Geschicht(ch)en, die uns in Erinnerung bleiben

14.3.2011, Komatipoort/Südafrika

Risikooo!

Anette steigt also an der südafrikanischen Grenze aus, mit Pass, Handy und Kreditkarte ausgestattet, und wartet, bis ich wieder zurück bin. Eigentlich müsste die Angelegenheit in ein paar Stunden erledigt sein, aber erstens weiß man das in Afrika nie und zweitens hatte einer der Zöllner gesagt, ich dürfe erst am nächsten Tag wieder zurück einreisen. Ein anderer meinte allerdings, ein paar Stunden in Mocambique würden auch reichen.

Die Ausreiseformalitäten aus Südafrika sind gewohnt schnell und problemlos und die alten Zollpapiere sind erfolgreich ausgestempelt. Jetzt wäre es das Schnellste, auf die andere Seite des Zollhäuschens zu gehen und dort die neuen Papiere einstempeln zu lassen. Doch genau damit haben wir an der Grenze nach Angola mal mächtig Schiffbruch erlitten und mussten eine Nacht auf dem Parkplatz vor dem Zoll verbringen.

Also fahre ich einen Kilometer weiter zur Grenzabfertigung von Mocambique. Sobald ich dort aus dem Auto steige, stehe ich in einem dichten Pulk von Schleppern. Jeder will mir irgendwie über die Grenze helfen. Doch wir kennen dieses Spiel ja zur Genüge und nach einigen Gesprächen haben die Jungs auch begriffen, dass sie an mir nichts verdienen können. Außerdem habe ich meine Geheimwaffe dabei: ein Klemmbrett. Das haben hier nur die Profis und ein paar Beamte. Jedenfalls kein Schlepper.

Im Abfertigungsgebäude ist wenig los. Ein alter Mann in Uniform spricht mich an und dirigiert mich an einen Schalter. Nach ein paar Minuten bin ich dran, der alte Mann erklärt mir, dass ich ein paar Cent bezahlen muss (der Einfachheit halber gleich an ihn) und meine Zollpapiere/mein Carnet vorlegen soll. Und schon ist das Ding für Mocambique gültig gestempelt.

Ups! Eigentlich müsste ich erst das Visum beantragen (rund 80 Euro) und den Einreisestempel in den Pass bekommen. Erst im Nachhinein wird mir klar, dass der alte Mann in Uniform kein Beamter, sondern ein ganz normaler Schlepper war. Ein raffinierter zudem. Er hat sich das Geld aber redlich verdient.

Jetzt habe ich ein Problem. Eigentlich brauche ich weder Visum noch Einreisestempel noch Kfz-Haftplichtversicherung (ebenfalls runde 80 Euro) noch Straßenbenutzungsgebühren noch Carbonsteuer oder was den Beamten noch an kreativen Geldquellen eingefallen ist. Der Stempel im Carnet reicht mir.

Soll ich es riskieren, illegal über die Grenze zu gehen? Das würde viel Zeit und Geld sparen, könnte aber bei der Rückreise Probleme bereiten.

Risikooo!

Der Zöllner, der das Auto und die Einreisepapiere kontrollieren soll, wollte mit mir nur über alte Autos fachsimpeln. Als sich schließlich die Fahrzeuge hinter uns stauen, darf ich anstands- (und kontroll-)los weiterfahren.

Auch der Beamte, der am letzten Schlagbaum nochmals alle Unterlagen kontrollieren soll, interessiert sich mehr für den Bus und wie mir Mocambique gefällt. Nach ein paar Minuten Schwätzchen bin ich unbehelligt, aber illegal in Mocambique!

Hinter der nächsten Kurve, noch vor dem ersten Dorf, halte ich an. Ich will nicht riskieren, in eine der üblichen Straßenkontrollen zu kommen.

An mir vorbei bewegt sich eine endlose Schlange von Leuten, voll bepackt mit Tüten, Koffern und Beuteln. Man könnte meinen, Südafrika hätte alles und Mocambique alles nötig. In Wirklichkeit dürften viele Leute nur angeheuerte Träger sein, weil ein Mensch ein paar Tüten anstandslos durch den Zoll kriegt, ein Lkw muss für alles bezahlen. Also wird vor der Grenze umgeladen.

In Deutschland gibt’s für Schulanfänger auf dem Weg zur Schule den “Bus auf Füßen”. Alle warten aufeinander und gehen dann gemeinsam, damit unterwegs keiner verloren geht. Hier gibt es den “Lkw auf Füßen”. Und nicht nur hier.

