Mittwoch, 5.2.14 (Upper Hill Camp, Nairobi, Kenya): Morgen ist es so weit. Dann landen Maria und Franzi hier in Nairobi. Mit den beiden wollen wir gut zwei Wochen lang durch Kenya und Tanzania fahren. Deshalb ist heute Umräumen angesagt. Platz schaffen für vier Personen in einem Zweipersonenhaushalt. Zwangsläufig werden wir einige Sachen im Upper Hill Camp deponieren.
Vor 14 Jahren mit ihren Eltern hatten wir gewaltige Gewichtsprobleme. Nicht, weil die Eltern zu schwer gewesen wären oder zu viel Gepäck gehabt hätten, sondern weil unsere Reifen das Gesamtgewicht einfach nicht ausgehalten haben. Auch nicht mit zwei Personen. Damals hat sich im Durchschnitt alle zwei Tage ein Reifen verabschiedet - oder besser, die Luft aus ihm. Wir hatten vier Reserveräder mit - und mehrmals fünf Plattfüße. Unterwegs selber flicken, besonders in Nationalparks, ist ein wahres Vergnügen ...
Doch seit ein paar Jahren haben wir eine andere Reifengröße drauf, die die beiden eher leichtgewichtigen Damen locker aushalten wird.
Am Nachmittag kümmern wir uns noch um Anettes Augen. Nachdem der Besuch in der Lusaka Eye Clinik in Zambia keinen ”sicht”baren Erfolg gebracht hat, werden wir heute in eines der namhaftesten Krankenhäuser Ostafrikas fahren, in die Aga Khan Universitätsklinik. Sie liegt in einem edleren Wohnviertel, leider am anderen Ende der Stadt, quer durch den Dauerstau Nairobis.
Die Klinik macht einen guten und organisierten Eindruck. Den Namen der Ärzte nach zu urteilen, ist sie fest in indisch stämmiger Hand.
Anette wird untersucht, doch die Ärztin kann nichts wirklich Neues feststellen. Entweder eine Entzündung oder eine Allergie. Sie verschreibt, was bei einem Augenarztbesuch wohl amtlich vorgeschrieben ist - Augentropfen. Und ein Gel für die Nacht. Sie soll in zwei bis vier Wochen noch einmal vorbeikommen, dann kann sie vielleicht eine genauere Diagnose stellen.
Donnerstag, 6.2.14 (Upper Hill Camp, Nairobi, Kenya): Um 14 Uhr sind wir am Jomo Kenyatta Flughafen, finden aber nur einen ziemlich unorthodoxen Parkplatz in einer Verbotszone, so dass Wolfgang am Auto bleiben muss, während Anette nach den Bleichgesichtern Ausschau hält. Nach einer halben Stunde bekommt er per SMS die Nachricht “Wir kommen!”
Großes Hallo, große Vorfreude auf allen Seiten. Jetzt kann das Abenteuer Afrika für die beiden beginnen.
Ihre Eltern hatten es damals etwas einfacher, denn Namibia und Botswana machen es dem Neuling relativ leicht, die Länder auf eigene Faust zu erobern. Hervorragende touristische Einrichtungen, exzellente Infrastruktur und nicht zuletzt die endlose Weite. Das ist in Ostafrika ganz anders. Der Tourismus konzentriert sich auf wenige Brennpunkte, nämlich die Nationalparks. Abseits dieser Brennpunkte sind z.B. Übernachtungsmöglichkeiten dünn gesät. Die große Bevölkerungsdichte macht es auch nicht leichter, sich einfach mal in den Busch zu stellen. Wer hier herumreist, reist organisiert und geführt, mit Fahrer und Führer. Leihwagen zum Selberfahren sind praktisch nicht zu bekommen. Auch die Straßen sind zuweilen in einem erbärmlichen Zustand.
Ein bisschen Hardcore-Afrika (ok, es gibt noch deutlich härtere Eckchen in Afrika), doch die beiden werden das schon machen. Sind ja nicht unerfahren im Ausland.
Als alles im Auto verstaut ist, geht’s gleich ein wenig hardcoremäßig los. Wolfgang erwischt aus Versehen den falschen Highway, nämlich die sechsspurige autobahnähnliche Straße nach Mombasa. Man könnte bis zur nächsten Ausfahrt warten und dann in die Gegenrichtung wechseln. Wolfgang macht’s afrikanisch und wendet kurzerhand über den breiten Grünstreifen in der Mitte auf die andere Seite. Hier etwas Alltägliches, für unsere beiden noch ziemlich gewöhnungsbedürftig.
