Geschicht(ch)en, die in Erinnerung bleiben

18.-19.12.07, Oshikango

In der Falle zwischen den Behörden

Nach zehn Minuten Gedrängel vor dem Zollschalter an der Grenze nach Angola nimmt der Beamte unsere Carnets entgegen. Einmal das alte ausstempeln, einmal das neue einstempeln.

Das ist zu kompliziert für ihn, er verschwindet erst mal für einige Zeit.

Während dessen ist Wolfgang bei den Einheimischen sehr begehrt, weil er einen eigenen Kuli hat, den er gerade nicht braucht. Ein Kuliverleih wäre hier ein gutes Geschäft, denn jeder hat ein paar Formulare auszufüllen.

Zeit für Studien. Die Gattung der Zollbeamten gliedert sich in zwei Unterarten: die Stempler (aus jeder Ecke tönt das wütende Hämmern auf die eingetrockneten Stempelkissen; manche Stempler hämmern sich mit wichtigem Gesicht durch mehrere Zentimeter dicke Formularstapel) und die Telefonierer, meist laut gestikulierend, während sie gemessen hin- und her laufen. Kaum sind sie auf dem einen Handy fertig, klingelt ihr zweites.

Die dritte Unterart sind die nicht anwesenden, zu der gehört auch unserer. Irgendwann kommt er schließlich doch zurück und bedeutet uns mit schwerwiegendem Blick, dass es nicht ginge. Um den Stempel in das neue Carnet zu bekommen, müssen wir zuerst richtig ausreisen. Immerhin entstempelt er unser altes Carnet, so dass wir wegen des Ablaufdatums nicht mehr in den Kerker geworfen werden. Sondern nur noch, weil wir jetzt gar keines haben...

Die Hoffnung, einfach um das Zollhäuschen herumzulaufen und sich auf der Einreiseseite den neuen Stempel zu holen, zerschlägt sich. Der ganze Zoll sitzt in einem großen Raum und er hat es gesehen. Damit wir das nicht noch einmal versuchen, haben wir ab jetzt einen jungen Mann als Wachmann an den Fersen.

Also Ausreise nach Angola. Wenn’s denn sein muss!

Vor dem Schalter der Einwanderungsbehörde gibt’s dasselbe Getümmel wie beim Zoll. Hier jedoch mit der Besonderheit, dass der Raum einfach mal zugeschlossen wird und alle raus müssen, damit das Putzgeschwader in aller Gemütsruhe die Papierkörbe leeren und den Fußboden fegen kann. Als alles fertig ist, werden die Türen wieder geöffnet, die ganze Meute brandet rein und der Kampf um die Schalter beginnt aufs Neue. Anette bekommt ihren Ausreisestempel, bei Wolfgang zögert die Beamtin. ”Wo ist das Visum für Angola”. “Kaufen wir an der Grenze”. “Geht nicht! Ohne Visum keine Ausreise!”. Anettes Stempel wird wieder entwertet.

Und nun?

Die Einwanderungsbehörde lässt uns nicht raus, der Zoll lässt uns nicht rein, weil wir vorher nicht draußen waren. Da haben sie uns aber sauber ausgetrickst. Vermutlich werden wir den Urlaub hier im Niemandsland zwischen den Behörden verbringen.

Eine Rückfrage bei dem Zollmenschen, der uns das alles eingebrockt hat, bringt die Lösung. Er rät uns: fahrt doch einfach mit dem Taxi ins 80 km entfernte Oshakati (mit dem eigenen Auto dürfen wir ja nicht), da gibt es ein angolanisches Konsulat, kauft Euch dort die Visa, kommt wieder zurück, fahrt nach Angola, dort einmal um das Zollhäuschen herum und auf der anderen Seite wieder zurück nach Namibia, dann kriegt Ihr Euren Stempel.

Depp!

Es hat wenig Sinn, heute noch auf eine Lösung zu hoffen, denn allerspätestens 18 Uhr lassen die hier die Bleistifte fallen bzw. die Stempel und Handys.

