Geschicht(ch)en, die uns in Erinnerung bleiben

19.2.2011, Kapstadt

Robben Island

Die Insel liegt nördlich von Kapstadt, 10 Kilometer vor der Küste. Diese abgeschiedene Lage und das im Winter unwirtliche Klima haben sie wohl als Gefängnisinsel prädestiniert.

Robben Island war zur Zeit der Apartheid (und auch schon früher) berüchtigt als Hochsicherheitsgefängnis. Hier wurden alle weggesperrt, die dem Regime gefährlich werden konnten, vor allem Menschen mit anderen Ansichten zu Demokratie und Menschenrechten. Ironie der Geschichte: in den 90er Jahren, nach dem Fall der Apartheid, rekrutierten sich große Teile der Führungselite Südafrikas aus ehemaligen Gefangenen von Robben Island. Hier gesessen zu haben, war so etwas wie ein Markenzeichen.

Inzwischen ist die Insel eine nationale Gedenkstätte mit täglich hunderten von Besuchern. Auf dem Schiff dorthin teilen sich die Hautfarben in etwa hälftig auf, ganz anders als z.B. in den Nationalparks, wo man Schwarze fast nur als Angestellte trifft.

Der überwiegende Teil der Robben-Island-Besucher kommt aus Südafrika, darunter viele Schulkinder und nur relativ wenige ältere Weiße. Da spielt die eigene Betroffenheit wohl noch eine große Rolle. Wir trafen im übrigen etliche weiße Südafrikaner, die noch nie in Robben Island waren (aber schon oft in Kapstadt), weil sie an die alten Geschichten nicht erinnert werden wollten. “Wir haben davon nichts gewusst, unsere eigene Regierung hat uns nur belogen!” Vertraute Argumente, wenn man bei uns an die fünfziger Jahre oder an die Zeit nach dem Zusammenbruch der DDR denkt.

Die Tour soll insgesamt drei Stunden dauern, davon zwei Stunden auf der Insel. Man darf dort nicht auf eigene Faust herumlaufen, es gibt nur geführte Touren.

Gleich nach der Ankunft im kleinen Hafen werden wir auf Reisebusse verteilt und unser Reiseleiter stellt sich vor. Sedeeq Levy ist in älterer sehr angenehmer und offensichtlich gebildeter Südafrikaner, der mit Publikum gut umzugehen weiß. Er erzählt zunächst ein bisschen über sich und seine Familie. Dann fragt er herum, wo wir denn alle her kommen und hat bei vielen eine nette kleine Geschichte auf Lager.

Als wir am Eingangstor sind, fühlen wir uns an gewisse KZ-Tore erinnert. “Willkommen, wir dienen mit db_DSC08998Stolz” ist der gleiche Hohn, die gleiche Verachtung wie “Arbeit macht frei”. Letztlich ging es in den KZs ebenso wie auf Robben Island ja auch um das gleiche Ziel: unliebsame Menschen zu beseitigen, psychisch und/oder physisch.

Als wir wegen der anderen Busse warten müssen, erzählt Mr. Levy beiläufig in einem Nebensatz, dass er 1963 ebenfalls durch dieses Tor marschiert sei, als Gefangener 60/63. Für die nächsten Jahre war diese Nummer sein Name. Sein Verbrechen: er hatte als ”Coloured” zusammen mit einer weißen Freundin eine Parteiversammlung der damaligen Regierungspartei besuchen wollen. Das war natürlich ein schweres Verbrechen, also gab es eine schwere Strafe. Mehrere Jahre Robben Island.

Die Rassenideologie der Südafrikaner unterschied penibel zwischen Weißen, Coloureds (Asiaten, Hellbraune) und Bantus (Schwarze). Dabei hatte die südafrikanische “Reformierte Niederländische Kirche” einen prägenden Einfluss, indem sie die Rassenideologie mit einem religiösen Mäntelchen verkleidete. Damit war jeder, der gegen diese “gottgewollte” Ordnung vorging, ein Ketzer, der vernichtet werden musste.

In der sozialen Hackordnung waren die Weißen folglich ganz oben, die Schwarzen ganz unten und die Coloureds irgendwo dazwischen. Sie selbst legten sehr großen Wert darauf, dass sie nicht schwarz seien und die Weißen legten großen Wert darauf, dass Coloureds nicht weiß seien.

Fast alles im Lande durfte nur nach Hautfarbe getrennt benutzt werden. Bänke, Eisenbahnen, Toiletten.

Auch hier in Robben Island, wo keine Weißen einsaßen, wurde streng zwischen Coloureds und Schwarzen unterschieden. Schwarze durften im Gegensatz zu Coloureds nur kurze Hosen und kurzärmelige db_DSC09003Hemden tragen, mehr nicht. Keine Schuhe, keine Mützen, keine Jacken, keine langen Hosen, obwohl es hier im Winter sehr kalt und windig sein kann. Zudem bekamen die Schwarzen weniger zu essen und mussten härter arbeiten. Man könnte meinen, das wären noch Vorschriften aus der frühen Kolonialzeit. Nein, das war noch in den Achtzigern der Fall.