Im Camp angekommen fängt das große Aus- und Umpacken an. Wir sind guter Dinge, dass am Ende alles, was wichtig ist, ins Auto passt.
Der Zeltaufbau ist eine Premiere. Wir haben schon richtige Dramen erlebt, wenn sich Urlauber zum ersten Mal am neuen oder gemieteten Zelt abgearbeitet haben. Oder Kommödien. Doch bei Franzi und Maria läuft das wie geschmiert. Nach dem ersten Auspacken stellen sie fest “Das ist ja wie das Aldi-Zelt!” und kaum drei Minuten später steht es.
Wir geben ihnen noch zwei zusätzliche Decken, denn Nairobi liegt 1800 m hoch, da kann es morgens recht frisch werden.
Und dann kommt die erste Nacht in Afrika ...
Freitag, 7.2.14 (Upper Hill Camp, Nairobi, Kenya): ... die gut überstanden wird. Das Frühstück fällt eher üppig und gemütlich aus, denn wir wollen heute nur noch die letzten Reste packen und einen Großeinkauf für die nächsten Tage machen.
Morgen soll es dann losgehen.
Auf die entscheidende Frage “Links rum oder rechts rum?” finden wir auch eine Antwort. Wir werden von Nairobi aus zunächst nach Westen Richtung Victoriasee fahren, dort umdrehen, quer durch Tanzania zur Küste bei Mombasa fahren und dann den Kreis nach Nairobi schließen. Also links herum. Das hat den Vorteil, dass wir die großen Nationalparks am Anfang haben und am Ende noch ein wenig am Indischen Ozean faulenzen können.
Die Runde dürfte an die 2500 km lang werden. Die Straße ist, von kurzen Abschnitten einmal abgesehen, asphaltiert. Da sollte die tägliche Fahrzeit erträglich bleiben. Hinterher werden wir überrascht feststellen, dass die kurzen nicht asphaltierten Abschnitte gar nicht so kurz waren, denn mehr als ein Drittel der Strecke wird Kies, Sand oder Matsch sein.
Samstag, 8.2.14 (Upper Hill Camp, Nairobi, Kenya): Gegen 11 Uhr brechen wir schließlich auf. Wir müssen zunächst viele Kilometer durch die Slums von Nairobi fahren. Angeblich leben hier mehrere Millionen Menschen, doch das wirkliche Elend sieht man von der Straße aus nicht. Die wird gesäumt von Geschäften, Werkstätten und Märkten und nur manchmal kann man ahnen, wie es dahinter weitergeht.
Außerhalb der Stadt tauchen die ersten afrikanischen Klischees auf. Zebras am Straßenrand, einige Antilopen, weite Aussichten ins Rift Valley, den großen afrikanischen Grabenbruch.
Bevor wir in den Graben herunterfahren, klettern wir auf über 2700 m hoch. Zugspitzniveau! Von oben hätte man eine schöne Sicht, wenn ... Rauch, Staub und Wolken nicht etwas dagegen hätten.
Als wir am Nachmittag am Haupteingang des Nakuru Nationalparks eintreffen, gibt’s den ersten näheren Kontakt zu afrikanischen Tieren. Eine Herde Büffel (noch hinter einem Zaun!) und ein Rudel Paviane, das an uns vorbei spaziert.
Doch die größte Überraschung ist, dass der See kurz vor dem Ende der Trockenzeit Hochwasser führt. Ein Teil der Gebäude musste bereits evakuiert werden. Auch die Hälfte des Parkplatzes und viele Wege im Park stehen unter Wasser.
Der Eingang ist nicht mehr nutzbar und wir müssen (morgen) auf einer neu geschobenen Piste einen weiten Umweg fahren, um in den Park zu gelangen
Die Parkranger erklären uns, dass niemand weiß, woher das ganze Wasser kommt. Regen ist es jedenfalls nicht. Die Überschwemmung hat bereits dazu geführt, dass die Flamingos weggezogen sind, weil die Natronlauge des Sees zu sehr verdünnt wurde und sie nichts mehr zu fressen finden. Das Phänomen betrifft nicht nur den Nakuru-See, sondern auch einige andere große Seen im Grabenbruch.
