Montag, 24.11.08 (Mabuya Campsite, Lilongwe): Malawi, wir kommen! Bis zur Hauptstadt Lilongwe sind es gut 300 km, doch die ersten 130 sind dieselben wie vor drei Tagen. Damals haben wir viereinhalb Stunden gebraucht, doch vielleicht ist es jetzt ja ein wenig abgetrocknet.
Gegen 11 Uhr kommen wir los und sind tatsächlich vier Stunden später in Chipata, der letzten Stadt vor der Grenze. Sobald man hier irgendwo auch nur kurz anhält, wird man von Geldwechslern regelrecht überfallen. “Give you best price!” Da wir unsere letzten 200.000 Zambia-Kwacha gegen Malawi-Kwacha tauschen wollen, willigen wir bei einem ein. Er will 1:25 tauschen, das ist die Größenordnung, die wir schon vorher in Erfahrung gebracht hatten. Wir haben die Türen verriegelt und die Fenster nur einen Spalt weit offen, denn die Jungs sind mit allen Wassern gewaschen. Durch den Spalt lassen wir uns die 8000 Kwacha hereinreichen und schauen uns jeden Schein einzeln an. Sind alle in Ordnung, doch es sind nur 7000. Als Wolfgang ihm alles wieder zurückgeben will, reicht er die fehlenden tausend nach und bekommt unsere 200.000 aus Zambia. Plötzlich fällt ihm ein, dass er nicht 1:25, sondern nur 1:30 tauschen will und wir noch 50.000 drauflegen sollen. Aber auf der Basis wollen wir nicht mehr und fordern unsere 200.000 zurück. Er reicht sie uns rein, wir zählen nach, es fehlen 50.000. Widerwillig rückt er den Rest auch raus und wir geben ihm seine 8000 zurück. Dann fällt ihm ein, dass er doch auf 1:25 einsteigen will und hält uns die 8000 wieder durchs Fenster. Natürlich hat er schnell 1000 abgezweigt und gehofft, wir fallen drauf rein. Jetzt ist Schluss. Geldwechsler sind sicher keine Waisenknaben, aber die hier sind besonders dreist. Wir behalten also unsere 200.000 (die wir bei der Rückgabe Geldschein für Geldschein genau kontrolliert haben) und tauschen sie später an der Grenze um.
Zwei platte Reifen müssen noch repariert werden. Das hätten wir besser nicht machen sollen, denn es dauert fast zwei Stunden, weil keine passenden Schläuche aufzutreiben sind. Und genau diese Zeit wird uns am Abend an der Grenze fehlen.
Als wir im Dunkeln dort eintreffen, finden wir einen langen Lkw-Stau vor. Ein Trucker gibt uns den Rat, über einen Seitenweg an den Lkws vorbeizufahren. Das klappt auch ganz gut und nach einer halben Stunde sind wir durch. Fast durch, denn wir brauchen ja noch eine Haftpflichtversicherung. Nach der wird hier bei vielen Straßenkontrollen gefragt.
Vor der Versicherungsbude sitzt nur der Nachtwächter. Wir sind 15 Minuten zu spät dran! Ohne Versicherung kommen wir nicht durch die Kontrollen, gegebenenfalls übernachten wir halt direkt vor der Bude.
Ein vorbeikommender Junge ruft auf dem Handy den Agenten an, der aber nicht abhebt. Als Alternative empfiehlt er, zu dem Agenten nach Hause zu fahren. Der Nachtwächter weiß, wo er wohnt, also nehmen wir ihn kurzerhand mit. Es wird inzwischen schon keiner einbrechen.
Nach wenigen Kilometern kommt die erste Straßenkontrolle. Der Nachtwächter erklärt die Situation (das nehmen wir jedenfalls an, denn es war eine lokale Sprache) und wir dürfen weiterfahren.
Es ist eine eklige Fahrt, denn es ist stockdunkel, es regnet und Beleuchtung kennen die wenigsten Verkehrsteilnehmer, und wenn, dann ist sie als Flugabwehr eingestellt. Wir kommen noch an zwei weitere Kontrollstellen, doch der Nachtwächter dirigiert uns bei beiden ohne Anhalten durch. Nach einer Viertelstunde signalisiert er uns, vor einem Haus zu halten. Er steigt aus und kommt fünf Minuten später mit einem jungen Mann zurück. Der spricht recht gut Englisch, ist aber leider nicht der Agent. Doch er hätte jemanden angerufen, der zufällig in der Nähe der Grenze unterwegs sei und mit ihm ausgemacht, dass er uns behilflich ist. Er würde uns im Büro an der Grenze erwarten.
Der Nachtwächter steigt wieder ein und wir tasten uns im Dunkeln durch die Kontrollen zurück zur Grenze. Tatsächlich steht da ein Pkw und das Büro ist erleuchtet. Ein junger Mann empfängt uns. Er sei zwar nicht der Agent, doch er würde alles für uns erledigen.
Nach einer längeren Verhandlung, ob unser Fahrzeug kommerziell sei oder nicht, akzeptiert er ungläubig, dass so ein großes Auto nur für zwei Personen gebaut ist und gibt uns den Pkw-Tarif für rund 30 Euro. Das hätte deutlich teurer werden können, wir hatten Aussagen von bis zu 100 Euro gehört.
Eineinhalb Stunden hat die Grenzprozedur mittlerweile gedauert, die längste seit vielen Jahren. Aber irgendwie war sie typisch afrikanisch. Am Anfang sieht es immer so aus, als ginge gar nichts mehr und am Ende löst sich alles auf wundersame Weise auf. Meistens jedenfalls.
Wir müssen noch 130 km weiter bis kurz vor Lilongwe, dort soll es eine sehr ordentliche Campsite geben. Den zwei nächtlichen Straßenkontrollen zeigen wir stolz unsere Versicherungspapiere und sie wünschen uns sehr freundlich eine gute Fahrt.
Der Weg zum Camp erweist sich als nächtliche Schnitzeljagd. Am Anfang große Hinweisschilder, dann kleinere und schließlich gar nichts mehr. Wir irren ziemlich planlos auf den Feldwegen herum, landen aber schließlich doch vor dem Eingang. Meist öffnet in solchen Fällen gleich der Nachtwächter, hier passiert allerdings gar nichts. Das Tor bleibt zu. Horn und Lichthupe bleiben erfolglos. Nach zehn Minuten reicht’s uns, wir kehren um und fahren weiter in die Hauptstadt.
Wir haben noch maximal einen Liter Benzin im Tank und so gut wie kein malawisches Geld mehr. An einer Tankstelle reicht es gerade noch für drei Liter, damit sollten wir hinkommen.
