze mit dem einzigen größeren Übergang zwischen beiden Ländern. Die Wege in der Region, die halb so groß wie Deutschland ist, sind schlecht und man rechnet eher in Tagesreisen als in Kilometern. Bis vor wenigen Jahren musste man die Hauptrouten noch im Konvoi befahren.

Das alles scheint aber Vergangenheit zu sein. Man wird zwar immer noch an den Polizeiposten registriert, doch dann geht es auf feinem Asphalt db_14-0629-zügig db_14-0625-nach Norden. Zumindest für die ersten 120 km. Es folgt noch einmal die gleiche Entfernung auf einer ziemlich kaputt gefahrenen Piste.

Für die erste Hälfte haben wir gut zwei Stunden gebraucht, für den Rest knapp das Dreifache.

Doch Besserung ist in Sicht. Die EU baut eine neue Straße. Wegen der vielen Brücken über die Trockenflüsse wird das jedoch noch ein paar Jahre dauern. Der dann noch fehlende Teil bis zur äthiopischen Grenze ist ebenfalls schon zur Hälfte geteert. Man wird also in ein paar Jahren gar nicht mehr verstehen, warum diese Region als das Ende der Welt galt und warum es mehrerer Tagesreisen bedurfte, um hindurch zu kommen. 

Doch es ist nach wie vor ein gefährliches Land. Weniger für uns, denn wir haben keine Hörner. Die Kriege zwischen den verschiedenen Stämmen gehen hier um Rinder, Wasser und Weidegründe. Immer wieder mit vielen Toten. Nach allem, was wir in Erfahrung bringen konnten, ist es aber zur Zeit relativ friedlich. Das kann sich jedoch jederzeit ändern, denn hier sind alle mehr oder weniger gut bewaffnet, so dass ein kleiner Disput reicht, um einen neuen Krieg zu entfachen.

Schon von Weitem sehen wir die grünen Berge von Marsabit. Der Ort ist die Hauptstadt der Region und liegt auf rund 1300 m Höhe, fast 1000 m über dem Tiefland. Die Wolken regnen sich auf ihrem Weg ins Landesinnere hier ab und haben eine ganz eigene Welt inmitten der umgebenden Steppe geschaffen. Grüne Weiden und Äcker, undurchdringlicher Regenwald und sogar ein Nationalpark. Am Vormittag ist es wegen der tief hängenden Wolken fast immer kühl und neblig, doch nachmittags angenehm warm.

In der Abenddämmerung treffen wir in Marsabit ein und fahren auf der staubigen Piste ins Zentrum. Es ist kein Ort, wo man unbedingt sein möchte, vor allem nicht bei Regen, denn dann werden die Wege unpassierbar.

Wir finden keinen Platz, wo wir übernachten möchten. Als Alternativen bleiben, uns vor den Haupteingang des Nationalparks zu stellen und morgen früh hineinzufahren oder dem Schild zum “Camp Henry” zu folgen, was möglicherweise aber nur ein Camp vom Straßenbau ist. Wir entscheiden uns für Letzteres und erleben eine Überraschung. Eine kleine grüne Oase am Ortsrand mit besten Sanitäranlagen und schönem Blick über die Ebene. Henry, der Chef, ist Schweizer und lebt seit 36 Jahren hier.

Außer uns sind noch einige Missionare aus Deutschland dort, die meisten aus dem Raum Augsburg. Sie arbeiten auf einer katholischen Missionsstation in North Horr, eine Tagesreise von hier entfernt, und sind hier wegen der Feierlichkeiten zum 50jährigen Bestehen der Diözese Marsabit.db_14-0600-

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit kommt ein seltsames Gefährt auf das Camp. Ein steinalter Mini mit einem dänischen Kennzeichen. Der Fahrer, Daniel, ist ein junger Mann, der einfach mal beweisen will, dass man auch heute noch mit einem Kleinwagen quer durch Afrika von Kairo nach Kapstadt fahren kann. Es gibt dafür wahrscheinlich kein ungeeigneteres Fahrzeug als dieses. Aber es scheint zu funktionieren!

Er kommt gerade aus Äthiopien und hat jetzt noch 120 schlechte Kilometer vor sich, dann hat ihn der Asphalt wieder. Der Rest bis nach Kapstadt ist ein Kinderspiel.

Die Missionare und wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie hat er mit diesen kleinen Go-Kart-Rädern die Sandstrecken im Sudan geschafft, wie den Matsch in Äthiopien? Uns fehlt einfach die Fantasie, uns das vorzustellen. Daniel erzählt das alles, als sei es die normalste Sache der Welt, ohne Aufschneiderei, ohne Übertreibungen. Er ist einfach in Dänemark losgefahren und hat es gemacht.

Wir sind schwer beeindruckt und sitzen abends noch lange zusammen.

Montag, 24.11.14 (Camp Henry, Marsabit):  Wir schlagen Daniel beim Frühstück vor, doch einen Tag Pause einzulegen, bevor er die letzte schwierige Etappe vorm Asphalt in Angriff nimmt. Dabei fällt ihm auf, dass er, seit er in Afrika angekommen ist, jeden Tag gefahren ist.