Die gute Nachricht: es gibt oberhalb des Wassers einen neuen Weg um den See, so dass wir morgen wie geplant eine Runde durch den Park drehen können.
Einer der Ranger gibt uns noch einen Tipp für die Übernachtung. Das Kivu-Retreat liegt nur wenige Kilometer entfernt. Eine Lodge, die am Wochenende intensiv von Ausflüglern besucht wird, doch auf dem Campingplatz sind wir die einzigen.
Gegen ein kleines Entgelt kriegen wir eine Fuhre Holz geliefert und werden heute hoffentlich einen typischen afrikanischen Abend haben. Feuer, ein paar Getränke, etwas auf dem Grill und eine laue Nacht.
Letzteres war noch nicht perfekt, aber der Rest war ok.
Sonntag, 9.2.14 (Kivu Retreat, Nakuru, Kenya): Ohne Frühstück geht’s los. Das werden wir im Nationalpark genießen, denn oben auf den Baboon Cliffs, einer Felswand überm See, gibt es ein schönes Picknickplätzchen. Mit Tieren und Aussicht.
Die erste Büffelherde, durch die wir fahren müssen, ist etwas Besonderes. Wie alles Erste! Bei uns war vor 21 Jahren ein Strauß am Horizont das erste afrikanische Tier. Auf dem Foto ist nicht viel mehr als ein Strich mit einem Punkt in der Mitte zu erkennen, aber er war der Erste.
Die Büffelfotos geben da deutlich mehr her. Und ganz ungefährlich sind die Tierchen ja auch nicht.
Auf den Baboon Cliffs angekommen sehen wir, wie sehr sich die Wasserfläche ausgedehnt hat. Normalerweise findet man in der Nähe des Ufers die meisten Tiere und genau dort führt(e) die Hauptpiste durch den Park. Jetzt schauen nur noch ein paar Hinweisschilder aus dem Wasser.
Die Baboon Cliffs sind der klassische Frühstücksplatz. Eine wunderbare Aussicht und durch die steile Felswand recht gut vor Raubtieren geschützt. Außerdem gibt’s Tische und Bänke, sogar Schattendächer.
Wir genießen das beste - und afrikanischste - Frühstück seit Nairobi. Und ganz besonders afrikanisch wird es, als einer der Kleinbusfahrer unachtsam ist. Kaum sind seine Fahrgäste ausgestiegen, um die Aussicht zu bestaunen, hüpft ein Pavian durch das noch offene Dach, sucht sich in aller Ruhe die schwerste Tüte mit Lebensmitteln aus und haut wieder durchs Dach ab. Als der Fahrer den Überfall entdeckt, wirft er mit einem Stein - und trifft seine eigene Windschutzscheibe, an der jedoch nur ein bisschen Glas absplittert.
Für den Pavian ist es das große Los, heute ist ja auch Sonntag. Äpfel, Kekse, Sandwiches, mit denen er schnurstracks in der Felswand verschwindet. Dort kann er, unerreichbar von Steinwürfen verärgerter Fahrer, den Tag mit lauter leckeren Sachen beginnen.
Wir hatten ein ähnliches Erlebnis mit Marias und Franzis Eltern. Damals durften wir Toasts und eine vermutlich wunderbar schmeckende Bisquit-Rolle abschreiben.
Dieses Mal landet unser Frühstück, ganz egoistisch, in unseren eigenen Bäuchen. Der Affe vom Dienst war ja auch anderweitig beschäftigt.
Auf der Weiterfahrt kommen wir an einigen Stellen auf Stichwegen bis ans Wasser heran und die Tiere sind genau da, wo sie immer waren. Jetzt halt mit nassen Füßen. So haben wir die seltene Gelegenheit, Pelikane und Büffel, Flamingos und Nilpferde Seit’ an Seit’ zu sehen.
In der Anfahrt zu einem anderen Aussichtshügel mussten wir mal wieder feststellen, dass 50 PS nicht wirklich übermotorisiert sind. Schon gar nicht steil bergauf. Zwar schafft es der Motor, ein Hinterrad zum Durchdrehen zu bringen, als wir am Hang mit drei Rädern festsitzen, aber vorwärts kommen wir so nicht.
Doch was sind schon 50 PS gegen Frauenpower! Schon im ersten Anlauf sind wir oben.
Später folgen wir einer schmalen Spur an einem Flüsschen, an deren Ende wir einen schönen Blick in eine Ebene haben. So muss Afrika ausschauen!