In Lilongwe fängt schon wieder das Suchen an. Wir finden zwar sofort die richtige Straße, aber haben keine Hausnummer des Camps. Also ein paar Kilometer rauf und wieder runter. Nichts! Dann klappern wir die Seitenstraßen ab, vielleicht ist der Eingang dort. Und so ist es. Das Camp heißt heute zwar anders als in unserem Buch, doch der Nachtwächter macht uns sofort auf und der Manager erklärt uns, wo wir uns hinstellen können. Auch die Campsuche war wieder mal typisch afrikanisch.
Es ist inzwischen nach zehn Uhr und wir sind platt.
Dienstag, 25.11.08 (Mabuya Campsite, Lilongwe): Heute brauchen wir dringend Geld, dann Benzin und ein paar Lebensmittel.
Am Vormittag rollen wir in die Stadt und auf dem Wege dahin gibt’s die nächste Polizeikontrolle. Diesmal nicht die Versicherung, sondern Führerschein, Bremsleuchten, Warndreiecke und - wir hätten es ahnen müssen - die verdammten reflektierenden Aufkleber. Wir hatten sie noch nicht dran geklebt, weil unser Auto seit Lusaka entweder nass oder matschig war. Meistens beides. Doch die Polizistin ist gnadenlos. Wenn wir nicht an Ort und Stelle die Dinger dranbappen, müssen wir Strafe bezahlen. 5 Euro für vorn, 10 für hinten. Also holen wir die Klebestreifen und eine Schere raus, schneiden vier kurze Stücken ab und kleben sie auf die dreckigen Gummiwülste der Stoßstangen. Die werden zwar wieder runterfallen, aber das ist ihr egal. Und uns auch.
Geldwechsel und Tanken gestalten sich problemfrei. Selbst zwei passende Schläuche kriegen wir sofort, natürlich bei einem Inder, denn die verstehen einfach, wie man Geschäfte macht. Ohne Inder läge hier manches im Argen.
Außerdem gönnen wir uns eine richtig teure Wagenwäsche mit dem Dampfstrahler. Die einzigen schmutzigen Stellen sind die unter den Aufklebern ...
Am Nachmittag zeltet neben uns ein Motorradfahrer aus Neu-Ulm. Er ist seit ein paar Jahren in Etappen von Kairo hierher unterwegs, macht also fast dasselbe wie wir, nur in umgekehrter Richtung.
Es wird ein langer Abend mit vielen kühlen Getränken.
Mittwoch, 26.11.08 (Nkhudzi Lodge, Malawisee): Wir verabschieden uns von dem Neu-Ulmer, er fährt da hin, wo wir hergekommen sind, und machen uns selber auf den Weg zum Malawisee. Vorher konnten wir noch einige Mails loswerden und unsere Website aktualisieren. In einem indischen Internet-Cafe.
Nach zwei Stunden biegen wir von der Hauptstraße ab und klettern in einer waghalsigen Serpentinenstraße fast 1000 m runter. Die Straße wurde von der EU finanziert und ist in hervorragendem Zustand. Extrem enge Kurven wechseln sich mit extrem weiten Ausblicken ab. Nach einer halben Stunde Kurbelei sind wir unten und brausen auf weiterhin neuer Straße zum Malawisee.
Ein kleines Schild weist zu unserer Lodge. Der Feldweg führt durch ein paar Dörfer. Die Leute winken freundlich und rufen “Hallo Musungu”. Hallo Weißer. Wenn wir nicht ganz sicher wären, dass wir am Anfang der Piste das Schild zur Lodge gesehen hätten, dann wären wir umgedreht. Gerade, als wir sicher waren, uns zwischen den Hütten verfranzt zu haben, taucht wieder ein Schild auf und wir sind da.
Wir werden sehr freundlich empfangen, man zeigt uns die große Wiese unter einem riesigen Jacarandabaum direkt am Strand und wir beschließen, dass das ein Paradies ist, wo wir ein paar Tage bleiben werden. Wir sind die einzigen Gäste und haben die Bar, das Restaurant und das Meer für uns.
Während des Essens im Restaurant ruft uns eine junge Schwarze “Alles klar?” zu. Viel mehr Deutsch kann sie noch nicht. Sie ist mit einem Deutschen zusammen und wohnt gleich um die Ecke. Tatsächlich kommt “Helmut”, ein Kunstmaler später noch vorbei. Er stammt aus Oberhausen, war lange Bergmann, dann Galerist und jetzt malt er hier und lebt von der Bergmannsrente und seinen Bildern. Wir werden ihn morgen mal besuchen.
Donnerstag, 27.11.08 (Nkhudzi Lodge, Malawisee): Jedes irdische Paradies hat irgendwo einen Haken. Dieses auch. Wir sind nämlich nicht die einzigen Gäste, sondern wir sind mitten in einer Millionenstadt.
Es gibt keinen Quadratzentimeter, wo keine Ameisen sind. Sie beißen zwar wenig, sind aber lästig, weil sie überall herumkrabbeln. Leider haben wir das abends nicht gemerkt, jetzt ist die Invasion in unser Auto bereits in vollem Gange. Sie klettern von den Grashalmen auf unsere Schmutzfänger und sind mit ihren Kampftruppen schon bis aufs Dach vorgedrungen. Meist bewegen sie sich gedeckt vorwärts, aber wenn es etwas zu fressen gibt, kommen sie in Scharen raus. Wir sind entsetzt, was sich da über Nacht um uns herum zusammengebraut hat.
Anstatt gemütlich zu frühstücken werden wir in einen Guerillakrieg verwickelt. Wir metzeln sie in den ersten eineinhalb Stunden nieder, wo immer wir sie sehen. Am Anfang zählen wir noch die Opfer, doch nach ein paar Minuten haben wir schon die 1000 überschritten und hören auf zu zählen. Am Ende des Krieges (der sich noch über mehrere Tage hinziehen wird) werden es mehrere tausend Opfer sein.
Unsere Taktik besteht darin, sie in Sicherheit zu wiegen, ihnen dann plötzlich die Deckung wegzureißen und sie flächendeckend platt zu hauen. Dann die Deckung wieder zurücklegen, damit sich darunter die versprengten Truppen wieder sammeln können und nach fünf Minuten das gleiche Spiel.
So nach und nach kennen wir ihre Autobahnen und Verstecke und dezimieren sie systematisch. Nach einer halben Stunde hat Wolfgang am Zeigefinger (“der Killerfinger”) eine Blase und muss mit den anderen Fingern weiterkämpfen.
Zum Frühstück ist der Kampf zwar noch nicht entschieden, aber wir haben sie bis auf kleinere Trupps aufgerieben. Dabei hat sich unsere Autofarbe als strategischer Vorteil erwiesen. Schwarze Ameise auf gelbem Grund ist fast wie eine Signalfarbe.
