Sonntag, 6.6.10 (Massai Camp, Arusha): Der sonntägliche Verkehr in Nairobi ist erwartet dünn und wir sind schnell aus der Stadt. Dummerweise verlassen wir uns auf das Navi und das weiß nicht, dass die Abzweigung zur tanzanischen Grenze gerade im großen Stil umgebaut wird. Wir irren auf der Baustelle herum und finden sogar die Straße zur Grenze. Leider liegt sie 5 m höher hinter einem Bauzaun.
Ein freundlicher Polizist erklärt uns, dass wir 10 km zurück fahren müssen, von dort führt eine Straße auf die andere Seite des Bauzaunes. 20 km für 20 m. Hatten wir so etwas nicht kürzlich schon mal im Nakuru-Nationalpark?
Die Grenze ist fast leer. Ein halbes Dutzend Schlepper bietet uns ihre Dienste an und sie lassen sich natürlich nicht damit abwimmeln, dass wir ihnen erklären, zu wissen, was wo zu tun ist, weil wir jedes Jahr hier wären. Doch zumindest freut sich einer der Grenzpolizisten, drückt uns die Hand und bedankt sich, dass wir immer wieder nach Kenia kommen.
Die Grenzformalitäten sind problemlos und schnell. Nur die Dame beim Zoll wiegt den Kopf bedenklich. Wo unser Nachweis der bezahlten Straßenbenutzungsgebühren sei. Haben wir nicht, denn wir sind ja auch nicht gefahren. In Kenia müssen ausländische Fahrzeuge pro Monat 20 US$ zahlen, so will man den vielen Kenianern, die mit ausländischen Kennzeichen steuerfrei im eigenen Lande herumfahren, beikommen. Wer die Gebühren zu spät bezahlt, muss pro Monat 50 US$ Strafe dazu bezahlen. Bei uns wären das seit August letzten Jahres 11 Monate, also 770 US$. Schluck. Jetzt wiegt Wolfgang den Kopf bedenklich. Es beginnt eine ziemlich lange, aber stets freundliche Unterhaltung, an deren Ende die Dame einsieht, dass wir unser Auto während der letzten Monate tatsächlich in einem Container hatten und nicht herumgefahren sind. Der Container war zwar nicht unter Zollverschluss, sie verzichtet trotzdem auf die Strafzahlung. Doch die eigentlichen Gebühren müssen wir natürlich berappen, kriegen aber noch zwei Monate auf Kulanz erlassen. Bleiben 180 US$. Damit können wir leben.
Sie gibt uns beim Abschied noch den Rat, nächstes Mal schon bei der Einreise mit dem Zoll zu klären, dass wir das Auto unterstellen wollen. Dann würde uns möglicherweise ein Teil der Gebühren erlassen.
Der Tanzania-Teil der Grenze geht ein bisschen schneller und ist billiger. 125 US$ für Visa und Straßengebühren. Hier hat sich der Zöllner allerdings einen neuen Trick einfallen lassen. Er braucht unbedingt eine Fotokopie von Wolfgangs Pass. Da wir die nicht haben, rät er uns, nebenan in der Post eine machen zu lassen. Natürlich zu Touristenpreisen, wahrscheinlich gehört das Geschäft seinem Schwager. Doch nicht mit uns! 50 m weiter hinterm Grenzzaun gibt es die Kopien für ein paar Cent. Als Wolfgang ihm die Kopie in die Hand drückt, legt er sie achtlos beiseite. Also wohl doch nur familiäre Geschäftsanbahnung.
Die Weiterfahrt hält noch ein Highlight für uns bereit. In der Abendsonne tauchen unscharfe weiße Flecken am Horizont auf. Anette hält sie für den Schnee des Kilimanjaro, Wolfgang für schlichte Wolken, denn wir sind fast 100 km vom Berg entfernt.
Mit der Zeit wird klar, dass der Kilimanjaro auch über 100 km noch zu sehen ist. Er kommt immer deutlicher heraus und die Sonne taucht ihn in schöne Farben. Postkartenfotos.
Der Rest der Strecke ist weniger schön. Staubige Baustellenpiste, neben der zu unserer Überraschung auch am Sonntag Abend noch kräftig gebaut wird. Hier haben Chinesen das Sagen. Sie finanzieren den Straßenbau, um langfristig an die Rohstoffe dieser Länder heran zu kommen.
Die Bauarbeiten und der Verkehr machen besonders bei Dunkelheit keinen Spaß. Man sieht vor lauter Staub kaum etwas. Und wenn, dann sind es die voll aufgeblendeten Scheinwerfer des Gegenverkehrs. Es wird rücksichtslos überholt, gedrängelt, geschnitten und geblendet. Sind die alle verrückt? Jedenfalls haben wir es nach kurzer Zeit aufgegeben, die anderen zum Abblenden aufzufordern. Wir lassen unsere Scheinwerferbatterie einfach dauerhaft an. Manche Entgegenkommenden schalten vor Schreck ihre Scheinwerfer gleich auf Standlicht zurück.
Nach zwei Stunden in diesem Stil sind wir geschafft. Und im Camp.
Montag, 7. bis Dienstag, den 8. 6.10 (Massai Camp, Arusha): Wir haben uns hier auf dem Camp mit Christian aus Berlin verabredet, den wir letztes Jahr an gleicher Stelle getroffen hatten. Er ist ebenfalls mit dem eigenen Wagen unterwegs und auf dem Weg nach Namibia.
Bevor er eintrifft gelingt es uns nach erfolglosen Versuchen in Internet-Cafes endlich in einem Hotel, unsere Website hoch zu laden.
Auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt wird Anette von jemandem freundlich begrüßt, der sie zu kennen scheint. Er gibt sich als der Manager einer Lodge in Zambia zu erkennen, wo wir letztes Jahr waren. 2000 km von hier entfernt! Die Welt ist ein Dorf. Vermutlich hat er den Bus wiedererkannt.
Wir schaffen es tatsächlich, abends ein Feuerchen zu machen und ein paar Stücke Fleisch darauf zu legen. Aber so richtig afrikanisch ist das nicht, es ist einfach zu kalt. Außerdem zählen uns drei hungrige Hunde jeden Bissen in den Mund. Da ist der Rotwein, den wir mit Christian bis spät in die Nacht alle machen, schon angemessener.
Mittwoch, 9.6.10 (Sunset Beach Resort, Dar-Es-Salam): Bis nach Dar-Es-Salam sind es knapp 700 km. Das sollte unter günstigen Umständen doch zu machen sein. Alles Asphalt und 1000 m bergab.
Und wie das geht. Trotz der zahlreichen Verkehrskontrollen. Die winken uns zwar alle durch, doch einmal will ein Polizist tatsächlich Geld haben. Der erste seit vielen Jahren, der dreist und direkt nach Geld fragt. Als wir ihm sehr energisch klar machen, dass wir nie Geld zahlen, kommt nur der lapidare Kommentar “Is no good” und wir dürfen fahren.
Kurz vorher gab’s das ganze Gegenteil. Als wir gefragt wurden, wo wir hin wollen, haben wir gesagt “Na, zur Fußballweltmeisterschaft nach Südafrika”. Daraufhin hat uns Polizist die Hände geschüttelt, sich gefreut und uns eine gute Fahrt gewünscht.
Weniger schön sind die zahlreichen LKW- und Busunfälle. Achse rausgerissen, umgekippt oder zusammengestoßen, es führen viele Wege zu Kleinholz.
Zu guter Letzt stecken wir noch eine gute Stunde im abendlichen Berufsverkehr von Dar-Es-Salam fest. Die Auspuffgase sind zum Schneiden.
Nach genau 11 1/2 Stunden ununterbrochenen Laufens können wir den Motor endlich ausmachen. Wir sind ziemlich fertig. Steffi, unsere Navi-Frau, hat uns zielsicher zur Hafenfähre von Dar geführt. Einzig die Aussprache der Straßennamen muss sie noch ein wenig üben. Wir haben einige Male laut lachen müssen.
Die Fähre scheint nur auf uns gewartet zu haben, denn kaum sind wir an Bord, legt sie auch schon ab.
10 km weiter liegt das Sunset Beach Resort, eine Lodge mit Camping direkt am Indischen Ozean. Auf dem Weg dahin übersieht Wolfgang zum dritten Mal in diesem Jahr einen Bump. Mit diesen großen Bodenwellen quer über die Straße versucht man, die Autofahrer zu moderaten Geschwindigkeiten zu zwingen. Doch die Einheimischen kennen die Stellen, schleichen drüber und rasen danach weiter wie gehabt. Wir kennen sie jetzt auch und sind froh, dass wir angeschnallt waren. Alles andere flog durch die Luft.
Das Camp ist ziemlich sandig, wir stehen inmitten vieler Palmen und vom Auto sind es 50 m ins Wasser. Zudem gibt es im Restaurant einen großen Fernseher, wo wir uns die Eröffnung der Fußball-WM und das erste Spiel Deutschlands ansehen wollen. Außerdem haben wir uns ein paar faule Tage in der Wärme verdient.