Ein Einheimischer erzählt uns, dass sie an dieser Stelle neulich sogar Leoparden gehabt hätten. Die sehen wir zwar nicht, doch immerhin trottet eine Hyäne dekorativ an uns vorbei.
Wenig Gefahr von Leoparden oder Löwen droht dagegen am Seeufer.
Freier Blick nach allen Seiten. Leider ist nicht so furchtbar viel zu sehen.
Montag, 10.2.14 (Kivu Retreat, Nakuru, Kenya): Heute wollen wir runter zum Masai Mara Nationalpark, eine der Perlen Kenyas. Er liegt 200 km südlich von uns, das sollte bequem zu schaffen sein.
Das Wetter hat bis jetzt nicht überzeugt, es war eher durchwachsen und wolkig. Für den Weg nach Süden hoffen wir auf Besserung.
Es lässt sich auch ganz gut an, doch pünktlich an der Stelle, an der wir den Asphalt verlassen müssen, wird’s feucht von oben. Die Piste wickelt sich durch die Berge und ist ziemlich kaputt gefahren. Wenn da auch noch Wasser drauf kommt, macht es keinen Spaß mehr. Ein paar Mal schlagen die Hinterräder eine ganz eigenwillige Bahn ein und lassen sich nur mit Glück wieder in die richtige Spur ziehen.
Dabei haben wir noch Glück, denn die schwierigen Hänge dürfen wir bergab rutschen. Ein entgegenkommender Bus ist nur mit den vereinten Kräften der Passagiere aufwärts zu bewegen, doch dieser Krug geht an unserer Damenmannschaft vorbei.
Wir brauchen mehrere Stunden länger als geplant und kommen erst bei Sonnenuntergang am Nationalpark an. Da es im Park keine Campsites gibt, wollen wir uns außerhalb des Nationalparks querfeldein in eine knapp 10 km entfernte Lodge durchschlagen. Querfeldein ist fast wörtlich zu nehmen. Wir folgen irgendeiner sandigen Spur und sehen auf dem Navi, ob sie in die richtige Richtung führt.
Eigentlich kann man auf diese Weise nicht mehr in der Wildnis verloren gehen.
Wir schaffen es trotzdem! Es ist inzwischen stockdunkel. Zwar sehen wir die Lichter der Lodge, finden aber keinen Weg dorthin. Immer wieder ist ein Dorf im Wege oder wir landen im undurchdringlichen Gebüsch. Trotz mehrfachen Nachfragens bei ziemlich überraschten Dorfbewohnern irren wir ein wenig planlos herum und kommen nicht näher heran. Schließlich gibt uns ein junger Mann den Hinweis, dass wir nicht direkt in Richtung der Lichter fahren dürfen, sondern erst in eine andere Richtung, bis wir auf eine breite Sandpiste treffen. Und genau die führt am Fluss entlang zur Lodge.
Tatsächlich stehen wir kurz darauf vor einem Tor, hinter dem sich offensichtlich die Lodge befindet. Doch es ist keine Menschenseele anzutreffen.
Nach einem längeren Hupkonzert kommt ein Wärter und erklärt uns, dass die Lodge quasi geschlossen sei und im Übrigen auch keinen Campingplatz mehr habe. Doch wir sollten bitte hier warten, er würde jemanden holen, der uns das genauer erklären könne. Und schon ist er weg.
Eine Viertel Stunde lang passiert nichts, dann kommen tatsächlich zwei Taschenlampen angelichtert. Nein, ein Camp wäre hier nicht, auch nicht in der Nähe. Das nächste Camp ist rund 25 km entfernt, doch um da hin zu kommen, müssten wir auf die andere Seite des Talek, den Grenzfluss zum Nationalpark. Es gibt aber keine Brücke, sondern nur eine Furt, die allerdings unpassierbar ist, weil dort ein Lkw feststeckt. Die nächste befahrbare Brücke ist ebenfalls 25 km entfernt, ganz in der Nähe des Camps, doch um zu ihr zu kommen, müssen wir durch den Nationalpark fahren. Es gibt hier aber keinen offiziellen Eingang in den Park - der zudem um diese Uhrzeit schon lange geschlossen hätte.
Und nun? Im Busch übernachten? Zurück zum Haupteingang fahren und dort vors Tor stellen? Die Lage ist nicht gemütlich.