Danach mähen wir mit einer Schere ihre Nachschubwege und sprühen die Reifen mit einer Soße ein, die uns die Einheimischen gegeben hatten. Trotzdem werden wir den Verdacht nicht los, dass sie irgendwo doch noch einen versteckten Weg haben, denn in den nächsten Stunden und Tagen werden es wieder mehr.
Ansonsten vergammeln wir den Tag bei wolkigen 28 °C und gelegentlichem Bad im See.
Inzwischen hat sich noch eine zweite Terrorgruppe eingestellt. Kleine, harmlose, aber ungemein lästige Fliegen. Gegen sie haben wir keine brauchbare Taktik gefunden.
Von diesen “Kleinigkeiten” abgesehen ist es wirklich ein Idyll hier. Über uns sitzen Seeadler auf einem großen Baobab-Baum. Vor uns tauchen Kormorane und Schlangenhalsvögel nach Beute. Auf dem See dümpeln zahlreiche Einbäume mit Fischern. Rechts und links zieht sich der Sandstrand bis zum Horizont. Und rings um die Lodge breitet sich ein typisches afrikanisches Hüttendorf aus. Ein paar Jungs kommen vorbei und wollen für uns Musik machen. Kleine schwarze Kinder winken “Hallo”, erst etwas zaghaft, nachdem wir geantwortet haben, um so heftiger. Aus jeder Richtung kommt ein anderes Geräusch. Zikaden, Vögel, Wellen, Frösche. Ist halt ein idyllisches Plätzchen. Wenn die kleinen Tierchen nicht wären ...
Freitag, 28.11.08 (Nkhudzi Lodge, Malawisee): Heute morgen ist endlich mal Sonnenschein, die letzten Tage war es überwiegend stark bewölkt.
Wir bezahlen unsere Rechnung und wollen uns gegen Mittag auf den Weg nach Mocambique machen. Doch wir stellen bald fest, dass sowohl die Ameisen als auch die Fliegen die Sonne nicht besonders mögen und bei weitem nicht so lästig sind wie gestern. Das macht das Idyll ein bisschen idyllischer und wir beschließen, einen Tag dran zu hängen.
Bei einem Rundgang durchs Dorf schauen wir bei Helmut rein. Er lebt in einem “Einraumhaus” mitten zwischen den Hütten, hat seit kurzem elektrischen Strom und wird bald sogar einen Telefonanschluss bekommen, die Gräben für die Kabel wurden schon vor längerer Zeit gebuddelt. Zum Einkaufen oder zur Bank muss er ins 50 km entfernte Mangochi fahren. Da er aber kein eigenes Auto hat, ist das eine ganze Tagesreise mit Fahrrad und Bus bzw. per Anhalter. Da wir morgen früh ohnehin nach Mangochi müssen, werden wir ihn mitnehmen.
Ansonsten schauen wir den Fischern beim Flicken ihrer Netze zu, den Frauen beim Wäschewaschen am Strand (Freitag ist wohl Waschtag) und tummeln uns im angenehm temperierten Wasser, machen Urlaub vom Urlaub. Wenn er nur einen Tag dauert, dann ist Strandurlaub durchaus genießbar.
Samstag, 29.11.08 (Jesus e Bom Camp, Tete): Das Wetter ist heute nicht mehr ganz so schön wie gestern, wir werden also nicht länger hier bleiben und statt dessen über die Grenze nach Mocambique fahren. Auf unseren Karten können wir die genaue Entfernung nur schlecht abschätzen, aber so um die 350 km bis zur Grenze und dann noch mal 130 bis Tete, der ersten größeren Stadt, dürften es wohl sein. Wenn alles gut geht und wir früh genug in Tete eintreffen, werden wir vielleicht noch weitere 130 km bis Songo am Cahora Bassa Staudamm dranhängen.
Schaun ma ma.
Die ersten 30 km gehen richtig gut, dann kommt die angekündigte Baustelle. Leider heißt das wieder mal, runter vom Straßendamm und rauf auf eine richtig schön kaputt gefahrene Behelfspiste. Da es hier offensichtlich geregnet hat, sind die Matschlöcher ziemlich groß und werden immer größer. Warum haben wir vor 200 km überhaupt das Auto waschen lassen?
Normalerweise fährt man langsam, wenn man sich im Matsch begegnet. Nicht so ein Lkw, der unserer rechten Seite bis auf die halbe Höhe eine Fangopackung verpasst. Danach ist’s eh egal.
Der Fahrer eines Geländewagens signalisiert uns von der anderen Seite eines Wasserloches, dass wir besser außen herum fahren sollten. Zu tief. Wir riskieren es nicht und wühlen uns in mehreren Anläufen mit viel Schieben zurück auf den Straßendamm. Nachdem wir es vorgemacht haben, machen es ein paar andere nach. Die Bauarbeiter werden sich am Montag über die neu geschaffene Zufahrt wundern. Wir bleiben auf dem Damm, bis uns ein quer gelegter Baumstamm wieder zurück auf die Piste zwingt.
Anstatt eine Stunde hat uns die Strecke das Doppelte gekostet.
Auf der Weiterfahrt sehen wir in einem Dorf, wie eine kleine Ziegenherde verschnürt und auf das Dach eines Minibusses gepackt wird. Der Bus ist etwa so groß wie unserer und transportiert neben den Ziegen auch noch zwanzig oder mehr Passagiere samt deren Gepäck. Sind die Teile zu sperrig, hängen sie draußen dran. Kanister, Körbe, Matratzen, Kühlbehälter. Größere Fische werden gerne einzeln an die Scheibenwischer gebunden. Unterwegs kommen diese Busse normalerweise im Sturzflug an uns vorbei geschossen, denn die Fahrer werden offensichtlich für riskante Einlagen bezahlt. Doch der mit den Ziegen überholt uns nicht mehr, war wohl doch zu schwer.
An einer Tankstelle verspricht man uns, dass die Straße ab jetzt besser würde.
Wird sie. Die nächsten 200 km schaffen wir in drei Stunden und sind jetzt in einer sehr schönen Berglandschaft unterwegs. Große Felsen, fruchtbare Täler und schon ziemlich viel Grün. Jede halbwegs waagerechte Stelle ist mit Mais bestellt, manche Äcker sind nur wenige Quadratmeter groß.
Um eins sind wir an der Grenze, deutlich schneller als gedacht.