Donnerstag, 10.6.10 (Sunset Beach Resort, Dar-Es-Salam): Wir haben heute vergeblich versucht, andere Reisende zu finden, die von hier aus nach Süden wollen oder von dort gekommen sind. Denn die Frage, ob die neue Brücke über den Grenzfluss passierbar ist oder nicht, wollen wir beantwortet haben, ehe wir uns auf die gut 500 Pisten-km nach Mocambique machen.
Zu unserer Unterhaltung werden in der Lodge Filmaufnahmen mit einem afrikanischen Chor gemacht. Immer wieder müssen sich die Sänger in Pose werfen und mit größtmöglicher Begeisterung zum zehnten Mal das gleiche Lied singen. Uns gefällt’s auch noch beim zwanzigsten Mal. Den Sängern offensichtlich auch, obwohl das Singen bei Afrikanern immer mit körperlicher Arbeit verbunden ist. Diese erstarrte Front von offenen Chormündern, wie wir das kennen, ist hier unvorstellbar. Musik heißt immer auch Tanzen. Kein reines Vergnügen, wenn man Kostüm trägt und in der prallen Sonne steht.
Wir haben es geringfügig angenehmer, wenn uns die großen Wellen im Wasser durchmassieren.
Am Nachmittag schauen wir den Fischern bei der Anlandung zu. Das ist richtig Schwerarbeit. Wegen einiger weniger Kilo Fische, die gleich am Strand verkauft werden.
Freitag, 11.6.10 (Sunset Beach Resort, Dar-Es-Salam): Heute ist WM-Eröffnung. Zusammen mit begeisterten Afrikanern schauen wir uns das erste Spiel an. Südafrika gegen Mexiko. Ein viel versprechender Auftakt. Insbesondere das Tor der Südafrikaner wird frenetisch bejubelt, auch von uns. Viele Stimmen hatten den Bafana Bafana, wie die südafrikanische Mannschaft hier heißt, nicht all zu viel zugetraut.
Samstag, 12.6.10 (Sunset Beach Resort, Dar-Es-Salam): Zwar wissen wir immer noch nicht, ob die Grenzbrücke überhaupt passierbar ist, doch dass es an der Grenze kein Visum gibt, ist jetzt ziemlich sicher. Das ist erst das zweite Mal, seit wir vor 17 Jahren nach Afrika gekommen sind, dass wir unser Visum nicht an der Grenze erhalten können.
Nach zahlreichen Telefonaten mit der deutschen Botschaft, dem deutschem Konsulat, der internationalen Schule in Zanzibar (da war die Konsulin zu Gast) und der mocambiquanischen Botschaft haben wir es amtlich. Wir müssen das Visum in Dar-Es-Salam beantragen. Es dauert mindestens fünf Werktage, also eher zwei Wochen.
Jetzt ist eine schwerwiegende Entscheidung fällig. Entweder wir warten hier aufs Visum, zockeln dann 3000 km durch Mocambique und kommen viel zu spät zur Fußball-WM. Oder wir verzichten auf Mocambique und fahren über Zambia und Botswana zügig nach Südafrika. Diese Strecke kennen wir in und auswendig. Unsere Navi-Steffi sagt, dass beide Wege nach Johannesburg etwa gleich lang sind, fast 4000 km, wobei die Straßen durch Nordmocambique ziemlich unkalkulierbar sind. Die andere Route ist bis auf wenige Stückchen top.
Eine verdammt schwere Entscheidung, denn wir hatten uns auf das nördliche Mocambique gefreut. Schöne Landschaft, schöne Strände, wenige Leute und, ganz wichtig, immer warmes Wetter.
Aber wenn die uns nicht haben wollen ...
Sonntag, 13.6.10 (Sunset Beach Resort, Dar-Es-Salam): Wenn wir schon in der Nähe von Dar sind, wollen wir uns die Stadt auch mal näher anschauen. Ohne Auto. Und wir müssen heute Abend rechtzeitig zum Spiel der deutschen Mannschaft wieder zurück sein.
Kaum stehen wir am Straßenrand, hält ein Matatu, eine Art VW-Bus für 14 Leute, und bringt uns für 15 Cent an die Fähre. Die verschlingt weitere 6 Cent und fährt sofort los. Perfekt organisiert.
In der Nähe des Piers der Fähren nach Zanzibar werden wir von jedem zweiten angesprochen, ob wir Tickets haben wollen. Nein, dieses Mal nicht! Doch sobald wir den Tummelplatz hinter uns haben, ist die Stadt wie ausgestorben. Keine Straßencafés, keine Menschen, alles ist geschlossen. Das hatten wir ein wenig anders erwartet. Auch typische touristische Sehenswürdigkeiten sind Mangelware in Dar. Wir laufen viele Kilometer durch die Stadt, am Ende des Tages werden es fünfzehn sein, aber es ist überall das Gleiche. Nichts. Weder am Stadtrand, noch am Strand, noch in den Parks. Einfach nur tot.
Ein Wächter des Präsidentenpalastes erzählt uns ein bisschen zu den Bauwerken. Er hat ja auch nichts zu bewachen, die Politiker sind alle ausgeflogen.
Um 4 Uhr sind wir wieder an der Fähre. Als der Kapitän laut trötet, fangen alle an zu rennen. Anette auch, obwohl sie kein Ticket hat. Wolfgang wird statt dessen zurückgepfiffen und muss beide Tickets vorzeigen. Dann darf auch er rennen, doch die Fähre legt bereits ab.
Eile mit Weile.
Die nächste Fähre steht in wenigen Minuten bereit und auch ein Matatu zum Beach Resort ist schnell gefunden. Seltsamerweise hat keiner der Fahrkartenverkäufer versucht, uns mehr Geld abzuknöpfen. Denn das ist in Touristengebieten eher üblich ist. Wir kannten zwar die Preise, aber das konnten die Verkäufer ja nicht wissen.
Rechtzeitig zum Fußballspiel sitzen wir im Restaurant des Resorts. Wir sind vom Spiel der deutschen Mannschaft extrem begeistert. Normalerweise fangen die ja bei einem Turnier mit Gurkenfußball an und steigern sich allmählich. Doch nach diesem Spiel gibt’s nicht mehr viel zu steigern. Das war einfach Klasse, ganz unabhängig vom Ergebnis.
Jetzt ist unsere Entscheidung zu Mocambique auch endgültig gefallen. Wir werden das Land dieses Jahr sausen lassen und den schnellsten Weg nach Südafrika nehmen, durch Zambia und Botswana. Wenn wir auf die Tube drücken, können wir es bis zum letzten Gruppenspiel gegen Ghana noch schaffen.
Morgen in aller Frühe werden wir aufbrechen.
Montag, 14.6.10 (Riverside Camp, Iringa): Na ja, so früh wird es dann auch wieder nicht. Erst kurz vor 7 Uhr setzen wir uns in Bewegung. 500 km entfernt kennen wir ein gutes Camp, wo wir schon ein paar Mal waren. Das sollte machbar sein, sofern die Straße nicht immer noch im Bau ist. Letztes Jahr haben wir wegen Einbahnverkehr eine halbe Stunde für 10 km gebraucht.
Trotz morgendlicher Rushhour kommen wir gut über die Fähre. Vor der Weiterfahrt brauchen wir zum Tanken eine größere Menge Bargeld, doch die Geldautomaten geben uns nichts und die Banken haben noch geschlossen. Auch die Alternative, erst mal in einem Café zu frühstücken, scheidet aus. Nicht aus Geldmangel, sondern weil das “Breakfast Café” nicht vor 14 Uhr öffnet. Auch die Supermärkte schlummern noch tief und fest.
Schließlich kapitulieren wir, stellen uns brav vor die Bank und warten ab, bis die Banker Geschäfte machen wollen. Nachdem wir unser dickes Bündel mit 800.000 tanzanischen Shillingi in den Händen haben, hauen wir endgültig aus Dar ab.
Entlang der Landstraße reiht sich eine moderne Tankstelle an die andere. Kaum Dörfer, aber unzählige Tankstellen. Der Grund: von Dar aus wird nicht nur Tanzania versorgt, sondern auch etliche andere Staaten im Inneren Afrikas, selbst der Kongo. Alles per Lkw. Doch die brauchen Diesel, wir Bleifrei-Benzin. Keine der Tankstellen hat Bleifrei. Dumm gelaufen.
Erst 200 km weiter in Morogoro finden wir eine passende Tankstelle und tauschen einen Teil unseres Geldbündels ein.
Auf den folgenden 300 km haben wir die großen Baustellen erwartet, doch die Leute haben seit letztem Jahr gut gearbeitet. Bis auf ein paar unfertige Bergpassagen ist die Straße ganz hervorragend.
Rechtzeitig zum Sonnenuntergang rollen wir am Ziel ein. Wir bekommen im Freiluftrestaurant sogar noch etwas zu essen, was bei Temperaturen unter 10° nicht das wahre Vergnügen ist.