Einer der Wärter bietet uns an, uns durch den lodgeeigenen Zugang zum Nationalpark an die Brücke zu lotsen. Unterwegs müssten wir allerdings mit den Parkrangern verhandeln, ob sie uns durchlassen (private Nachtfahrten sind verboten) und ob wir Eintritt bezahlen müssen.
Verglichen mit den anderen Optionen ist das nicht die übelste Variante, sofern der Wächter wirklich weiß, wo wir entlang fahren müssen.
Weiß er es? Das maximale Risiko ist, das wir uns irgendwo im Busch verirren oder stecken bleiben und an Ort und Stelle übernachten müssten. Das wäre auch kein Beinbruch. Zur Not würde die Damenriege im Auto schlafen und Wolfgang im Zelt.
Also setzt sich der Wächter auf den Beifahrersitz und wir brechen auf.
Die Wege werden offensichtlich nur selten befahren, zuweilen sind nur noch zwei flache Rillen im Sand zu erkennen. Ohne Führer wären wir hier vollkommen aufgeschmissen. Auf dem Navi können wir sehen, dass es trotz der vielen Abzweigungen tatsächlich mehr oder weniger immer in dieselbe Richtung geht.
Dann kommt mitten im Busch ein Schlagbaum. In der Nähe flackert eine Petroleumlampe und es sind Stimmen zu hören. Wolfgang geht mit dem Führer in eine Hütte, in der mehrere Soldaten, vermutlich Wildhüter, sitzen. Der Chef lässt sich von unserem Führer die Sachlage erklären (jedenfalls hört es sich so an), dann heißt er uns in bestem Englisch willkommen und lässt sich noch einmal von Wolfgang die Problematik erklären. Er wiegt den Kopf. “Bei Nacht ist das Fahren im Park verboten. Zu gefährlich!” sagt er, doch er dürfe eine Ausnahme machen, wenn wir einen bewaffneten und ortskundigen Begleiter dabei hätten. Den ortskundigen hätten wir und den bewaffneten könne er uns anbieten. Normalerweise kostet der Begleitschutz 2000 Shilingi, das sind rund 16 Euro. Die Leute müssen ja auch einen Rücktransport finden. Da es nur ein paar Kilometer sind, ist er nach kurzem Verhandeln auch mit der Hälfte zufrieden.
Allmählich wird es in der ersten Sitzreihe unseres Autos eng. Der Wildhüter hat tatsächlich ein Gewehr dabei, versichert uns allerdings, dass es nicht geladen sei. Wie beruhigend!
Es geht weiter durch die stockdunkle Nacht. Jetzt fahren wir keine Wege mehr, sondern folgen nur noch Spuren, die die Wildhüter auf ihren Kontrollfahrten benutzen. Erstaunlicherweise sind sich unsere beiden Begleiter bei Rechts-Links-Entscheidungen immer einig. Die wissen also, wo es lang geht.
Auf dem Navi-Bildschirm sehen wir, dass wir uns immer weiter vom Fluss, über den wir eigentlich drüber wollen, entfernen. Bald darauf wissen wir auch, warum. Wir müssen zwei trockene Nebenarme überqueren. Die Zufahrten sind ziemlich steil und sandig, was besonders bei Nacht Spaß macht. Hoffentlich überschätzen unsere beiden Begleiter nicht die Fähigkeiten unseres (inzwischen überladenen) Busses, sie sind ja nur Geländewagen gewohnt.
Tun sie nicht! Nach einer guten halben Stunde sind wir wieder auf einer richtigen Piste und gleich darauf stehen wir an einem offiziellen Ausgang.
Hier folgt die gleiche Prozedur. Unser erster Führer erklärt die Situation und wir werden willkommen geheißen, zusätzlich macht unser “bewaffneter” Begleitschutz Männchen vor dem Chef der Station. Mit allem Drum und Dran: Fuß aufstampfen, stramme Haltung, Hand an die Schläfe, drei kurze Sätze, noch einmal Fuß aufstampfen und Hand runter. Der hiesige Chef ist wohl eine höhere Charge, jedenfalls läuft er in Zivil herum. Dann folgt ein bisschen Smalltalk und wir dürfen passieren.
Kaum über die Brücke, sehen wir schon ein Schild zum Crocodile Camp. Doch dessen Tore sind verschlossen, es ist ja auch schon 21 Uhr, drei Stunden nach Sonnenuntergang. Als wir anhalten, springen unsere Begleiter heraus und signalisieren uns, einen Augenblick zu warten.