Zwischen den beiden Grenzposten liegen fünf Kilometer. Als wir auf der Seite von Mocambique ankommen, kramt ein gelangweilter Grenzer in aller Gemächlichkeit seine Utensilien hervor. Das eingetrocknete Stempelkissen, den Stempel ohne Griff, die Formulare, den Kuli. Dann stellt er noch einen neuen Klingelton auf seinem Handy ein und wendet sich schließlich seinem Job zu. Er blättert ausgiebig in unseren Pässen und schon nach zwanzig Minuten stellt er fest, dass wir keine Ausreisestempel aus Malawi haben. Also alle Stempel und Formulare wieder eingepackt und uns die fünf Kilometer zurückgeschickt.
In Malawi geht es ruckzuck, nach ein paar Minuten sind wir durch und fahren wieder zum Gelangweilten. Der kramt wieder alles hervor und fängt wieder an zu Blättern (leider ist Anettes Pass fast voll, so dass er ausreichend Lektüre hat). Dann fragt er, warum wir uns die Visa nicht vorher bei der Botschaft besorgt hätten. Am liebsten hätten wir geantwortet “Damit Du endlich mal Deinen Hintern bewegen musst”. Aber natürlich sagen wir stattdessen etwas von kurzfristiger Entscheidung.
Dann zieht er sich zur Beratung mit sich zurück. Vielleicht schmökert er auch noch ein bisschen in unseren Pässen. Jedenfalls schließen wir in der Zwischenzeit die nötige Haftpflichtversicherung ab, tragen uns in das ominöse große Buch ein und bekommen den Stempel in unser Carnet. Alles sehr freundlich und zügig. Außerdem tauschen wir noch ein bisschen Geld um und halten ein paar Schwätzchen mit den Grenzern.
Kaum ist eine weitere halbe Stunde vergangen, bekommen wir vom Gelangweilten unsere Pässe mit mehreren Stempeln und Gebührenmarken zurück. Der Preis dafür: 50 US$ oder 340 Rand (30 Euro). In Rand ist es deutlich günstiger, da die Behörden hier noch nicht gemerkt haben, dass der Dollar wieder gestiegen ist. Wolfgang gibt ihm 400 Rand, bekommt eine Quittung über 340 und ein grinsendes “Now you can go”. Nix da, der faule Hund kriegt keinen Penny ohne Rechnung. Das Grinsen wirkt ein wenig verbissen, als er missmutig die fehlenden Scheine auf den Tresen wirft.
Der Zöllner am Schlagbaum wirft nur einen kurzen Blick in unser Wohnzimmer, bedankt sich und wünscht uns eine sehr schöne Reise.
Mocambique ist sichtbar ärmer als Malawi (und das gehört schon zu den ärmsten der Welt). Die Menschen sind hier nicht ganz so kindlich freundlich wie in Malawi, sondern eher distanziert freundlich. Portugiesisch dominiert die öffentlichen Texte, aber viele verstehen auch ein bisschen Englisch.
Die portugiesischen Kolonialherren waren sicher die schlimmsten von allen. Sie haben ihre Kolonien maximal ausgebeutet und nichts für die Infrastruktur oder die Bildung getan. Ganz im Gegenteil, als sie nach der Unabhängigkeit das Land verließen, haben sie möglichst viel zerstört. Der später folgende Bürgerkrieg hat über eine Million Tote gekostet und das Land vollends verwüstet. Erst das Ende der Sowjetunion und vor allem der DDR und des Apartheidsystems in Südafrika haben dem Konflikt die Nahrung entzogen. Seitdem geht es bergauf. Nur langsam, weil hier die Großmächte nur wenige Interessen haben, aber stetig, doch vor allem städtisch. Auf dem flachen Lande wie hier in der abgelegenen Tete-Provinz kommt der Wohlstand nur spärlich an.
Wir fahren durch viele ärmliche Dörfer, in denen das Herstellen von Holzkohle offensichtlich die einzige Erwerbsquelle ist. Entsprechend kahl ist die Umgebung der Dörfer und die Wege zum Holz werden immer länger. Überall sieht man Radfahrer mit Stämmen oder großen Holzbündeln auf der Straße. Dagegen scheint das Wasserholen Sache der Frauen zu sein. Zwanzig oder sogar dreißig Liter auf dem Kopf sind normal, manchmal auch mehr. Das muss zuweilen über mehrere Kilometer durch die sengende Sonne geschleppt werden. Immerhin gibt es ein paar Brunnen mit modernen Handpumpen.
Kurz vor der großen Hängebrücke über den hier fast einen Kilometer breiten Sambesi biegen wir vom Asphalt ab, denn hier soll ein kleines Camp am Ufer sein. Wenn wir nicht ein Hinweisschild gesehen hätten, wären wir auf dem schmalen Weg sicher nicht weiter gefahren, aber das hatten wir ja schon mal. Er führt mitten durchs Dorf, die Einwohner schauen uns an, als wollten sie fragen “Was wollt Ihr den hier?”. Dann ein kleines Schild und ein großes Tor und schon stehen wir bei “Jesus e Bom”, Jesus ist gut. Ein kleiner, sehr einfacher kirchlicher Campingplatz. Wir sind die einzigen Gäste und stehen auf einer Wiese am Sambesiufer mit Blick auf das gegenüber liegende Tete. Die Duschen und Toiletten sind zwar nur Schilfmattenverschläge, doch alles funktioniert, es gibt sogar warmes Wasser. Doch das ist bei abendlichen 37°C auch kaum zu vermeiden.
Tete galt in der Kolonialzeit als der Hitzepol der Südhalbkugel. Temperaturen von über 50°C um Weihnachten machen das Leben hier zur Qual. Heute hatten wir nur läppische 42°C. Leider ist es abends windstill, so dass das Schlafen nicht gerade ein Vergnügen ist. Außerdem ist dank der Flussnähe ein Moskitonetz nötig, was die Luftbewegung zusätzlich behindert.
Über den Fluss hört man bis zum frühen Morgen laute Discomusik. Das Samstagabendnachtleben wird erst beendet, als uns morgens die Hähne wecken.
Sonntag, 30.11.08 (Ugedzi Tiger Lodge, Songo): Um halb sieben sind es schon wieder 31°C. In Deutschland hätten wir bei diesen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit wohl kein Auge zugemacht, hier ging es erstaunlicherweise recht gut.
Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von “Jesus e Bom”, kurven noch kurz durch dass sonntäglich vergitterte Tete auf der Suche nach einem offiziellen Geldwechsler und einem Supermarkt. Beides Fehlanzeige, nur ein paar halbgare Geldwechsler an der Straße, die mit Geldscheinen wedeln, doch nach denen steht uns nicht der Sinn.
Auf nach Songo, wo die Leute zum Tigerfisch-Angeln hinfahren und wir wegen des Cahora Bassa Staudammes.