500 km am ersten Tag! Wenn wir das eine Woche lang durchhalten, dann packen wir es bis zum Ghana-Spiel.
Dienstag, 15.6.10 (Parkplatz Zambia-Grenze): Der gestrige Ritt hat uns wohl doch mehr geschafft, als wir dachten. Jedenfalls brechen wir erst um 9 Uhr auf. 450 km bis zur Grenze nach Zambia, ein Stück danach wartet ein nettes Camp auf uns.
Eigentlich könnte es recht flott vorwärts gehen, doch wir müssen mehrfach bis auf 2000m klettern, was in unserem Alter nicht mehr so einfach geht.
Eine weitere Bremse sind die zahlreichen Verkehrskontrollen der Polizei, Road Blocks genannt. Immer freundlich und nett, doch ein paar Minuten Smalltalk sind immer fällig. Die obligate Frage nach dem Wohin beantworten wir immer wahrheitsgemäß mit “Zur Fußball-WM nach Südafrika”. Die Polizisten sind immer mächtig stolz, dass sich die “Musungus” auf den langen Weg von Europa gemacht haben. Außerdem hat sie das erste Spiel der deutschen Mannschaft offensichtlich beeindruckt, was uns natürlich auch zu Gute kommt. Schließlich stellen sie fest, dass wir ganz schön spät dran sind, wünschen uns schnell noch Gute Fahrt und weiter geht’s.
Am Ende des Tages werden wir stattliche 19 Polizeikontrollen gehabt haben, alle 25 km eine. Doppelt so viele wie üblich. Die Zielgruppe sind allerdings nicht wir, sondern die “rollenden Wracks mit ihren verrückten Fahrern”, wie uns ein Polizist sagte. Na, ein Wrack haben wir ja nicht. Über den Rest können wir reden.
In Mbeya stellen wir fest, dass wir viel zu viel Geld umgetauscht haben, da hat Wolfgang wohl die Nullen nicht richtig gezählt. Deshalb legen wir uns noch einen neuen Reifen aufs Dach.
Pünktlich um 18 Uhr rollen wir an der Grenze ein, die Tanks voll bis an die Halskrause, denn in Zambia ist der Saft sehr viel teurer.
Da dies die Hauptgrenze zwischen Tanzania und Zambia ist, gingen wir von einem Rund-um-die-Uhr-Betrieb aus. Weit gefehlt. Um 18 Uhr wird abgeschlossen. 18 Uhr zambischer Zeit, also in einer Stunde!
Mit dem üblichen Cordon von schnatternden Schleppern im Schlepptau zieht Wolfgang von Behörde zu Behörde und nach gerade mal 25 Minuten sind wir in Tanzania fertig. Jetzt noch die Einreiseformalitäten in Zambia.
Zambia ist extrem erfinderisch im Eintreiben von Gebühren. 100 $ für zwei Visa sind ja fast schon normal, dann noch die Versicherung fürs Auto (ätsch, wir haben eine Art “Grüne Karte” für Ost- und Südafrika und müssen dieses Mal nichts bezahlen), eine Gemeindesteuer von ein paar Euro und die Straßensteuer von 30 US$.
Der Straßensteuerkassierer hat heute genug verdient und beschlossen, schon eine Stunde eher Feierabend zu machen. Der darüber ebenfalls verärgerte Zöllner erwischt ihn zwar noch am Handy, doch er kann ihn nicht überreden, seinen Job zu tun. Ist ja auch eine andere Behörde.
Für uns heißt das, dass wir (wieder einmal) im Niemandsland zwischen den Grenzen fest hängen. Pünktlich um 19 Uhr geht das Licht aus. Nicht, weil der Betrieb eingestellt wird (das ist schon eher passiert), sondern weil vom Wind zwei Hochspannungsleitungen aneinander gedrückt werden. Immer, wenn sich die Seile berühren, gibt es ein nettes Feuerwerk. Bis eines durchgebrannt ist.
Dann werden die Tore geschlossen und wir machen es uns zwischen all den vom Zoll beschlagnahmten Fahrzeugen im Niemandsland gemütlich. Gut bewacht von Soldaten, die uns ja aus Mitleid raus lassen würden, doch spätestens an der nächsten Straßenkontrolle hätten wir Probleme wegen des fehlenden Steuerbelegs.
Mittwoch, 16.6.10 (Forest Inn, Mkushi): Das Niemandsland ist eine wahre Oase der Ruhe. Bis 8 Uhr! Dann werden die Tore geöffnet und die Wimmelei geht los.
Dummerweise sind wir schon um 5:30 Uhr aufgestanden, in der Hoffnung, dass der Straßensteuersheriff ein bisschen eher kommt.
Pure Illusion!
Als er kurz vor 9 immer noch nicht da ist, raunzt einer der ebenfalls Wartenden den Straßensteuerhilfssheriff an, er solle jetzt gefälligst unsere Papiere fertig machen, damit wir endlich fahren können. Schließlich würden wir seit gestern Abend hier stehen. Die Unterschrift vom Big Boss könne er ja einholen, wenn er aufgestanden ist.
Und es klappt! Nach drei Minuten ist alles erledigt (davon hat er zweieinhalb Minuten lang versucht, den Stempel anzufeuchten), ein großes Dankeschön an die Mitwartenden und kurz vor 9 Uhr rollen wir durch Tor.
750 km weiter liegt ein schönes Camp. Das wird eine verdammt lange Etappe. Soweit wir uns richtig erinnern, ist die Straße recht gut, bis auf eine 50 km lange Musterkollektion an Schlaglöchern. Früher war Zambia für ganz andere Herausforderungen berühmt. 200 km vergrabene Badewannen am Stück und so.
Wir kommen verdammt gut vorwärts. Natürlich schaffen wir diese Strecke nicht bis zum Sonnenuntergang, doch gegen 20 Uhr sind wir tatsächlich da und belohnen uns mit einem sehr schönen Abendessen im Restaurant. Das anschließende Fußballspiel der Weltmeisterschaft kann uns allerdings nicht lange in der Senkrechten halten.
Donnerstag, 17.6.10 (Moorings Campsite, Monze): Heute sind es nur 450 km, da müssen wir nicht zu nachtschlafender Zeit losrasen.
Auf der Fringilla Farm, wo wir 2001 die totale Sonnenfinsternis miterlebt haben, machen wir eine Pause, weil man hier sehr gut frisches Fleisch und Milch einkaufen kann, die Produkte der Farm. Nebenbei erfahren wir, dass sie in ihrem Gartenrestaurant einen WLAN-Hotspot haben. Das heißt, man kann hier im Garten sitzen und mit seinem Laptop über Funk ins Internet gehen. Schon nach kurzer Zeit kriegen wir es tatsächlich gebacken. In Europa hatten wir das noch nie probiert und hier klappt es auf Anhieb. Wir sind begeistert. Mail abrufen, Bankdaten prüfen, im Schatten sitzen, Geld überweisen, Kaffee trinken, Virenscanner aktualisieren. Dieser Service gehört hier dazu wie der kostenlose Besuch der Toiletten.
Manchmal ist Afrika weiter als man denkt. Und weiter als Europa.
Noch vor der Rushhour lassen wir Zambias Hauptstadt Lusaka hinter uns.
Einige Kilometer später werden wir an einer Polizeikontrolle angehalten (so etwas ist hier nur unwesentlich seltener als in Tanzania). Der Polizist sagt uns gleich als Erstes, dass er uns im vergangenen Jahr hier schon Mal getroffen hätte. Auf dem Weg nach Norden. Und mit einem Schmunzeln fügt er hinzu, dass wir ihm damals gesagt hätten “Wenn wir wieder zurück kommen, kann er das Auto kaufen”. Haben wir sicher nicht, aber es schafft doch gleich eine viel entspanntere Atmosphäre bei einer Kontrolle. Vor Jahren sind wir an der gleichen Stelle schon einmal rausgepfiffen worden und mussten mit zur Polizeistation, wo wir ein saftiges Strafmandat bezahlen mussten. Angeblich war unsere Versicherung nicht gültig, was alle anderen Polizeikontrollen glücklicherweise ganz anders sahen.
Wir haben nicht gezählt, wie viele Male wir das Auto dies Jahr hätten verkaufen sollen. Zehn Mal? Zwanzig Mal? Die meisten Anfragen waren sicher auch nicht ernst gemeint. Aber trotzdem nett.
Der Abend sieht uns auf der Moorings Farm, wo wir es wieder Mal mit einem Lagerfeuer und Gegrilltem versuchen. Doch nach Sonnenuntergang macht das nicht mehr viel Spaß. Zu kalt.
Freitag, 18.6.10 (Ngina Lodge, Kasane): Heute haben wir ganz raffiniert geplant. Sehr früh aufbrechen, darauf hoffen, dass die letztjährigen 25 km Baupiste nach Livingstone jetzt feinste Straße sind und dann rechtzeitig zu einem Zwischenstopp in No Name Camp eintreffen, um dort das Fußballspiel Deutschland-Serbien anzuschauen. Nach dem Spiel dann noch schnell über die Grenze nach Botswana.