Tatsächlich klappert wenige Minuten später ein Riegel und das Tor wird geöffnet.
“Welcome in Crocodile Camp! Please follow me”. Wir haben es tatsächlich geschafft.
Bevor wir einfahren, drücken wir jedem unserer Begleiter den vereinbarten Tausender und ein paar Hunderter extra in die Hand. Sie bedanken sich überschwänglich und wünschen uns einen schönen Aufenthalt. Und wir sollen bald wieder kommen.
Ein schöner Platz auf einer Wiese ist schnell gefunden, das Zelt steht wenige Minuten später und beim Abendessen lassen wir den Husarenritt noch einmal Revue passieren. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: wir fahren nachts in einem Dorf herum und jeder, den wir mit den Scheinwerfern anleuchten, gibt uns freundlich Auskunft, wie wir weiterfahren müssen. Ein Nachtwächter setzt sich zu uns ins Auto und lotst uns durch einen Wald, in dem wir gar nicht fahren dürfen. Die Wildhüter erlauben uns gegen ihre Vorschriften die Weiterfahrt und verlangen noch nicht einmal Eintrittsgebühren.
Alle - Chefs, Mitarbeiter, Wildhüter, Nachtwächter, Dorfbewohner - alle waren ausnehmend freundlich und hilfsbereit. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie diese Situation mit Schwarzen in Deutschland ausgegangen wäre ...
Dienstag, 11.2.14 (Crocodile Camp, Masai Mara Nationalpark, Kenya): Heute keine Hektik! Der Platz ist schön, der Blick in den Nationalpark auf der anderen Seite des Flusses ebenfalls und wir haben uns ein gemütliches Frühstück verdient.
Die Tickets für den Nationalpark sind 24 Stunden gültig. Da wir morgen am späten Nachmittag über die Grenze nach Tanzania wollen, sollten wir mittags die Masai Mara verlassen - und folglich heute Mittag hineinfahren.
Die ersten wilden Tiere, die hier im Nationalpark auffallen, sind gar nicht so wild. Rinder! Die Masai der umliegenden Dörfer treiben ungeniert jede Nacht Zehntausende von Rindern in den Nationalpark, weil die außerhalb gelegenen Weidegründe gnadenlos abgefressen sind. Das ist zwar bei Strafe verboten, aber das kümmert niemanden. Wenn man seitens der Nationalparkverwaltung ein Auge zudrücken würde, weil die Rinder für das Überleben der Masai-Familien wichtig sind, könnte man das ja noch verstehen. Doch die Rinder sind reine Statussymbole. Je mehr, je lieber. Wenn die Weiden nichts mehr hergeben, lassen die Masai die Rinder eher verdursten oder verhungern, als sie zu verkaufen. Und nebenbei zerstören sie nicht nur den Nationalpark, sondern auch ihre eigene wirtschaftliche Lebensgrundlage. Denn ohne die Gelder aus dem Nationalparktourismus wäre die Region hier bettelarm. Kaum Ackerland, wenig Wasser, dürre Weiden, keine Bodenschätze.
Die zweite Einnahmequelle sind Hilfsgelder aus aller Welt. Unzählige (und zuweilen reichlich unbedarfte) Hilfsorganisationen pumpen Geld aus Europa und Amerika in die Region, wenn während einer Dürre wieder einmal Rinder verdurstet sind. In den Köpfen im Ausland hält sich beharrlich das Zerrbild, dass die Masai von ihren Rindern leben. Das war im letzten Jahrhundert richtig, doch noch heute wird dieses Bild von interessierter Seite am Leben gehalten. Amerikanische und europäische Spender wollen einfach das Gefühl haben, den armen Masai etwas Gutes getan zu haben. Also werden der Familie 25 neue Rinder gespendet, damit aus den 300 wieder 325 werden (und sie wieder ein paar mehr als die Nachbarfamilie haben).
Zurzeit leisten viele Entwicklungshilfeorganisationen keine Hilfe zur Entwicklung, sondern beschleunigen die Degeneration von Rinderzüchtern zu Bettlern. Der häufigste Gruß an der Straße heißt hier nicht “Hello Msungu”, “Jambo” oder “How are you”, sondern “Give me ...”. Oder es wird einfach wortlos die Hand aufgehalten.