Die Asphaltstraße ist gut, doch die Landschaft wird immer unwirtlicher. Rings um die Hütten ist praktisch alles abgehackt, was zu Holzkohle gemacht werden kann. Viele gelegte Buschbrände haben große kahle Flächen geschaffen, auf denen für wenige Jahre ein kärglicher Ackerbau möglich ist, dann muss wo anders gebrannt werden und die ausgelaugten Areale werden sich selbst und der Erosion überlassen.
Es ist eine wirkliche schlimme Umweltzerstörung, die hier stattfindet, doch welche ernsthaften Alternativen haben die Leute, die hier leben (müssen)? Es gibt keine Arbeit, außer auf dem Acker, Holz ist der einzige Brennstoff und das eigene Leben viel zu kurz, um die langfristigen Schäden für die Umwelt in den Vordergrund zu stellen. Mit europäischen Maßstäben kommt man hier nicht viel weiter, zumal wir Europäer uns ja auch fragen lassen müssen, was wir mit unserem eigenen Urwald gemacht haben. Inzwischen finden wir den Kunstwald ja auch ganz schön und nennen ihn “Schwarzwald” oder so.
Mittags treffen wir in der Ugedzi Tiger Lodge ein. Die Lodge scheint ein beliebtes Wochenendausflugsziel zu sein, vornehmlich zum Angeln. Tigerfisch ist wohl die große Attraktion, ein Raubfisch, der über 15 kg schwer werden kann. Wegen seiner vielen Gräten wird er kaum gegessen, erlaubt aber eindrucksvolle Fotos.
Nach dem Abendessen im Restaurant leert sich die Lodge zusehends, das Wochenende ist vorbei.
Wir stehen zwischen beeindruckenden Baobab-Bäumen auf einer Wiese, leider ohne Blick auf den See.
Montag, 1.12.08 (Ugedzi Tiger Lodge, Songo): An sich wollten wir uns heute den Staudamm anschauen, aber aus unerfindlichen Gründen passt es der Firma nicht und wir werden auf morgen früh vertröstet.
Es ist sowieso mal wieder ein Putz- und Repariertag fällig, wenngleich die Aktionen bei 42°C nicht in Hektik ausarten
Während Wolfgang den Motor einstellt, kommt ein älterer Einheimischer vorbei und freut sich über das Motorgeräusch. Einen luftgekühlten habe er seit langem nicht mehr gehört. Er hätte jahrzehntelang selber einen besessen, jetzt muss er leider Toyota fahren. Aber er überlegt, seinen alten VW-Bus wieder herzurichten, den könne man wenigstens noch selber reparieren. Dann wird fachgesimpelt, denn er kennt sich wirklich gut aus.
Außerdem erklärt er uns, dass die Samen des Baobabs den höchsten Vitamin C-Gehalt aller Früchte haben. Wir knacken eine und innen ist sie mit einer Art trockenem weißen Baiser gefüllt. Das Zeug muss man in Wasser einlegen, dann ergäbe es einen köstlichen Saft. Wir nehmen zwei Früchte mit und werden es später mal probieren.
Als er geht, bedankt er sich überschwänglich.
Am Abend kommt plötzlich kräftiger Wind auf und es regnet ein paar Millimeter. Zur wirklichen Abkühlung reicht es nicht, aber drei Grad sind besser als nichts.
Dienstag, 2.12.08 (Ugedzi Tiger Lodge, Songo): Um 9 Uhr sollen wir am Eingang zum Staudamm sein, dort würde uns George abholen und uns alles zeigen. Wir sind pünktlich da, zusammen mit den beiden Managern der Lodge. Doch wer nicht kommt, ist George. Um 10:30 Uhr erwischen wir ihn am Telefon, er müsse noch auf ein paar Leute vom Verteidigungsministerium warten (warum geben sich manche Leute bei ihren Ausreden nicht ein bisschen mehr Mühe?). Doch um 11:30 wäre er sicher da.
Bis 13 Uhr schmoren wir in der Sonne, dann haben wir ihn wieder am Telefon. Um 14:15 Uhr wäre er nun wirklich da.
In der Zwischenzeit fahren wir schnell nach Songo rein und tauschen Geld. Von schnell fahren kann allerdings nicht die Rede sein, denn das recht ansehnliche kleine Städtchen liegt 400 m höher.
Wir sind rechtzeitig wieder am Tor. 20 Minuten später beschließen wir, noch eine halbe Stunde zu warten und dann die Sache abzublasen. Und schon kommt George angefahren. Pünktlich 9:00 Uhr, African Time. “I’m sorry for the little delay”.
Er bringt uns an die Dammkrone und wir dürfen 100 m auf den Damm hinaus.
Zur Zeit senken sie den Wasserspiegel des Sees massiv ab, um Reserven für die in zwei Monaten kommende Flutwelle der Regenzeit zu haben. Deshalb sind einige der Überlaufschleusen geöffnet und das Wasser schießt in einem breiten Strahl 100 m weit ins Sambesital. Im Laufe der Jahre hat es eine 80 m tiefe Auswaschung in den Felsen gefressen und man hofft, dass das den Damm nicht gefährdet.
Der See ist 270 km lang und damit einer der größten Afrikas. Er wurde aufgestaut, um Südafrika mit Strom zu versorgen, doch kaum konnte man liefern, wurden die bisherigen Kolonien unabhängig und später begann auch noch der Bürgerkrieg in Mocambique.
Seit ein paar Jahren laufen die Turbinen und liefern Strom über eine von einer großen deutschen Elektrofirma gebaute Fernleitung nach Johannesburg.
Nach 15 Minuten bittet uns George zurück in sein Auto und setzt uns bei unserem Bus ab. Wir dachten, jetzt geht es erst richtig los und sind ziemlich verdutzt. Das war die mit Abstand lausigste Führung durch ein Unternehmen, die wir bis jetzt erlebt haben. Eigentlich eine Frechheit. Vielleicht lässt sich die Mentalität des alten sozialistischen Staatskonzerns doch nicht so ohne Weiteres abschütteln. Aber warum sagen sie dann nicht klipp und klar “Wir wollen keine Besucher, basta”.
Wir gucken jetzt immer vorher in die Steckdose, ob der Strom von Hidroelectrica Cahora Bassa kommt. Wenn ja, nehmen wir ihn nicht.