Schon vor 6 Uhr brummt der Motor. Die Baupiste ist einer sehr schönen neuen Straße gewichen, neben der wir bei herrlichem Wetter in aller Ruhe frühstücken.
Doch nach dem Ende der Ausbaustrecke haben sich die Bauarbeiter die nächsten 40 km vorgenommen. Also doch eine Stunde durchschütteln lassen. Oder zwei. Die Zeit wird ein bisschen knapp.
Als wir dann endlich auf dem Parkplatz des No Name Camps den Motor aus machen, erklingt gerade die deutsche Nationalhymne. Geschafft!
Wir freuen uns auf ein Klasse Spiel. Und werden mächtig enttäuscht. Serbien gewinnt 1:0, völlig verdient. Kein Vergleich mit dem Australienspiel, sondern der schon am Turnieranfang befürchtete deutsche Gurkenfußball.
Und wegen dieser Truppe sind wir fast 2500 km gefahren? Ob das wirklich eine gute Entscheidung war, zum letzten Spiel in Johannesburg zu sein? Noch mal fast 1500 km weiter?
Wir sind schwer am Zweifeln und werden heute Abend im Restaurant der legendären Chobe Lodge noch mal drüber nachdenken.
Doch zur Chobe Lodge müssen wir erst mal über den Zambezi nach Botswana kommen. Die Grenzfähre liegt 50 km weiter und stellt vermutlich nachts den Verkehr ein. Doch wann?
An der Grenze sind die Schlepper alle ganz aufgeregt. Wir müssen uns beeilen, beeilen, beeilen, rufen sie. Zunächst mal müssen alle Stempel her, das geht recht fix. Dann noch 5 $ Gemeindesteuer (wir sind in Zambia, dem Land der findigen Finanzminister) und 17 Euro für die Fähre bezahlen und schon dürfen wir uns in die Reihe der wartenden Fahrzeuge stellen.
Wir unterhalten uns mit einem der Fährmänner. Er erzählt uns, dass heute Abend nur noch eine Fähre geht. Wir hätten eine kleine Chance, mitzukommen. Wo wir denn hin wollten? “Nach Südafrika, zum Fußball, Deutschland beim letzten Gruppenspiel anfeuern. Heute haben sie ja mies gespielt.” Er nickt mitleidig und gibt uns ein Zeichen, ein Stück weiter nach vorn neben die Lkws zu fahren.
Nachdem die Fähre entladen ist, dürfen wir als erste drauf. Ob es Mitleid mit dem deutschen Spiel war oder nur Sympathie für die Fußballbekloppten aus Germany, wir wissen es nicht.
Der Zambezi führt Hochwasser, wie wir vorhin schon an der großen Wassersäule über den Victoriafällen sehen konnten. Das macht es uns leichter, vom sandigen Hochufer aus auf das Schiff zu fahren. Wir hatten hier schon so niedrigen Wasserstand, dass wir mit den Stoßstangen aufgesetzt haben.
Am anderen Ufer in Botswana geht es wie gewohnt recht zügig. Obwohl man auch hier von den Erfindungen der zambischen Geldbeschaffer Gebrauch macht. Früher zahlte man an der Grenze einige wenige Euro für ein ominöses Papier (Verkehrssicherheit?), heute sind es 6 Euro Straßensteuer, 6 Euro Versicherung und 3 Euro Road Fund (hä?). Nur den Trick mit den Visa haben sie noch nicht kopiert, die sind nach wie vor kostenlos.
Und noch ein Unterschied zu den Staaten nördlich von hier. Man hat hier eine eigene Währung, der man vertraut. Bisher mussten wir fast alle Grenzgebühren in US$ bezahlen, hier brauchen wir Pula.
Die haben wir zwar in ausreichender Menge, doch sie stammen vom letzten Besuch vor zwei Jahren. Aber seit letztem Jahr gibt es neue fälschungssichere Geldscheine. Die alten müssen wir bei einer Bank wechseln. Heute Abend unmöglich.
Der Grenzer empfiehlt uns, heute ohne zu bezahlen über die Grenze zu fahren, am Geldautomaten Geld zu ziehen und morgen früh wieder zu kommen.
Ein erstaunlicher Vorschlag. Denn Botswana kennt praktisch keine Verkehrskontrollen, so dass wir auch ohne zu bezahlen durchs Land kämen.
Jetzt also zum sehr feinen Dinner in die Chobe Lodge.
An der Rezeption erfahren wir, dass das Dinner kein Problem sei, aber es gibt keine Übernachtungsmöglichkeiten mehr. In der ganzen Stadt. Die Südafrikaner haben Urlaub. Lediglich auf dem Ngina Camp außerhalb der Stadt gäbe es noch einige wenige freie Stellplätze.
Na gut, dann kein Dinner, sondern ein schlichtes Abendessen.
Vor dem Camp müssen wir noch Geld beschaffen und vor allem die Luft aus den Tanks lassen. Wir haben nur noch ein paar Tropfen drin. In Botswana kostet der Liter 0,72 Euro, in Zambia waren es 1,38 Euro, da lohnen sich leere Tanks.
Das erwähnte Camp ist tatsächlich fast voll mit weißen Südafrikanern, alle grillend (Nationalsport). Wir bekommen ein freies Plätzchen zugewiesen und auch das Restaurant ist noch offen. Die Südafrikaner findet man hier seltener, die bringen immer alles in großen Kühltruhen von zu Hause mit.
So wird es doch noch ein ganz angenehmer Abend.
Samstag, 19.6.10 (Woodlands Stopover, Francistown): Halb sieben starten wir und wenige Minuten später sind die Grenzformalitäten erledigt. Auch das illustriert, dass Botswana auf einer anderen Entwicklungsstufe steht als die bisherigen Länder, gleichauf mit Südafrika und Namibia. Schön, wieder zurück zu sein, aber auch ein bisschen schade.
Zum Frühstück halten wir auf einem Seitenweg. Hier muss man immer mit Rüsseln rechnen, doch wir haben Glück und wir können ungestört frühstücken. Später, während der Fahrt, steht einer neben der Straße. Und ein paar Giraffen, Antilopen und Paviane. Wir sind hier in einem Korridor zwischen zwei großen Nationalparks. Zu Wanderungszeiten ist hier wesentlich mehr los.
Auch hier wird die Straße neu gebaut. Auch hier gibt es parallel zur alten Straße eine Baupiste. Doch hier ist sie wunderbar aus Asphalt in die Landschaft gelegt. Kein Staub, kein Schütteln, kein Umkurven von Schlaglöchern, nur angenehmes Dahingleiten. Nach der Fertigstellung wird sie wieder weggeknabbert und die Landschaft wächst wieder zu. Perfekt.
Da es zügig vorwärts geht, sind wir schon um drei im Woodlands Stopover Camp. Fast 500 km in acht Stunden. Inklusive Frühstück.
Unser zeitiges Ankommen hat einen entscheidenden Vorteil: die Südafrikaner sind noch nicht da. Außerdem kann sich die Dame an der Rezeption erinnern, dass wir schon mal hier waren und sie damals auf Anettes Walkman afrikanische Musik gehört hatte.
Wir kriegen den besten Platz!
Kaum haben wir es uns gemütlich gemacht, rollen die Geländewagenkonvois an. Es sind fast immer Konvois, da spielt wohl die alte Wagenburgmentalität aus der Apartheidszeit noch eine Rolle. Alleine ins feindliche Afrika zu fahren, ist einfach zu gefährlich. Na ja, so schlicht ist es natürlich auch nicht richtig.
Alls wir ankamen, waren wir sie einzigen Gäste, jetzt sind es schlagartig 40 oder 50 Geländewagen mit Anhänger oder Zelt. Doch obwohl gerade Buren nicht für ihre Schweigsamkeit bekannt sind, ist es erstaunlich ruhig. Überall lodern kleine Feuerchen zum Grillen und zum Wärmen, denn es ist saukalt.
Sonntag, 20.6.10 (Marnitz Mini Town, Baltimore): So schlagartig, wie die Südafrikaner gestern ankamen, sind sie heute wieder verschwunden.
Nach fast einer Woche Kilometerfresserei schwächeln wir ein bisschen. Autowaschen ist angesagt (in Südafrika fährt man mit sauberem Auto!), die Mails sollen in der nächsten Stadt noch raus und auch saubere Wäsche wird langsam Mangelware.
Bei Einbruch der Dunkelheit stehen wir an der letzten Tankstelle vor der südafrikanischen Grenze. Entweder wir stellen uns zum Schlafen neben die Tanke oder wir fahren auf das nahe gelegene Camp. Doch zu unserer großen Überraschung erklärt uns der Tankwart, dass die Grenze selbstverständlich noch bis Mitternacht offen sei. Jetzt sind wir endgültig zurück im wohlorganisierten Teil Afrikas. Da es nur ein kleiner Grenzübergang ist, waren wir sicher, dass bei Einbruch der Dunkelheit die Luken geschlossen werden.