Nun ist dies sicher keine Entwicklung, die man nur bei den Masai beobachten kann, doch hier addieren sich zwei Motive. Bei uns im Kopf hat sich das Bild vom stolzen Masai festgesetzt, der, seinen Speer in der Hand, auf einem Bein stehend, Rinder hütet. Befeuert von diversen Filmen von “Hatari” bis “Weiße Masai”. Da spendet man gern. Zudem kämpfen besonders hier in Kenia alle Sekten und Kirchen dieser Welt mit Hochdruck um die Seelen der armen Schwarzen. Sie haben sicher zehnmal mehr Filialen als es Schulen gibt. Und viel Geld! Offensichtlich ist das das beste Argument, um eine Seele zu bekehren.
Jetzt aber genug gemosert.
Als wir das Crocodile Camp verlassen wollen, stehen uns einige der besagten Statussymbole im Wege. Wahrscheinlich waren sie heute Nacht im Nationalpark und kommen jetzt ins Camp zum Schlafen.
Nachdem wir unsere 320 US-Dollar Tageseintritt bezahlt haben, fahren wir in den Nationalpark. Der an die Siedlungsgebiete direkt angrenzende Teil des Parks ist quasi leer gefressen. Hin und wieder stehen ein paar Elefanten und Antilopen herum, doch meistens hat man einen freien Blick bis zum Horizont.
In alle Himmelsrichtungen gehen Fahrspuren, aber dank Navi kann man hier tatsächlich nicht verloren gehen. In anderen Nationalparks gibt es strenge Verbote fürs Querfeldeinfahren (und saftige Strafen). Dieselben Regeln gibt es hier zwar auch, aber offensichtlich niemanden, der sie ernst nimmt. Ohnehin gilt Masai Mara als einer der am schlechtesten gemanagten Nationalparks.
In der Nähe des Mara-Flusses und weit weg von den Dörfern ist die Welt noch ziemlich in Ordnung und uns läuft all’ das über den Weg, was man hier auch erwarten kann. Jedoch leider keine Tatzen, nur ein paar Beißerchen.
Mittwoch, 12.2.14 (Crocodile Camp, Masai Mara Nationalpark, Kenya): Wir sind schon kurz nach Sonnenaufgang im Park, denn heute am frühen Nachmittag müssen wir ihn am anderen Ende wieder verlassen haben. Dazwischen liegen 100 steinige Kilometer und - hoffentlich - ein paar Tiere.
Unterwegs erfahren wir von anderen Fahrern, dass ein kleiner Trockenfluss in der letzten Regenzeit so tief ausgewaschen worden ist, dass man ihn mit “normalen” Fahrzeugen nicht mehr passieren kann. Das Problem hatten wir vor ein paar Jahren schon mal und mussten fast 50 km Umweg fahren.
Wir versuchen es an mehreren Stellen, aber es geht nicht. Entweder zu steil oder seitlich zu schief oder zu matschig oder zu steinig. Meist mehreres.
Glücklicherweise reisen hier die meisten Touristengruppen mit Fahrzeugen wie unserem herum und deren Fahrer kennen sich hier aus. Wir finden mit fremder Hilfe eine schmale Spur, auf der es klappt. An der schwierigsten Stelle heißt es “alles aussteigen”, mit qualmenden Reifen durch die Senke und schnell wieder einsteigen, ehe die Löwen etwas bemerken.
Der Mara-Fluss teilt den Nationalpark in zwei Teile, die seltsamerweise von unterschiedlichen Behörden gemanagt werden. Schon an der Grenzbrücke zum östlichen Teil merkt man den Unterschied. Ein Hund schnüffelt unser Auto ab auf der Suche nach Sprengstoff (Munition von Wilderern!), die Wege sind klar gekennzeichnet und keiner fährt abseits. Offensichtlich ist dieser Teil auch nicht von Rindern kahl gefressen und deshalb sind die Wildtiere zahlreicher.
Auf dieser Seite des Mara kann man wunderbar oben vom Hochufer aus den Nilpferden bei ihrem geschäftigen Treiben zuschauen. Alle fünf Minuten bewegt sich einer. Ein anderer reißt das Maul gewaltig auf. Und wenn gesagt ist, was gesagt werden musste, fallen alle wieder in die kollektive Lethargie.
Mittags verlassen wir die Masai Mara durch das Oloololo Gate (was für ein Name!), werden noch einmal von einem Hund abgeschnuppert und machen uns auf die 70 staubigen Kilometer zur Grenze nach Tanzania.