20 Minuten später mache ich mich auf den Rückweg. Der Mann am Schlagbaum grüßt freundlich als wären wir alte Bekannte. Ich erkläre ihm, dass ich noch mal zurück müsse, weil ich etwas beim Zoll vergessen hätte. “No Problem” und schon bin ich im Sicherheitsbereich. Ich parke den Wagen zwischen zwei Lkws, so dass die Zöllner ihn nicht sehen können. Mit einem jungen Mann, ebenfalls Schlepper, mache ich aus, dass er mir die frisch eingestempelten Zollpapiere ausstempelt, sonst kann ich ja nicht wieder nach Südafrika rein. Ich bleibe im Hintergrund, der Zöllner muss mich ja nicht wiedererkennen.

Der Junge drängelt sich an der Schlange vorbei, schiebt dem Zöllner mein Carnet durchs Fensterchen und der haut, ohne hin zu schauen, den Stempel rein. Beim Kontrollieren stelle ich fest, dass Datum und Unterschrift fehlen. Also die ganze Prozedur noch einmal. Der Zöllner unterschreibt tatsächlich blind, ohne auch nur einen Blick in die Papiere zu werfen.

Schließlich meint mein Schlepper, dass das ja zwei Aufträge gewesen seien und er deshalb das Doppelte haben müsse. Netter Versuch, doch es bleibt bei den ausgemachten 5 Euro.

Von hier muss ich zwangsweise durch den Raum, in dem die Pässe für die Ausreise abgestempelt werden. Ich gehe ganz geschäftig und zielstrebig mit dem Klemmbrett unterm Arm an der anderen Seite wieder hinaus und keiner nimmt Anstoß daran.

Wieder eine Hürde geschafft.

Es fehlt nur noch der letzte Schlagbaum, bevor es ins Niemandsland Richtung Südafrika geht. Diese Hürde ist nicht einfach zu überwinden. Ich habe mir deshalb die Geschichte zurechtgelegt, dass ich mit Erlaubnis des Zolls nur das Carnet abstempeln lassen habe und dass ich deshalb kein Visum und den anderen Kram brauche. Dies alles in der Hoffnung, dass der arme Am-Schlagbaum-Steh-Beamte doch wohl nicht die Anweisungen der Im-Büro-Sitz-Beamten hinterfragen wird.

Es stehen dieses Mal zwei Beamte am Schlagbaum und fertigen die Autoschlange ab. Als mich einer von ihnen zu sich heran winkt und ich das Fenster herunter kurbele, um meine Geschichte zu erzählen, klingelt plötzlich sein Handy und er geht zur Seite. Ich grüße freundlich und deute ihm an, dass ich zu seiner Kollegin fahre. Und der signalisiere ich, dass mich ihr Kollege schon abgefertigt hat und rolle langsam weiter.

Kein Aufruhr hinter mir, also schnell weg.

Bei der Einreise nach Südafrika geht alles computergesteuert und mit Barcode. Keine Schlepper, keine blinden Unterschriften. Jeder Beamte kann die Geschichte unserer Ein- und Ausreisen der letzten Jahre am Bildschirm nachvollziehen. Doch wir haben ja nichts Illegales gemacht, nur die Zöllner sollten mich nicht unbedingt wiedererkennen.

Schon wieder fügt sich alles zum Besten. Die Zöllnerin am Schalter ist noch ganz neu und weiß nicht, was sie mit unserem Carnet anfangen soll. Ehe sie auf die Idee kommt, bei ihren Kollegen zu fragen, erkläre ich es ihr und zeige ihr, wo Stempel und Unterschriften hin kommen. Sie ist glücklich und ich noch viel glücklicher.

Als ich auf den letzten Schlagbaum zu rolle (endlich wieder mit korrekten Papieren!), sieht mich Anette mit großen Kulleraugen an. Ihr ist klar, dass irgend etwas schief gegangen sein muss. Seit meiner Abreise war erst gut eine Stunde vergangen, so schnell geht es an zwei Grenzübergängen mit viel Papierkrieg einfach nicht.

Ich bin fix und fertig. Als Illegaler wäre ich eine Niete. Mein Adrenalin ist für die nächsten Monate restlos aufgebraucht. So etwas muss ich nicht noch mal haben, zumal man ja nicht immer auf so viel Glück bauen kann.

Anfangs dachte ich, unser Auto wäre eher ein Handicap, weil es doch ziemlich auffällig ist. Im Nachhinein war es eher ein Vorteil, weil viele Leute uns als erstes wegen des Autos ansprachen (und darüber machmal ihre hoheitlichen Aufgaben vergaßen). Selbst die härteste Beamtenseele wird nach ein paar Minuten Plauderei flexibler.

Das nächste Mal werden wir wohl wieder über diese Grenze fahren. Dann aber ganz offiziell und korrekt.