Auf der Tankstelle füllen wir den Wagen noch mal bis zur Halskrause auf (so wie es alle hier machen). Und wir genießen einen richtig dekadenten Hamburger mit Pommes Frites.
Der Grenzübergang ist der schnellste und billigste dieses Jahr. Nach 25 Minuten sind wir durch. Keine Warteschlangen, kein Visum, keine Für-was-auch-immer-Gebühren zur Unterstützung der lokalen Fürsten. Statt dessen bittet uns der Zöllner, unter seinen hellsten Flutlicht-Scheinwerfer zu fahren, denn er will genau wissen, wie wir in unserem Bus wohnen, wie das Bett ausgeklappt wird und wie die Küche funktioniert. Er würde den Bus gern kaufen, erkennt aber sehr schnell die Aussichtslosigkeit dieses Gedankens und verabschiedet uns mit einem Lachen.
Welcome to South Africa.
Eine Stunde später sehen wir am Straßenrand ein Hinweisschild zu einem Camp. Das Tor wird gerade geschlossen und ein Wagen will wegfahren. Es ist der Manager, der gerade abschließen will, weil keine Gäste da sind. Für uns macht er selbstverständlich wieder auf.
Montag, 21.6.10 (Riverwood, Pretoria): Bis Pretoria sind es noch 350 km, da können wir es uns erlauben, die Hauptstraße zu verlassen und über kleine Landstraßen zu trödeln. Die Gegend ist wirklich schön anzuschauen, ziemlich hügelig, grün, große Farmen und kleine Sträßchen, meistens sogar mit Asphalt.
Kurz vor drei Uhr rollen wir bei Elizabeth und Peter durch Tor.
Eigentlich wollten wir bei den beiden erst nach der Fußballweltmeisterschaft vorbei schauen, doch da das Spiel Deutschland gegen Ghana schon übermorgen stattfindet, hoffen wir, dass sie uns Tipps geben können, wo noch Karten aufzutreiben sind.
Da eines ihrer Chalets zur Zeit nicht gebraucht wird, dürfen wir die nächsten Tage dort verbringen. Hier ist gerade bitterster Winter, der kälteste seit Jahren. Nachts kann es deutlich unter Null Grad gehen, trotz der 20° am Tage bei blauem Himmel.
Wir genießen nicht nur die Heizung, sondern auch den Fernseher und den vielen Platz.
Dienstag, 22.6.10 (Riverwood, Pretoria): Zum Hahnenschrei stehen wir auf. Das hört sich zwar nach sehr früh an, doch hier in Riverwood gibt es ein halbes Dutzend Hähne. Damit sie morgens nicht im Chor singen müssen, haben sie ihr Geschrei über den ganzen Tag verteilt. Uns hat der 9 Uhr-Hahn geweckt.
Es ist ziemlich kalt, nur 5°C, doch auf der Terrasse im Sonnenschein lässt sich’s gut frühstücken. Mit Blick auf viel Grün und Pferdekoppeln. Vögel kommen zu Besuch, Hunde und Katzen natürlich auch. Und die Hunde wollen natürlich bei Wolfgang auf den Schoß!
Ein kleines Paradies am Stadtrand von Pretoria.
In der Stadt gibt es ein Ticketcenter von der FIFA, da wollen wir unser Glück versuchen. Die Leute dort sind zwar alle sehr bemüht und freundlich, doch ausverkauft ist ausverkauft. Auch Telefonate mit der deutschen Botschaft und der FIFA-Zentrale sind erfolglos.
Zurück in Riverwood zeigt uns Peter Kleinanzeigen aus einer lokalen Internet-Zeitung. Da sind die Karten zwar deutlich teurer, doch auch hier ist nichts zu machen. “Vor zwei Minuten verkauft!” Dann entdecken wir eine Anzeige von jemandem, der nur per Mail kontaktiert werden möchte. Das ist zwar etwas umständlicher, doch genau deshalb hat ihm noch keiner geantwortet. Er ruft umgehend zurück und wir vereinbaren, uns am Rande von Johannesburg mit ihm zu treffen. Am anderen Ende der Stadt.
Es ist 17 Uhr und wir müssen 70 km quer durch Pretoria und Johannesburg. Wir rechnen mit zwei Stunden. Doch das Schnellstraßennetz ist hervorragend ausgebaut und der Verkehr fließt zu unserer Überraschung. Die Highways haben teilweise sechs Spuren. In einer Richtung! So etwas kannten wir bisher nur aus Amerika. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir in diesem Fahrbahndschungel nicht verloren gehen. Dank Navi ist es jedoch kein wirklich großes Problem.
Unterwegs hält uns nur der Mannschaftsbus von Uruguay samt seiner Blaulicht-Eskorte auf.
Pünktlich zum Sonnenuntergang sind wir am vereinbarten Ort und Dave, der Verkäufer, trifft auch bald darauf ein. Er ist ein Fußballbegeisterter und war selber schon bei drei Spielen. Er gibt uns eine Menge Tipps, wie wir zum Stadion kommen, wo wir parken können, was wir mitnehmen sollten und was auf keinen Fall.
Er empfiehlt uns, mit dem Auto auf einen der gesicherten Park & Ride-Parkplätze zu fahren und von dort die Bahn zu nehmen. Die wäre ziemlich zuverlässig und schnell und zudem bestens gesichert. Es wird im Stadion zwar kalt sein, doch der An- und Abmarschweg seien deutlich kälter. Er empfiehlt uns noch, eine Vuvuzela mitzubringen und als Gegenmittel gibt er uns Ohrstöpsel, wie sie auch das Militär beim Schießen verwendet. Verrückte Welt! Aber egal, wat mut, dat mut. Essen und Trinken dürfen nicht mit ins Stadion genommen werden, denn schließlich wollen die Firmen, die die Rechte im Stadion gekauft haben, sich ihr Geld von uns wieder zurück holen.
Im Übrigen ist Dave extrem begeistert vom Soccer-City-Stadion. Es hätte die mit Abstand beste Atmosphäre und es wäre ein wirkliches Erlebnis, dort ein Spiel zu besuchen. Vor allem die Party auf den Rängen und um das Stadion scheint gewaltig zu sein.
Daves größter Wunsch wäre es, wenn Deutschland die Gruppenspiele übersteht und dann im Achtelfinale gegen England spielen müsste (er weiß noch nicht, dass sein Wunsch in Erfüllung geht und dass das Ergebnis nicht gut für die britische Volksseele ist). Seine Wurzeln sind in Holland und England, aber er würde sich seltsamerweise auch über einen Sieg Deutschlands freuen. Jedenfalls ein bisschen.
Der Rückweg über Johannesburgs Highway-Gewusel gestaltet sich ebenso problemfrei wie der Hinweg, trotz immer noch anhaltender Rushhour. Und an allen Ecken und Enden wird massiv weiter ausgebaut. Ok, zur Zeit haben die Südafrikaner Ferien. Trotzdem: so eine Highway-Infrastruktur hat keine europäische Großstadt zu bieten. Wohl auch, weil bei uns der öffentliche Nahverkehr eine viel größere Rolle spielt.
Mittwoch, 23.6.10 (Riverwood, Pretoria): Elizabeth und Peter statten uns mit den überlebenswichtigen Dingen fürs Stadion aus. Dicke Bundeswehr-Parka (in Deutschland hätte Wolfgang so ein Ding nie angezogen, zu viel oliv!), Handschuhe, Pudelmützen und Balaclavas (bei uns heißen die wohl Sturmhauben und sind bei Bankräubern sehr beliebt). Anette will noch eine dicke Decke gegen kalten Po mitnehmen, doch sie sieht ein, dass so ein Bündel im Gedränge ziemlich unpraktisch ist.
In Deutschland wären wir mit so einer Ausrüstung in Polizeigewahrsam genommen worden, wegen Vermummungsverbot.
Was machen eigentlich deutsche Fußballfans im Winter? Rennen die auch so aufgebrezelt ins Stadion? Wir haben Zweifel und beschließen, die arktischen Prophezeiungen der Afrikaner gelassen zu nehmen. Wenn’s zu kalt wird, müssen die Deutschen halt mehr Tore schießen, damit wir uns warm jubeln können.
Anpfiff ist 20:30 Uhr. Kurz vor drei am Nachmittag brechen wir ins 25 km entfernte Pretoria auf. Dort soll es am Bahnhof spezielle bewachte Parkplätze für die WM-Besucher geben und eine Metro bringt uns nach Johannesburg und zum Stadion nach Soweto.
Den Bahnhof finden wir schnell, doch keinen Hinweis auf die Parkplätze. Dabei hatte der Bahnhofsmanager am Telefon noch gesagt, dass sie reichlich davon hätten, unmittelbar am Bahnhof.