Die Sträflinge mussten in einem Kalksteinbruch arbeiten. Die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich. Es gab keinen Schatten und keine Schutzbrillen und der Kalkstaub zerfraß die Augen. Wer aufbegehrte oder nicht mehr konnte, kam in Einzelhaft. Monatelang ohne jeglichen Kontakt auf 2 x 2 Metern, im Sommer bei 40°, im Winter unter Null.

Anfangs hatte man die politischen Gefangenen mit gewöhnlichen Kriminellen vermischt, weil man hoffte, sie würden dadurch über kurz oder lang auch zu gewöhnlichen Kriminellen. Doch das Gegenteil war der Fall, am Ende gab es ein paar “Staatsfeinde” mehr. Deshalb wurden später nur noch politische Gefangene nach Robben Island gebracht.

Unter den Gefangenen galt eine Regel “Every one teach one”. Jeder bringt einem anderen etwas bei, was auch immer. Auf diese Weise haben viele der Gefangenen hier lesen und schreiben oder andere Fertigkeiten gelernt oder sogar die Voraussetzungen für ein Studium nach dem Fall der Apartheid geschaffen. Je größer die Repressalien durch den Staat und die Justiz wurden, desto enger und verschworener wurde auch der Zusammenhalt unter den Gefangenen. Auch das ist ein Teil des Mythos’ Robben Island.

Vielleicht ist die Lebensgeschichte von Sträfling 60/63, der heute wieder Sedeeq Levy heißen darf, typisch für viele andere. Unter dem Apartheidsregime ein verurteilter Schwerverbrecher, dann entlassen und viele Jahre arbeitslos. Auch noch, nachdem Südafrika eine Demokratie geworden war, denn in den Köpfen waren noch die alten Lehrsätze lebendig (und sind es zum Teil heute noch, auf beiden Seiten). Wer in Robben Island gesessen hat, ist ein Schwerverbrecher und den beschäftigt man nicht! In den Neunzigern bekam Mr. Levy schließlich ein Angebot, als Fremdenführer zu arbeiten. Erst später erfuhr er, dass es ausgerechnet auf Robben Island sein sollte. Doch er hat eingewilligt, dann trotz seiner 50 Jahre eine Ausbildung gemacht und studiert. Seit vielen Jahren bringt er nun Besuchern die Geschichte Robben Islands und die Lehren daraus nahe.

Seine immer wieder betonte Botschaft lautet: Reconciliation, Versöhnung. Nur wenn sich die Südafrikaner die Hand reichen und gemeinsam nach vorne schauen, haben sie eine Zukunft. Was sich anfangs nach einer einstudierten Floskel anhörte, kommt offensichtlich aus einer tiefen Überzeugung und zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Führung. Es ist so etwas wie die Leitidee von Robben Island.

Mr. Levy hat es am Ende geschafft, uns über ein extrem heikles Kapitel der südafrikanischen Geschichte sachlich und überzeugend und mit viel Witz aufzuklären. Ohne dabei die Anhänger der Apartheid zu verteufeln oder die Gefangenen von Robben Island zu Helden zu verklären. Immer mit dem Blick auf die Lehren für die Zukunft.

Wir klettern wirklich beeindruckt aus dem Bus, db_DSC09010um db_DSC09005zum zweiten Teil der Führung durch das eigentliche Hochsicherheitsgefängnis zu kommen. Wir werden in einen der früheren Schlafsäle geführt. Unser neuer Guide stellt sich vor “My name ist Sparks and I am political prisoner 56/83”. Er war hier viele Jahre wegen Sabotage eingesperrt und ist erst mit dem Fall der Apartheid frei gekommen.

Das “Maximum Security Prison” hat eine frappierende Ähnlichkeit mit Stasi-Einrichtungen. Beide Herrschaftssysteme sind ja auch zur gleichen Zeit kollabiert.

Die meistfotografierte Zelle der Welt ist zweifellos die von Nelson Mandela. Sträfling db_DSC09007466/64 hat in dieser Zelle 22 Jahre verbracht. Sein Verbrechen: eine andere Vorstellung von Gerechtigkeit, aber seine Überzeugungen waren für das System brandgefährlich.

Wie nach dieser langen Zeit der Unterdrückung aus dem Sträfling 466/64 ein weltweit geachteter Friedens-Nobelpreisträger werden konnte, gehört zu den großen Unbegreiflichkeiten der Geschichte. Es lag wahrscheinlich allein in seiner Hand, ob der Süden des Kontinents brennt oder nicht.

Leider haben die Politiker, die heute das Sagen haben, bei weitem nicht dieses Format. Nicht in Südafrika und schon gar nicht bei uns.