Auf dem Rückweg schauen wir noch einmal von einem Aussichtspunkt runter auf den See, als uns ein Einheimischer anspricht, ob wir ihn mitnehmen können. Normalerweise haben wir eine eiserne Regel: wir nehmen jeden mit, solange er nicht männlich zwischen sieben und siebzig ist. Doch wir werden weich, als wir sehen, wie der arme Kerl in der Sonne schwitzt. Mit Händen und Füßen (wir können kein Portugiesisch, er kein Englisch) bekommen wir heraus, dass er in der Nähe unserer Lodge arbeitet. Anette bietet ihm erst mal etwas zu trinken an, dann nehmen wir ihn die letzten vier Kilometer mit. Als er schließlich aussteigt, strahlt er bis zu den Ohren und bedankt sich immer wieder.
Das war unsere gute Tat für heute.
Da es jetzt schon zu spät zur Weiterfahrt ist, bleiben wir noch eine Nacht hier, dann kommen wir morgen bequem bis ins 500 km entfernte Chimoio. Der Lodgemanager bietet uns als kleinen Ausgleich für den Reinfall mit dem Staudamm an, für den Preis des Camps in ein Chalet zu gehen. Anette nickt sofort, Wolfgang wehrt sich nicht sehr.
Das Chalet ist recht nett, mit Klimaanlage und Propeller über’m Bett. Für die Nacht heißt das, entweder laut und kühl oder leise und stickig. Wir wählen den Mittelweg.
Da die Betten nicht sehr lang sind und über ihnen die üblichen kegelförmigen Moskitonetze hängen, hat Wolfgang noch eine weitere Wahl. Entweder er deckt sich unterm Moskitonetz zu und die Füße qualmen oder er deckt sich nicht zu, das Moskitonetz liegt direkt auf den Füßen auf und die Mücken fressen sie ihm weg.
Es ist keine gute Nacht, jedenfalls für Wolfgang.
Mittwoch, 3.12.08 (Selva Lodge, Chimoio): Kurz nach 8 Uhr brechen wir auf und in zehn Stunden sollten wir am Ziel sein. Wir wissen von Einheimischen, dass die Straße recht gut ist, lediglich ein kurzes Stück von 70 km sei entsetzlich und nicht unter zwei Stunden zu machen.
Es stimmt, das Stück ist tatsächlich entsetzlich. Manche Schlaglöcher sind badewannengroß und so tief, dass wir mit dem Fahrzeugboden aufsetzen. Trotzdem haben wir es noch vergleichsweise gut getroffen. Die meist schwer beladenen Lkws müssen extrem langsam durch die Löcher schleichen, sonst brechen sie auseinander. Für sie gibt es auch keinen Weg drumherum. Die Pkws und wir finden zwar oft noch eine halbwegs intakte Spur, doch wenn mal gar nichts mehr geht, denn setzen die Pkws schon lange vor uns auf. Im Ergebnis heißt das, wir überholen gnadenlos alles, was sich uns in den Weg stellt. Außer Geländewagen.
Am Ende sind tatsächlich zwei Stunden dafür draufgegangen.
Unterwegs haben wir eine kuriose Polizeikontrolle. Die übliche Vorwarnung mit Hütchen auf der Straße und Stoppschild, doch der am Straßenrand sitzende Polizist liegt mit dem Kopf auf dem Tisch und schläft den Schlaf der Gerechten. Wir fahren ganz leise an, um ihn nicht bei seiner schweren Arbeit zu wecken.
Am späten Nachmittag stehen wir in einer Lodge mit Camp, die laut Führer schon vor zwei Jahren im Bau war, und fragen nach einem Platz. Nein, sie wären noch nicht fertig (obwohl etliche Teile schon wieder verfallen aussehen), aber ein paar Kilometer weiter wäre etwas Passendes.
Es ist ein Ausflugsrestaurant mit Pool und viel Grün. Und einer Wiese um einen riesigen ausladenden Baum, wo wir uns hinstellen können. Die Krone hat gut und gerne 30 m Durchmesser.
Nach und nach schläft der Verkehr auf der vorbeiführenden Straße ein, denn die Grenze ins nahegelegene Zimbabwe ist ab 18 Uhr geschlossen und wir haben eine recht angenehme Nacht bei leichtem Wind und gut 30°C.
Donnerstag, 4.12.08 (Straße am Strand, Beira): Von hier sind es noch 200 km bis Beira, alles Asphalt, alles bergab. Mittags sind wir da.
Auf dem ersten Blick hat man den Eindruck, Beira wäre ziemlich vergammelt und vermodert. Auf dem zweiten Blick erkennt man, das ist tatsächlich so. Die Hausruinen sind schwarz, die Fenster fehlen, überall liegt Müll, doch die Häuser sind voll bewohnt. Es gibt nur wenige Gebäude, die neu sind oder gepflegt aussehen. Schmutziges Schwarzgrau ist die dominierende Farbe, nur unterbrochen von der allgegenwärtigen Reklame der beiden konkurrierenden Mobiltelefonanbieter Und natürlich vom wuchernden tropischen Grün. Wir können uns an keine Stadt erinnern, in der der Verfall so allgegenwärtig ist. Besonders die sozialistischen Plattenbauten wirken brutal.
Wir wollen in Beira nur herausbekommen, ob es hier Möglichkeiten gibt, den Bus auf kurzem Wege nach Madagaskar zu verschiffen.
Vielleicht haben wir im Hafen Glück. Wir finden einen Parkplatz vor dem größten und freundlichsten Gebäude, vielleicht sind hier ja Speditionen untergebracht. Die riesige Eingangshalle ist fast menschenleer. Auf der anderen Seite kann man durch die Glaswände Eisenbahnwagen sehen. Der Bahnhof. Es sieht nicht so aus, als würden hier noch Züge fahren, trotzdem ist das Gebäude bestens in Schuss. Seltsam.
Schließlich finden wir doch noch eine Spedition. Da kann man uns zwar nicht helfen, doch ein älterer Herr erklärt uns freundlich, wo wir mehr Erfolg haben: direkt bei den Reedereien. Sie liegen um die Ecke, ebenfalls in sauberen Gebäuden, doch dort ist bis 14 Uhr Mittagsruhe eingekehrt.
Wir werden bis dahin mal nach einem Platz für die Nacht suchen. Ein richtiges Camp gibt es in Beira nicht (wer bleibt schon freiwillig hier), doch bei einem Strandrestaurant soll es eine einfache Stellmöglichkeit geben.
Auf dem Wege dorthin zieht unser Bus plötzlich kräftig nach links. Plattfuß vorn. Während wir unter interessierter Beobachtung durch die Anwohner unseren Reifen wechseln, hält hinter uns ein Geländewagen. “Willkommen in Beira! Gibt’s Probleme?” Zwei deutsche Ärzte, die seit ein paar Jahren hier als Entwicklungshelfer arbeiten. Sie bieten uns an, heute Nacht bei ihnen zu stehen. Das Campproblem wäre also gelöst. Außerdem geben sie uns den Tipp für ein ordentliches Restaurant am Strand. Wir landen also im “Club Nautico de Beira”. Dort muss fürs Restaurant tatsächlich Eintritt bezahlt werden, doch das Essen und die Getränke sind gut.