Wir platzieren uns ganz demonstrativ auf dem Parkplatz direkt vor den Büros, holen unsere Klappstühle raus und lesen für alle sichtbar Zeitung. Viele, die vorbeikommen und das absonderlich finden, fragen uns freundlich, wo wir herkommen und wie es uns denn so geht und wir erzählen jedes Mal, dass es uns gar nicht gut ginge und dass wir zwischen den Behörden gefangen gehalten würden. Irgendwann wird sich das hoffentlich herumsprechen und man wird über eine Lösung nachdenken. Aber nicht mehr heute...

Nach und nach stellen sich neben uns einige Militärgeländewagen auf, denn nachts wird das Areal von Soldaten bewacht. Wir campen am sichersten Ort Namibias. Auch die Jungs in Tarnklamotten fragen uns freundlich und kriegen dieselbe Antwort wie die anderen.

Zum Sonnenuntergang herrscht hier eine friedliche Stimmung, die Nacht ist angenehm kühl und extrem ruhig. Kein Vergleich mit dem Tohuwabohu tagsüber.

Am nächsten Morgen versucht Wolfgang, den Agenten unserer Windhoeker Spedition ausfindig zu machen. Angeblich soll er ab 9 Uhr in seinem Container sitzen, 200 m von uns entfernt. Soll er, tut er aber nicht. Gegen 11 Uhr trudelt er endlich ein und ist eine sie. Selma. Sie hat noch nie etwas von einem Carnet gehört und versteht unser Problem auch nicht wirklich. Als sie erfährt, welcher Zöllner uns den Ärger macht, lacht sie nur. Wir haben ausgerechnet den einzigen Volldeppen der Behörde erwischt. Künstlerpech. Doch das Gute ist: sie kennt den Zollchef persönlich und genau das ist es, was wir ja wollen. Sie gibt Wolfgang einen jungen Mann mit, der im Zollgebäude zielstrebig ein Zimmer ohne Namensschild ansteuert. Le Chef. Ein sehr angenehmer, höflicher Mann, offensichtlich gut ausgebildet und ganz sicher der Oberzöllner hier, denn seine Leute gehen alle rückwärts mit einer leichten Verbeugung raus. Nach ein bisschen Smalltalk übers Wetter fragt er, ob wir die aus dem gelben Bus vor der Tür seien. Und ob wir tatsächlich hier geschlafen hätten. Aha, es hat sich also herumgesprochen, wir stehen ja auch genau vor seinem Fenster.

Da der Volldepp vom Schalter nicht dabei ist, kriegt der Chef die Geschichte so erzählt, wie wir sie brauchen. Er nickt verständnisvoll und fragt nach Wolfgangs Beruf und Firma. Glücklicherweise hat er ein Siemens-Telefon auf dem Schreibtisch und ist damit sehr zufrieden. Es wird ein längeres und recht lebendiges Gespräch, das ihm offensichtlich auch dazu dient, zu erkennen, ob wir professionelle Carnetstempel-Erschleicher sind (so etwas gibt es wohl wirklich; Privatleute, die ihr importiertes Auto gegen Geld vermieten).

Dann tauschen wir die Vornamen aus und reden wie alte Freunde über Gott und die Welt. Festus meint, das es für unser Problem sicher eine Lösung gibt. So etwas hätte er 2003 schon einmal gehabt. Zudem sei er überzeugt, dass wir keine Betrüger seien.

Danke, Festus, alter Freund.

Kurz darauf geht er mit Wolfgang in die “Stempel- und Handyhalle”. Die Handys verstummen schlagartig, die Stempel werden hektischer. Er erklärt einer Mitarbeiterin unseren Fall. Die winkt nur lachend ab, jeder hier kennt uns, und freut sich, dass wir endlich unseren Stempel kriegen. Nur einer nicht, aber der ist nicht zu sehen. War doch gar nicht so schwer.

Dann tauschen wir noch ein paar Informationen über Angola aus (man rät uns, erst in ein paar Jahren dorthin zu fahren, weil das Land noch nicht so weit sei, was vermutlich richtig ist).

Ganz schnell ins Auto, gute Reise und weg, ehe wir einem anderen Deppen in die Arme laufen.

Die 19 Stunden, die wir hier festgesessen haben, waren zwar überflüssig wie ein Kropf, doch werden wir sie nicht in schlechter Erinnerung behalten, denn am Ende haben ja die Guten gesiegt. Und wir hatten die sicherste Nacht seit langem...