Es ist kein schönes Fahren, denn die Piste ist ziemlich kaputt. Mehrfach werden wir von zweirädrigen Kohlenlastern überholt, die, obwohl hemmungslos überladen, die einzige gute Spur um die Schlaglöcher herum finden.
Wir müssen immer mit mindestens einem Rad mitten durch das Elend hindurch.
Plötzlich steht eine Polizistin im Weg und macht uns unmissverständlich klar, dass es hier nicht mehr weiter geht. Den genauen Grund bekommen wir nicht heraus. Ihr Kollege beschreibt uns den Umweg zur Grenze. 30 km länger.
17 Uhr trudeln wir schließlich dort ein. Die Formalitäten gehen erfreulich schnell und schon nach 40 Minuten könnte es weitergehen. Könnte! Denn ein freundlicher Zeitgenosse auf der kenianischen Seite hat uns mit einem Messer zwei Reifenventile angeschnitten, wohl in der Hoffnung, im Durcheinander des Reifenwechsels einen schnellen Griff in unsere Taschen machen zu können. Es standen verdächtig viele jüngere Männer um unser Auto herum, die uns mehrfach auf unsere Reifen hinwiesen. Sie guckten ein wenig enttäuscht, als wir mit dem halbplatten Reifen einfach auf die andere Seite der Grenze gefahren sind und dort in aller Ruhe gewechselt haben. Ohne Zuschauer. Ätsch!
Die Straße ist allerbestens asphaltiert und wir fliegen regelrecht ins 100 km entfernte Musoma. Fliegen ist der richtige Begriff. Denn am Ende der Neubaustrecke geht es vom Asphalt einfach 20 cm senkrecht nach unten in den Dreck. Unsichtbar, denn es ist schon lange dunkel.
Bei der Landung gibt es einen lauten Schlag. Der Wagen hat hinten mit der Karosserie auf dem Asphalt aufgesetzt. Im Taschenlampenlicht vor Ort sieht es nicht weiter schlimm aus, auch wenn das Geräusch anderes vermuten ließ.
Im Nachhinein wäre es klug gewesen, sich die Sache bei Tageslicht noch einmal genauer anzuschauen, denn dann hätte Wolfgang gesehen, dass nicht nur der Motorträger völlig verbogen war, sondern auch zwei der drei Schrauben, die den Motor tragen, abgerissen waren. Er hing hinten also noch an einer einzigen Schraube. Doch die hat auf den nächsten 2000 km klaglos ihren Dienst verrichtet.
Danke, Schraube.
Das Camp liegt am Ufer des Victoriasees. Es ist zwar nur ein sandiger Platz neben einem Hotel, doch wir brauchen jetzt mal einen faulen Tag.
Donnerstag, 13.2.14 (Tembo Beach Hotel, Musoma, Tanzania): Na, so faul wird es dann doch nicht. Einkaufen, Reifen reparieren, Tanken, Wäsche waschen.
Auch wenn das Wetter zum ersten Mal so ist, wie es sich für Afrika gehört, der Sprung in den See verbietet sich. Nicht wegen großer Raubtiere, sondern wegen vieler kleiner hungriger Würmer, die sich durch die Haut knabbern. Bilharziose.
Stattdessen gehen die Damen shoppen, was in Musoma gar nicht so einfach ist. Die Hauptstraße könnte der Prachtboulevard einer Millionenstadt sein - wenn er denn einmal fertig ist. Doch mit gerade mal 100.000 Einwohnern dauert es bis zur ersten Million noch ein paar Jahre. Auch der Versuch, in der größten Reifenwerkstatt einen neuen Schlauch aufzutreiben, scheitert kläglich. Gut, dass wir für solche Fälle immer Ersatz auf dem Dachgepäckträger haben.
Eine ungewöhnliche Sehenswürdigkeit Musomas entdecken Maria und Franzi dann doch noch. Pinke Küken, äh, rosa Chicken. Wir dachten zuerst, sie wären angemalt, doch die Besitzerin versichert uns, dass sie echt seien, aber ihre seltsame Farbe mit der Zeit verlören.
Ein entspannter Drink unter Palmen zum Sonnenuntergang beendet das Kapitel Victoriasee.
Morgen machen wir kehrt und für die nächsten 1000 km geht es stramm nach Osten. Durch die Serengeti, in den Ngorongoro-Krater und schließlich am Kilimanjaro vorbei runter an den Indischen Ozean bei Mombasa.
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