Wir bleiben erfolglos bei der Suche und beschließen, direkt nach Johannesburg zum Stadion zu fahren. Kaum will Anette unsere Entscheidung dem Navi mitteilen, taucht vor uns ein Hinweisschild zum Parkplatz auf. Und tatsächlich, ein großer Platz, bestens bewacht und durch eine Brücke direkt mit dem Bahnhof verbunden. Und auch noch völlig kostenlos.
Wir haben noch über eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt unseres Zuges und beschließen, einen kurzen Spaziergang durch Pretorias Zentrum zu machen. Bis auf den historischen Platz um die alte Kirche ist es jedoch wenig attraktiv. Bahnhofsviertel gelten bei uns ja auch nur selten als Touristenattraktion.
Wir komplettieren unsere Ausrüstung mit einer Vuvuzela.
Am Bahnhof stehen überall junge Leute im südafrikanischen Fußballdress, die den WM-Besuchern bei der Orientierung helfen sollen. Egal, wen wir fragen, alle sind sehr hilfsbereit und offensichtlich gut ausgebildet Sie zeigen uns den Weg zu unserem Sonderzug. Auch der ist umsonst.
17:30 Uhr soll es losgehen. Und das tut er auch. Voll mit Fußballverrückten und einigen Wachleuten. Es herrscht eine ausgesprochen fröhliche Atmosphäre und eine laute zudem. Die Vuvuzelas werden für das Konzert eingestimmt.
Der Zug ist nicht der Schnellste, da er immer wieder wegen des Feierabendverkehrs und eines Stromausfalls aufgehalten wird. Deshalb dauert es auch über zwei Stunden, bis wir endlich in Soweto am Stadion ankommen.
Wir haben zwar keine Ahnung, welcher Weg zum Stadion führt, aber alle anderen wissen es. Also immer hinter den Vuvuzelas her.
An der Ticketsperre staut es sich kurz und dann liegt das Stadion plötzlich vor uns. Sehr schön anzuschauen, ein bisschen wie das neue Münchner Stadion in beige. Eigentlich ein altes Stadion, das für die Weltmeisterschaft aufgemotzt wurde. 95.000 Zuschauer passen maximal hinein, jetzt ist es auf 85.000 begrenzt.
Je näher wir kommen, desto mächtiger wird es. Hier fand das Eröffnungsspiel statt und auch der Weltmeister wird hier gekürt. Vielleicht ist ja eine der heutigen Mannschaften dabei.
Nach einigem Herumfragen finden wir den richtigen Aufgang. Es ist unglaublich, wie weit wir laufen müssen. Und vor allem, wie hoch. Auf endlosen Rampen geht es immer weiter aufwärts. Und kaum, dass wir glauben, endlich oben zu sein, zeigt uns ein Ordner noch eine weitere Rampe. Schließlich finden wir unsere Reihe und sind begeistert. Ein toller Blick, wie aus einem Hochhaus. Wir schauen fast auf die Mitte des Spielfeldes. Tief unter uns steht die deutsche Mannschaft und singt gerade die Nationalhymne mit. Das hat seinen Vorteil, denn so stehen ohnehin alle auf und wir können schnell durch das Spalier zu unseren Sitzen huschen.
Das Stadion ist voll besetzt und in unserer Ecke halten sich die Ghana- und die Deutschland-Anhänger die Waage. Anders als bei Bundesliga-Spielen muss man hier die Fans nicht voneinander trennen. Die Afrikaner jubeln bei Deutschland-Rufen mit, die Deutschen bei ghanaischen Gesängen. Alles lautstark untermalt von den Vuvuzelas. Vielleicht ist untermalt nicht der richtige Begriff, die Plastik-Tröten übertönen alles. Nur unsere nicht. Einfach hinein pusten und Lärm machen, geht nicht. Sie wimmert jämmerlich. Gequält und leise. Andererseits: es wird keinen Platz auf der Welt geben, wo man beschwerdefreier mit der Vuvuzela üben kann.
Es dauert verdammt lange, mehr als eine Halbzeit, ehe es zum ersten Mal gelingt, einen würdigen Ton zu produzieren. Nur für eine Sekunde, dann ist die Luft alle, aber immerhin. Rein theoretisch wissen wir jetzt wie es geht.
Das Spiel ist ganz ordentlich, zwar nicht so ansehnlich wie gegen Australien, doch deutlich besser als gegen Serbien. Auf beiden Seiten gibt es Chancen und immer wieder gute Gründe, die Vuvuzelas sprechen zu lassen.
Seltsamerweise kommt hier keine La-Ola-Welle zu Stande. Doch es gibt so etwas Ähnliches, natürlich mit Vuvuzelas. Es beginnt mit einigen kurzen Tönen im Sekundentakt. In diesen Rhythmus stimmt dann nach und nach das ganze Stadion ein und man kann es schließlich sogar mit dem Bauch hören. Alles vibriert. Wir halten uns anfangs vornehm zurück, für so etwas reicht unsere Puste noch nicht. Noch nicht! Denn es klappt mit der Zeit immer besser.
Nach gut einer Stunde mit Üben und Krächzen können wir es. Ein deutscher Stürmer kriegt den Ball am Strafraum vor den Fuß und hämmert ihn aufs Tor. 1:0! Özil wird zum Held des Tages und wir haben ihn mit unserer Vuvuzela zum Siegtor getrieben. Das ist auch das Endergebnis. Deutschland jubelt, Afrika trauert. Ganz Afrika!
Doch nur so lange, bis das Endergebnis dieser Gruppe auf den Anzeigetafeln erscheint. Parallel zum Deutschland-Ghana-Spiel hatten ja die beiden anderen Teilnehmer ihr letztes Match. Es war von vornherein klar, dass Serbien, das Deutschland geschlagen hatte, gegen Australien gewinnen würde. Haben sie aber nicht. Die Australier haben tatsächlich ein unmögliches 2:1 zustande gebracht. Die Abschlusstabelle lautet also: Deutschland und Ghana kommen weiter.
Im Stadion bricht ein unbeschreiblicher Jubel aus. Ghana hat als einzige afrikanische Mannschaft die nächste Runde erreicht. Ein Kontinent steht Kopf und Millionen Vuvuzelas geben, was sie können. Minutenlang. Unsere auch. Das muss in den Erdbebenmessstationen fühlbar gewesen sein.
Nach einiger Zeit beginnt sich das Stadion zu leeren. Die Massen tanzen die Rampen herunter, lautstark unterstützt von Kapellen.
Es dauert ziemlich lange, ehe wir den Weg zur Bahnstation geschafft haben. Afrika hat es überhaupt nicht eilig, doch wir müssen unseren Sonderzug kriegen, sonst kommen wir erst morgen früh nach Hause.
Auf die Ekstase im Stadion folgt während der zweistündigen Bahnfahrt eine laute, aber glückliche Unterhaltung und dann die völlige Erschlaffung. Die meisten schlummern zufrieden ein. Von diesem Erlebnis werden sie noch ihren Enkeln erzählen.
Gegen 2 Uhr morgens erreichen wir unseren Parkplatz in Pretoria, der immer noch bestens bewacht ist. Wir verlassen ihn als letzte, drücken den Wächtern noch ein offensichtlich unerwartetes Trinkgeld in die Hand und rollen durchs ausgestorbene Pretoria nach Hause.
Allein für dieses Erlebnis hat sich der Gewaltritt von Ost- nach Südafrika gelohnt.
Donnerstag, 24. bis Montag, 28.6.10 (Riverwood, Pretoria): Jetzt ist Ausspannen angesagt. Die Ohren brauchen erst mal Ruhe.
Außerdem freut sich das Auto nach der vielen Fahrerei, wenn es mal nichts zu tun hat. Dafür sitzen wir abends häufiger bei Elizabeth und Peter und treiben mit unseren Vuvuzelas (Vuvuzelen?) die Deutschen durch die Ausscheidungsspiele. Es sind ein paar wirklich ansehnliche Aufführungen dabei.
Dienstag, 29.6.10 (Riverwood, Pretoria): Von Anettes Mutter aus Hamburg kommen schlechte Nachrichten. Sie ist hingefallen, hat sich einiges gebrochen und jetzt liegt im Krankenhaus.
Wir haben schon länger mit so einer Situation gerechnet, deshalb ist die Entscheidung auch schnell getroffen. Anette wird umgehend zurück fliegen.
“Umgehend” ist in Zeiten der Fußballweltmeisterschaft ziemlich relativ. Im Reisebüro erklärt man uns, dass es zwar stündlich mehrere Flüge von Johannesburg nach Europa gäbe, doch die wären alle bis nach der Weltmeisterschaft ausgebucht. Bleibt nur die Flucht über Windhoek. Von dort ist es kein Problem, nach Deutschland zu kommen.
Anette wird also morgen sehr früh nach Windhoek fliegen, dort kurz Tante und Onkel besuchen und am folgenden Tag die Maschine nach Frankfurt nehmen. Von da sind es nur ein paar Stunden Bahnfahrt nach Hamburg.
Wolfgang wird zunächst noch in Pretoria bleiben, wenn alles gut läuft, kommt Anette in ein paar Tagen wieder runter.