Ob das der Sinn des Reisens ist?

Wir beschließen, heute Abend gemeinsam ein Feuerchen zu machen. Deshalb fahren Daniel und Anette mit dem Mini in die “Stadt”, um ein wenig Fleisch zu holen. Für Anette ist es ein ganz neues Fahrgefühl, den Po dort zu haben, wo sie sonst die Füße hat.

Das kleine niedliche Autochen scheint Kinder magisch anzuziehen, jedenfalls halten sie es ständig umzingelt. Die meisten sind nur neugierig, manche betteln und einige versuchen sogar, die Türen zu öffnen. Auf Dauer ist das etwas nervend.

Da ist der Bus praktischer. Wir sind auf Augenhöhe mit den Polizisten bei Kontrollen und Kinder lassen sich deutlich leichter unter Kontrolle halten.

Dienstag, 25.11.14 (Camp Henry, Marsabit):  Daniel bricht heute Richtung Nairobi auf. Eine Tagesreise von hier entfernt will ihn der Mini-Club Kenya abholen und in die Hauptstadt geleiten.

Am Nachmittag kommt ein Landrover der Caritas aufs Gelände gefahren. Mit dem Beifahrer steigt eine Ziege aus. “Donnerwetter,” haben wir gedacht, “die Caritas hilft wirklich jedem!”

Eine Stunde später war die Ziege Ziegenfleisch für eine Besprechung von Caritas-Mitarbeitern.

Wir fahren zum Hauptquartier des Marsabit Nationalparks. Dort erklärt man uns, dass die Pisten im Park wahrscheinlich auch mit Zweiradantrieb machbar sind, sofern es trocken ist. Das ist meistens am späten Vormittag der Fall, wenn der Morgennebel vorbei ist.

Das werden wir morgen versuchen.

Ein paar Kilometer nördlich der Stadt liegt ein großer Vulkankrater. Auf der Fahrt dorthin wundern wir uns über zwei Dinge. Zum einen ist von db_14-0607-dem db_14-0608-Krater weit und breit nichts zu sehen und zum zweiten rollen wir plötzlich auf einer breiten und perfekten Asphaltstraße. Im Ort Marsabit gibt es keinen Meter Straßenbelag, aber viele Fahrzeuge, hier viel Straßenbelag, aber keine Fahrzeuge.

Schließlich finden wir den Krater doch noch. Er hat mehrere Kilometer Durchmesser und ist kein Berg, der aus der Ebene aufragt, sondern ein großes Loch mit einem See am Grund.

Mittwoch, 26.11.14 (Camp Henry, Marsabit):  Wir bezahlen 50 $ Eintritt in den Nationalpark und versuchen unser Glück. Hier sollen ein paar hundert Elefanten leben und noch etliches anderes Getier. Ob wir es aber zu Gesicht bekommen, ist ziemlich fraglich, weil der Wald extrem dicht ist.

Bis zum ersten Kratersee kommen wir hoch, dann ist Feierabend. Die Piste ist weich und steinig und wir müssen ziemlich langsam fahren. Als es auch noch steil bergauf geht, bleiben wir am Hang stecken. Wir lassen uns ein Stück zurück rollen. Der zweite Versuch scheitert ebenfalls.

Zurück beim Eingang erzählt uns der Ranger, dass wir die steile Passage umgehen könnten, wenn wir außerhalb des Nationalparks auf der Hauptpiste zu einem anderen Eingang fahren würden. Für die 20 km Umweg müssen wir eine Stunde rechnen. Ob es sich lohnt? Wir wissen es nicht.

Am anderen Eingang sind die Pisten ebenfalls weich, aber weder steinig noch steil. Wir sehen viele Tiere. Rdb_14-0622-inder, Ziegen und Schafe. Die Grenze zwischen Schutzgebiet und Weideland scheint unverbindlich zu sein. Nach einer Stunde Fahrt entschließen wir uns zum Rückzug. Trotz intensiver Suche mit dem Feldstecher entdecken wir nur zwei Schwarzmilane, sonst nichts.

Dafür gönnen wir uns ein Picknick mit schöner Aussicht, Cappuccino db_14-0620-und Schweineöhrchen. Und Bonbons für zwei Hirtenjungen.

Am Himmel bauen sich hohe Wolkenberge auf. Noch ein Grund, zügig wieder ins Camp zu fahren.

Als Höhepunkt des Parkbesuchs läuft uns noch ein nationalparkeigener Pavian über den Weg. Wir hatten ja nicht erwartet, dass uns das halbe “Brehms Tierleben” ums Auto rennt, aber ein wenig üppiger hätt’ es schon sein können. Trotzdem: der Marsabit Nationalpark wird uns im Gedächtnis bleiben. 30 kg wilde Tiere für 50 $. In anderen Parks bekommt man dafür einige hundert Tonnen. Oder darf man das so nicht sehen?