Am Nachmittag lässt sich Wolfgang in einer der beiden in Frage kommenden Reedereien die Sachlage erklären. Eine Direktverbindung nach Madagaskar gibt es nicht, alles geht über Durban in Südafrika. Die Kosten lägen bei ca. 3500 US$ One Way und es würde zwei bis vier Wochen dauern. Direktflüge nach Madagaskar gäbe es auch keine, da müsste man erst ins 1000 km entfernte Maputo.
Die erste Reederei ist also ein Totalausfall, denn dann wäre es viel sinnvoller, direkt nach Durban zu fahren.
Auf zur zweiten. Dort wird Wolfgang gleich von der Empfangsdame zu einem Sachbearbeiter gebracht, der sich geduldig die Fragen anhört und dann antwortet: ”Sie sind hier beim World Food Programme der UNO gelandet!”. Die haben sich im Gebäude der Reederei nur eingemietet, bringen Wolfgang dann aber zum richtigen Eingang.
Hier gibt’s keine Sofortauskunft, sondern man nimmt die Fragen auf und wird sie den Kollegen in Durban zuschicken. Schon morgen soll es eine Antwort geben. Also auch hier geht’s vermutlich über Durban.
Im nächsten Supermarkt ersteht Anette eine schöne Flasche Wein, die wir heute Abend als Gastgeschenk mitnehmen wollen. Da wir uns dort erst für den Sonnenuntergang angekündigt haben, kreuzen wir noch ein bisschen quer durch die Stadt.
Es ist brütend heiß bei maximaler Luftfeuchtigkeit, doch bei leichtem Fahrtwind kann man es aushalten. Trotzdem ist nach kurzer Zeit alles klebrig.
Der Verfall der Stadt ist wirklich deprimierend. Ruinen, Abfall und Armut überall. Doch die Leute sind ziemlich fröhlich, winken und grüßen. Oder starren uns mit offenen Mündern an, als wären wir Besucher von einem anderen Stern. Das einmal prächtige Grand Hotel ist jetzt eine riesige Wohnruine. Nicht unbedingt kaputt, aber reduziert auf das unbedingt nötige. Wände, Dächer, Öffnungen für Fenster und Türen. Alles schimmelig schwarz, aber bis auf den letzten Platz ausgebucht. Nicht von Gästen, sondern von Leuten, die keine andere Bleibe gefunden haben. Es müssen Tausende von Menschen sein, die hier jetzt hausen.
Pünktlich zum Sonnenuntergang sind wir an der angegebenen Adresse, ein Haus direkt am Strand. Wir dürfen heute Nacht auf der Straße vorm Haus parken, dort werden wir vom Nachtwächter bewacht. Nach einer kurzen Unterhaltung mit den beiden verabschieden sie sich von uns, wünschen uns noch einen schönen Abend und verschwinden in ihrem Haus.
Wir gucken uns verdutzt an. Na bitte, dann eben nicht. Aber warum laden sie uns ein, bei ihnen zu übernachten, wenn sie es gar nicht wollen?
Wir schlafen trotz der Wärme ganz gut, auf jeden Fall aber gut bewacht.
Freitag, 5.12.08 (Chitengo Camp, Gorongosa Nationalpark): Nachdem wir gefrühstückt haben, wollen wir uns wenigstens noch bei unseren “Gastgebern” verabschieden. Auf unser Rufen kommt einer der Bediensteten und erklärt uns, dass die beiden schon weg wären. Wir bitten ihn, unseren verbindlichsten Dank und schöne Grüße auszurichten und verlassen diesen gastlichen Ort.
Der platte Reifen von gestern muss noch geflickt werden und Tank und Kühlschrank brauchen Nachschub. Geld zu wechseln klappt schon bei der dritten Bank (!) und sogar das Internet funktioniert und wir können unsere Post herunterladen. Dann noch eine kurze Nachfrage bei der Reederei, ob denn schon Nachricht aus Durban gekommen wäre. Ist nicht, doch wir lassen unsere E-Mail-Adresse da und hoffen, dass wir die Informationen zugeschickt bekommen. Na ja, ehrlich gesagt, wir nehmen nicht an, dass da noch etwas kommt. Doch lassen wir uns überraschen.
Kurz nach eins verlassen wir Beira, um bald darauf zu merken, dass der gestern gewechselte Reifen nicht dicht hält. Da haben die Jungs in Zambia wohl gepfuscht. Also kommt der heute Vormittag reparierte wieder drauf.
Ein paar Kilometer später fragt uns ein Verkehrspolizist doch tatsächlich, ob wir Hitler kennen würden. “Na klar kennen wir den Idioten”. “Na, dann gute Fahrt”. Was dieser Dialog sollte, bleibt uns schleierhaft.
Am Nachmittag treffen wir im Gorongosa Nationalpark ein. Er gehörte vor 50 Jahren zu den Juwelen Afrikas, wurde in einem Atemzug mit Serengeti und Kruger genannt, doch dann kam der Bürgerkrieg und eine der Parteien hatte sich den Park als Hauptquartier auserkoren. Folglich sind alle Tiere, die abhauen konnten, abgehauen und die, die blieben, sind in den Kochtöpfen gelandet. Zudem wurde die ganze Gegend intensiv vermint.
Das ist jetzt zwanzig Jahre her. Bei unserem ersten Besuch 1998 waren der Krieg und seine Hinterlassenschaften noch allgegenwärtig. Heute sind die äußeren Anzeichen zwar verschwunden, trotzdem braucht es noch viele Jahre, ehe der alte Zustand wieder hergestellt ist. Wenn überhaupt jemals.
Die Zahl der Besucher dümpelt bei 4000 pro Jahr. Das ist nichts verglichen mit den Parks in Südafrika oder Namibia. Vor kurzem hat ein reicher Amerikaner mit seiner Gesellschaft die Entwicklung des Parks übernommen, seitdem geht’s wenigstens ein bisschen voran. Vor allem mit den Preisen, denn die sind ziemlich saftig, verglichen mit dem, was geboten wird. Eintritt 20 Euro, Übernachtung im Camp 15 Euro, mit dem Auto durch den Park fahren 17 Euro, macht 50 Euro für einen Tag. Für etwas mehr als das Doppelte hat man in den südafrikanischen Parks ein Jahr lang freien Eintritt.
Wir betrachten es ein bisschen als Entwicklungshilfe, auch für Not leidende amerikanische Millionäre.