Mittwoch, 30.6.10 (Riverwood, Pretoria): Um drei Uhr klingelt der Wecker!! Als wir uns eine Stunde später ins Auto setzen, stellen wir fest, dass es immer noch drei Uhr ist. Unser Weckerhandy stand noch auf ostafrikanischer Zeit!!! Doch sich noch mal ein Stündchen aufs Ohr zu legen, ist unsinnig. Also fahren wir los.
Die Rushhour hat natürlich noch nicht begonnen, doch es sind um diese Zeit schon erstaunlich viele Autos auf der Piste.
Viel zu früh sind wir am Flughafen. Das Reisebüro hatte zwar gesagt, wir müssten spätestens 5:30 Uhr dort sein. Doch das ist völliger Unsinn, denn die ersten Schalter machen erst um sechs Uhr auf. Also hätten wir locker zwei Stunden später aufbrechen können. Grrr.
Schließlich geht’s für Anette dann doch los und für Wolfgang zurück nach Pretoria. Kurz nach acht ist er wieder in Riverwood.
Ab jetzt also nicht mehr “wir”, sondern nur noch “ich”. Wenn sich die Erkrankung von Anettes Mutter als weniger gravierend herausstellt, kommt Anette noch für ein paar Wochen runter. Ansonsten muss ich das Auto wohl allein nach Namibia bringen.
Nach ihrer Landung in Windhoek erfährt Anette, dass sie noch heute Abend einen Flug nach Frankfurt kriegen könnte. Plätze wären noch frei, entgegen der Aussage des Reisebüros in Pretoria. Also schrumpft der Besuch bei ihren Verwandten auf ein paar Stündchen zusammen.
Am nächsten Morgen ist sie tatsächlich in Frankfurt und am Mittag in Hamburg. Mutter und Tochter sind glücklich.
Donnerstag, 1. bis Samstag, 10.7.10 (Riverwood, Pretoria): Ich warte auf neue Nachrichten aus Hamburg.
In der Zwischenzeit helfe ich Peter im Gestüt. Nein, an die Pferde gehe ich nicht ran, da halte ich respektvollen Abstand. Doch hier gehen hin und wieder ein paar Dinge kaputt, die repariert werden müssen. Der Generator, ein Pferdeanhänger, ein paar Netzgeräte. Zudem wird sich auf dem Gelände ein Pferdetierarzt ansiedeln, dessen Ställe und Räumlichkeiten noch geplant und gebaut werden müssen. Da kommt mir meine Vergangenheit in der Fabrikplanung zu Gute. Ich verdinge mich als Zeichner, Baustatiker, Landvermesser und was ich sonst alles nicht gelernt habe.
So nach und nach erfahre ich, wie Pferde gehalten werden müssen, wie groß ein Stall zu sein hat, mit welcher Neigung die Wassermassen bei Sturzregen abzuleiten sind, was Pferde mögen und was nicht. Die Tierärzte werden hier eine Besamungsstation einrichten, also eine Art Pferdebordell. Deshalb muss auch ein Platz für die Phantomstute eingeplant werden.
Die armen Viecher.
Die neuen Ställe sind nicht wirklich neu, sondern werden ganz in der Nähe abgebaut und umgepflanzt. Auch das will organisiert werden.
Am Ende liegt tatsächlich ein Plan auf dem Tisch bzw. auf dem Computer, wie es mal aussehen soll. Jetzt fehlen nur noch die Bagger, die Betonmischer und die Stahlbauer. Ersteres ist kein grundsätzliches Problem, denn an einer nahe gelegenen Kreuzung steht des öfteren ein Bagger mit einem handgemalten Schild am Straßenrand. “Zu vermieten”. Auf diese Weise verdient sich die Baufirma, die dort gerade ein Haus baut, ein kleines Zubrot. Oder der Baggerfahrer.
Die Nachrichten aus Hamburg sind nicht wirklich gut.
Immerhin sind die Fußballspiele der deutschen Nationalmannschaft eine Augenweide, speziell gegen England und Argentinien. Wenn man vom Ausrutscher gegen den späteren Weltmeister Spanien mal absieht, war es eine sehr ordentliche Veranstaltung. Wenn Afrikaner mitbekommen, dass wir aus Deutschland sind, dann strahlt immer ein Grinsen im Gesicht, der Daumen geht hoch und es fallen unaussprechliche Namen wie “Swinestiger”, “Bädstuber” und “Mörtesäcker”.
Sonntag, 11.7.10 (Riverwood, Pretoria): Heute ist Endspiel. In zweierlei Hinsicht. Die Niederländer grätschen und foulen vergeblich gegen Spanien an (so ruppig haben wir die Niederländer im ganzen Turnier noch nicht erlebt). Konsequenterweise verlieren sie auch.
Und in der Halbzeitpause ruft Anette an. Ihre Mutter ist gestorben. Sie wollte einfach nicht mehr.
Damit sind auch die weiteren Pläne klar. Ich werde den Bus in einer Hauruck-Aktion nach Windhoek fahren und von dort den nächsten Flug nach Deutschland nehmen. Jetzt, unmittelbar nach Ende der Fußball-WM, sind Flüge ab Johannesburg ohnehin illusorisch.
Montag, 12. und Dienstag, 13.7.10 (Riverwood, Pretoria): Mein Flug geht am 19.7. von Windhoek über München nach Hamburg. Am nächsten Tag ist die Beerdigung.
Ab jetzt heißt es: Auto reisefertig machen und Chalet auf Vordermann bringen.
An sich wollten wir hier in der Lodge ja einige wenige Tage verbringen, doch inzwischen sind daraus schon drei Wochen geworden. Wir sind sehr dankbar, dass wir im Haus schlafen durften, denn bei Frost im Auto zu übernachten, ist einfach unafrikanisch. Wir haben schon vor 15 Jahren die Standheizung aus unserem Auto ausgebaut, weil wir das schwere Ding immer unbenutzt mit uns herumgeschleppt haben.
Mittwoch, 14.7.10 (Motsi Lodge, Kanye): Auf zur vorletzten Etappe, heute möglichst noch über die Grenze nach Botswana und dann morgen die letzten 1000 km in einem Rutsch nach Windhoek.
Am Nachmittag ist alles gepackt und das Chalet sauber. Ein großes Dankeschön noch an Elizabeth und Peter und dann geht’s auf die Autobahn. Ja, eine richtige Autobahn. Nicht ganz billig, doch ich komme prima vorwärts. Es ist ein komisches Gefühl, vor der Fahrt selber an alles denken zu müssen. Etwas zum Trinken und zum Essen auf dem Beifahrersitz, die Papiere griffbereit, Navi, Reifendrucküberwachung, Sonnenbrille, und, und, und. “Kannste mal .... holen” geht halt nicht.
290 km und 3 1/4 Stunden später stehe ich an der Grenze. Normalerweise bleibt Anette zur Sicherheit immer in der Nähe des Autos. Jetzt stelle ich mich ganz frech direkt vor den Zoll oder die Passkontrolle, um den Wagen im Blick zu behalten. Es klappt prima, doch es dauert fast eine Stunde, weil hier der Hauptübergang von Südafrika nach Botswana ist.
Es ist lange dunkel, als ich endlich von der Grenze weg komme. Das nächste Camp ist meins!
Die Straße ist perfekt, nagelneu und sehr einsam, weil sie um die ohnehin seltenen Orte herumführt. Keine anderen Autos und keine Spur von einem Camp. Dafür tut mir der Mond den Gefallen, mit waagerecht liegender Sichel direkt auf den Asphalt zu sinken.
Dann, nach 1 1/2 Stunden und mehrfachem erfolglosen Fragen an Tankstellen kommt endlich ein Hinweisschild zu einer Lodge mit Campsite.
Die Lodge ist wie ausgestorben, nur zwei einsame junge Damen langweilen sich an der Rezeption.
Das Camp wird gerade “ein wenig modernisiert” (sprich, alles wird umgebaggert), doch Toiletten und Duschen sind einwandfrei. Leider kann man das Camp zu Zeit nur durch den Hintereingang über einen langen und ziemlich miesen Feldweg erreichen. Damit ich unterwegs nicht verloren gehe, setzt sich der Wärter zu mir ins Auto. Für ihn ist es das große Los, denn er sitzt warm und bequem, ganz im Gegenteil zu seiner Wächterhütte. Hier ist bitterster Winter. Mantel, Sturmhaube und Handschuhe sind unverzichtbar.
Wegen der Umbauten ist der einzige feste und waagerechte Platz der Zuschauerraum vor der Freiluftbühne. Also darf ich direkt vor der Bühne stehen, Vorstellungen sind heut’ Nacht wohl nicht mehr zu erwarten.
Mit der Rezeption hatte ich verabredet, dass sie mir früh um fünf das Tor aufmachen, denn wenn ich nicht rechtzeitig loskomme, sehe ich Windhoek morgen nicht mehr.
Eine heiße Dusche und ein bisschen kaltes Dosenfutter, das muss für heute Abend reichen.
Donnerstag, 15.7.10 (Arebbusch Lodge, Windhoek): Der Wecker klingelt um 4:30 Uhr! Es ist 4° “warm” und stockdunkel. Der Wächter hat während der Nacht gewechselt und der neue weiß nichts vom Öffnen des Tores. Einen Schlüssel hat er auch nicht.
Na prima. “Und wann kommt jemand mit einem Schlüssel?”. “Na, so in 10 Minuten. Oder in einer Stunde”. “Ist kein Schlüssel hier in der Lodge?”. “Nein, den hat der Manager”. “Und wo ist der?”. “Er schläft”. “Wo?”. “Im Privattrakt der Lodge”. “Also hier auf dem Gelände?”. “Ja, aber ich darf ihn nicht wecken”. Nach einer kurzen Unterhaltung konnte ich ihn davon überzeugen, dass es für ihn weniger unangenehm ist, seinen Chef zu wecken. Und siehe da, der hatte auch keinen Schlüssel. Aber er wusste, wo einer war. Nach dem Durchstöbern der Bar hielt der Wächter triumphierend einen dicken Schlüsselbund in die Höhe. Einer von den vielen müsse es sein. Hoffentlich.
Nach vielen erfolglosen Versuchen im Scheinwerferlicht des Busses (der Wächter hatte keine funktionierende Taschenlampe), springt das Tor endlich auf. Eigentlich wollte ich schon 50 km weiter sein.
Ich glaube, hier werden wir nur im äußersten Notfall wieder Station machen.
Nach ein paar Kilometern bin ich auf Asphalt und es geht flott vorwärts. Die Straße ist menschenleer und auch Rinder und Esel sind noch in Kältestarre. Als die Sonne endlich hinterm Horizont erscheint, wird es wärmer und es geht durch den einsamsten Teil des Kalahari-Highways. Alle 50 km ein paar Hütten, vielleicht eine Tankstelle und im übrigen immer geradeaus.
Das frühe Aufstehen zerrt an den Augenlidern. Dagegen hilft bei mir nur, etwas zu essen. Auf dem Beifahrersitz sind Möhren, Gurken, ein paar Scheiben Brot, Wurst- und Käsereste und viel Wasser drapiert. Aber es bleibt für die Augenlider verdammt schwer.
Plötzlich reist mich ein ungesundes Pfeifen aus dem Schlaf. Die Reifendrucküberwachung schläft offensichtlich nicht und bezichtigt den hinteren linken Reifen der akuten Luftlosigkeit. Es ist zwar noch nichts zu sehen, doch da schleicht sich tatsächlich Luft von dannen. Eine Viertelstunde später ist der Übeltäter aus dem Verkehr gezogen. Die körperliche Betätigung hat richtig gut getan.
Einige Kilometer weiter riecht es immer intensiver nach Abgasen. Sollte die Heizung undicht sein? Doch auch deren Abschalten führt nicht zu besserer Luft. Ganz im Gegenteil. Bei geschlossenen Fenstern ist es am schlimmsten. Die Sache ist mir völlig schleierhaft. Also, rechts ran und unters Auto gekrochen.
Doch das war gar nicht mehr nötig. Kaum war ich hinten am Wagen, war die Sache geklärt und beseitigt. Ich hatte beim letzten Stopp vor 50 km die Heckklappe sperrangelweit offen gelassen. Dadurch hat es von hinten die Abgase in den Innenraum gedrückt. Vor vielen Jahren hat sich auf diese Weise mal ein VW-Bus-Fahrer erfolgreich umgebracht. Im Laufe der Zeit war sein Blut mit so viel CO angereichert, dass er quasi innerlich erstickt ist.
Doch anstatt mir über meine Dusseligkeit Gedanken zu machen, verbringe ich die nächsten Kilometer mit der Frage, was wohl alles hinten aus dem Auto geweht worden ist. Nach langem Grübeln wird es immer klarer: nichts. So viel Glück braucht man auch mal.
Inzwischen habe ich auch das Navi ausgeschaltet, denn das Bild war immer das gleiche. Ein gerader Strich von rechts unten nach links oben, sonst nichts. Und die Strecke kennt das Auto ja im Schlaf. Der Fahrer auch.
Normalerweise tanken wir kurz vor der namibischen Grenze immer alles randvoll, die Preise sind in Botswana angenehmer. Doch unterwegs kann ich an einer Tankstelle mit Kreditkarte bezahlen, so dass ich ohne Geldwechsel auskomme. Gut, dass ich da alles voll gemacht habe, denn unsere übliche Tankstelle vor der Grenze ist staubtrocken. Zur Zeit haben die Südafrikaner Urlaub und wohl den letzten Tropfen aus den Tanks abgepumpt.
Die Grenze nach Namibia ist die zweitschnellste in diesem Jahr. Nach einer halben Stunde bin ich durch. Jetzt noch die letzten 300 km bis Windhoek, die erste Hälfte bei strahlendem Sonnenschein, den Rest im Dunkeln.
Ganz kurz vorm Ziel gibt es dann noch ein unerwartetes Problem. Auf einer der Hauptstraßen von Windhoek sind plötzlich mehrere große Kreisverkehre, wo letztes Jahr noch nicht einmal Baustellen waren. Dadurch übersehe ich meine Querstraße zum Camp und lande ganz unvermittelt in einem abgelegenen Wohnviertel, in dem wir noch nie waren. An einer Ampel schiebt sich vorsichtig ein anderes Auto neben mich und der Fahrer fragt mich, ob ich mich verfahren hätte. Ich verneine und halte den Daumen hoch, denn ich hatte aus der Ferne schon den Stadtflughafen von Windhoek gesehen, neben dem das Camp liegt.
Hier werden Sie geholfen.
Kurz vor 21 Uhr stelle ich den Motor aus. 15 Stunden nach der Abfahrt. Der Betriebsstundenzähler sagt: 13,8 Stunden. Für 1030 km, so weit ging es noch nie an einem Tag. Und auch nicht so schnell. 75 km/h im Durchschnitt. Who the hack is Schumacher?
Der zweite Abend mit Dosenfutter.
Freitag, 16. bis Sonntag, den 18.7.10 (Arebbusch Lodge, Windhoek): Die nächsten Tage sind eine Mischung aus Hektik und Entspannung. Das Auto muss fürs Abstellen vorbereitet, die Spedition informiert und mit den entsprechenden Papieren versorgt werden, Bargeld muss her und neue Schlüssel für die Containerschlösser (die anderen schlummern noch in Kenia). Und abends ein gemütliches Abendessen bei Anettes Tante und Onkel.
Am Sonntag Nachmittag geht’s schließlich zu Transworld Cargo, wo unser Container steht. Koffer packen, defekte Busteile zum Mitnehmen ausbauen, die letzten Lebensmittel verschenken. Und schließlich steht der Bus im Container, wo er noch mal für ein paar Stunden als Bett herhalten muss.
Montag, 19.7.10 (Hamburg): Wirklich nur ein paar Stunden, denn um vier klingelt der Wecker, weil die Taxe zum Flughafen für fünf Uhr bestellt ist.
Ein letzter Klaps auf das Heckblech, dann steht die Taxe schon am Tor. Überpünktlich!
Na ja, und der Rest geht wie immer. Der Flieger startet etwas zu spät und kommt pünktlich in München an.
Während des Fluges betätigt sich ein paar Reihen vor mir ein älterer Herr als Alleinunterhalter. Dank Kopfhörer stört er die meisten allerdings nicht sehr. Doch als er dann über unverschämte Leute, die in alten VW-Bussen in Namibia herumkurven, lamentiert, mache ich einen langen Hals. Und tatsächlich, wir kennen ihn. Er meint wirklich uns. Er ist von der Sorte, die an allem und jedem etwas herummeckern müssen, an den Schwarzen, den Managern, den Putzfrauen, den Touristen und natürlich an uns. Wir hatten eine Unterhaltung mit ihm vor ein paar Jahren einfach abgebrochen, weil uns das Gemeckere auf den Geist ging. Seitdem laufen wir uns immer wieder mal in Windhoek über den Weg. Und ignorieren uns.
Ich weiß nicht, ob er mich gesehen hat oder einfach nur gewohnheitsmäßig über alles her zieht. Ist ja auch ziemlich egal.
Bei der Passkontrolle in München schaut der Beamte hinterm Glas plötzlich zu mir hoch, steht auf und drückt mir die Hand durchs Fensterchen. “Alles Gute zum Geburtstag”. Ein echt nettes Willkommen.
Nach einer halben Stunde erfolglosen Wartens am Kofferband werde ich nachdenklich. Dann fällt mir ein, dass die Koffer ja gleich bis Hamburg durchgecheckt worden sind. Da kann ich lange warten.
Der Weiterflug nach Hamburg ist die letzte Etappe. Hier findet morgen die Trauerfeier für Anettes Mutter statt. Das wenig schöne Ende einer langen Reise. Für Anettes Mutter wie für uns.
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