Samstag, 6.12.08 (Selva Lodge, Chimoio): Die Nacht war angenehm kühl und wir lassen es morgens ruhig angehen. Erst nach 10 Uhr brechen wir in den Park auf. Wir erwarten hier nichts Spektakuläres, aber eine schöne Landschaft. Und, wer weiß, vielleicht liegen ein paar verschlafene Tierchen auf der Piste, denn außer uns ist niemand unterwegs.
Es hat noch nicht geregnet, die an sich extrem schlammigen Pisten sind bretthart und wir können sehr gut fahren. Wir hatten erheblich schlechtere Wege erwartet, denn der Park wird in Kürze wegen der Regenzeit für ein paar Monate geschlossen, da lohnt sich keine Pistenpflege mehr. Bisher existieren kaum mehr als 100 km, der größte Teil des Parks ist noch unerschlossen.
Eine große Grasebene hat Feuer gefangen und schickt dicken Qualm in den Himmel. Zahlreiche Windhosen ziehen das verbrannte Gras in schwarzen Säulen nach oben und Störche nutzen die Chance auf ein paar gegrillte Heuschrecken. Alle warten auf den großen Regen, der eigentlich schon lange eingesetzt haben sollte. Auch die Paviane, die die letzten trockenen Wurzeln aus dem Boden holen.
Die Landschaft im Park ist wirklich schön. Von weiten offenen Ebenen bis zu dichtem Wald. Besonders beeindruckend sind die Fieberbäume, die mit ihrer hellgrünen Rinde wie künstlich angemalt aussehen. Fieberbäume deshalb, weil man früher glaubte, die Bäume verursachen Fieber. Später nahm man an, es wäre die feuchte schlechte Luft (mal aria), dann fand man die Mücken, gegen die wir jede Woche eine Pille schlucken müssen. Da man das als dauerhaft hier Lebender nicht machen kann, ist Malaria zum größten Killer Afrikas geworden, noch vor Aids, Raubtieren und Unfällen.
Auf dem Rückweg sitzen nach einer Kurve plötzlich drei Löwinnen vor uns. Sie sind genauso erschrocken wie wir. Nach kurzer Zeit haben sie begriffen, dass wir ihnen nichts tun wollen und legen sich wieder hin, ihnen ist es offensichtlich zu heiß für jede überflüssige Bewegung. Selbst als wir fünf Meter neben ihnen langsam vorbeirollen, lassen sie sich nicht stören.
Einer der Parkmanager hatte uns gesagt, dass viele Tiere noch sehr scheu, zuweilen auch aggressiv seien, eine Folge des langen Krieges. Diese drei Löwen haben das offensichtlich schon überwunden.
Die Elefanten noch nicht, denn wir sehen in all den Stunden nichts von Ihnen. Die haben ein besseres Gedächtnis. Außerdem ist bei ihnen die Kriegsgeneration noch am Leben und gibt ihre Erfahrungen mit den Zweibeinern weiter. Es haben ohnehin nur ein paar Dutzend von einst Tausenden überlebt.
Ein abschließender Sprung in den Swimmingpool des Camps wird zum Reinfall, denn das Wasser hat Körpertemperatur. Dafür ist die Dusche angenehm kühl.
Wir wollen am Abend noch in Chimoio eintreffen, damit wir morgen nach einem gemütlichen Abstecher in den Urwald noch die 500 km bis an den Strand von Vilanculos schaffen.
Auf der 30 km langen Piste zurück auf die Nationalstraße bemerken wir ziemlich schmerzhaft, dass wir ein paar Tsetsefliegen zu Gast haben. Diese Mistviecher sind fast geräuschlos und wenn sie es erst einmal geschafft haben, sich unbemerkt festzubeißen, pumpen sie ein ordentliches Volumen ab. Danach sind sie schwerfällig wie Hummeln. Sie sind extrem stabil gebaut und sie mit der Hand zu erschlagen, ist fast unmöglich. Maximal haut man den Blutbeutel kaputt und das eigene Blut spritzt herum und bekleckert die Hose.
Wir müssen mehrfach anhalten, um eine zu jagen. Meist erfolglos. Zurück auf dem Asphalt gehen wir’s dann richtig an, denn Tsetse und wir haben in einem Auto keinen Platz. Unsere einzige Chance, sie wirklich platt zu machen, ist es, sie mit einem Handtuch an ein Fenster zu drücken. Das allein stört sie zwar nicht ernsthaft, doch dann hält einer von uns das Handtuch unter Druck und der andere zeigt von außen, wo sie klemmt. Und genau auf diese Stelle muss dann nur noch der Daumen. Bis es hörbar knackt.
Eine halbe Stunde vor Chimoio wird es dunkel. Richtig dunkel. Leider, denn bei Nacht zu fahren, ist eine echte Tortur. Kurz nach Sonnenuntergang spielt sich das Leben auf der Straße ab. Hinzu kommt, dass außer den Autos eigentlich niemand beleuchtet ist. Nicht der Radfahrer, der einen zwei Meter langen Baumstamm quer auf dem Gepäckträger hat. Nicht der Karren, mit dem drei Haustüren und fünf Sack Zement transportiert werden. Nicht der schwere Lkw, dem mitten in der Kurve die Federn gebrochen sind und der an Ort und Stelle repariert wird. Nicht die Ziege, die unbedingt vor uns auf die andere Straßenseite muss. Die einzigen, die Licht haben, sind die Entgegenkommenden. Manchmal nur auf einem Auge, dafür um so heller. Viele Autos blinken auf der rechten Seite, so kann man sie von Motorrädern unterscheiden (sofern diese überhaupt Licht haben).
Die allerhöchste Aufmerksamkeit ist immer dann geboten, wenn plötzlich grüne Zweige auf der Fahrbahn liegen. Das ist hier in allen Ländern das Zeichen für ein liegen gebliebenes Fahrzeug. Jeder muss zwar zwei Warndreiecke dabei haben, aber die Zweige sind auffälliger. Wenn ein Lkw eine Panne hat, bleibt er da stehen, wo es passiert ist, egal, wie sehr er den Verkehr behindert oder wie lange es dauert. Auch mehrere Tage lang, wie man an den zwischenzeitlich verwelkten Ästen erkennen kann. Bei Nacht sind die Wracks grundsätzlich unbeleuchtet.
Es ist wirklich die Hölle und ein großes Wunder, dass trotzdem die meisten Leute unbeschadet nach Hause kommen.
Wir auch, nämlich in die Selva Lodge, wo wir schon vorgestern waren. Das Restaurant hat noch offen. Aber dieses Mal setzen wir uns nicht in den Garten, denn es ist draußen saukalt. Anette zieht sich eine lange Hose und einen Pullover an, das heißt, es sind unter 25°C.
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